"Freiheit auch für Irre"

Urteile gegen Holocaust-Leugner nützen nichts im Kampf gegen Neonazismus. Aber sie unterhöhlen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit

Von Christoph Seils

Ernst Zündel ist ein widerlicher Nazi, ein unbelehrbarer Holocaust-Leugner und Antisemit. Sein ganzes Leben widmete sich der Leugnung des Holocaust. Viele Jahre lebte er in Kanada, trieb von dort sein propagandistisches Unwesen. Vor vier Jahren allerdings wurde der inzwischen 69-Jährige nach Deutschland abgeschoben und 2007 in einem spektakulären Prozess zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach Überzeugung des Landgerichts Mannheim hat Zündel auf seiner Internet-Homepage in vierzehn Fällen den Völkermord an den Juden systematisch geleugnet und durch antisemitische Hetze zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufgestachelt.

Endlich, sagten anschließend viele Beobachter. Und sie begrüßten auch, dass die deutsche Justiz mittlerweile konsequent gegen Holocaust-Leugner vorgeht, wie beispielsweise den ehemaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert oder den Nazi-Anwalt Horst Mahler. Für viele Holocaust-Leugner ist Zündel ein Vorbild – schließlich hat er seine wirre Weltsicht schon seit Jahrzehnten in Büchern, Zeitschriften und im Internet verbreitet. In dem fünfzehnmonatigen Prozess in Mannheim nutzten er und seine Anwälte den Gerichtssaal noch einmal als Propagandabühne. Sie bestritten den millionenfachen Mord an den Juden und die Existenz der Gaskammern, sprachen von einem „Dogma“, das dem Land „von den Juden aufgezwungen“ worden sei und unterzeichneten Anträge an das Gericht mit „Heil Hitler“.

Leider wird eine Frage wird im Zusammenhang mit solchen mittlerweile regelmäßigen Prozessen gegen Holocaust-Leugner selten gestellt. Warum tun sich das Land und seine Justiz dies an? Warum verhandelt ein deutsches Landgericht fünfzehn Monate lang gegen politisch fehlgeleitete Rentner oder wirre Rechtsanwälte? Beim Völkermord an den Juden handelt es sich schließlich um ein Staatsverbrechen, das durch zahllose Dokumente, Zeugenaussagen und Geständnisse belegt ist. Daran können Zündel und seine braunen Gesinnungsgenossen überhaupt nichts ändern.

Nun könnte man argumentieren, Deutschland sei als Land der Täter besonders dazu verpflichtet, die Überlebenden des Völkermordes vor der Verhöhnung durch Jung- und Altnazis zu schützen. Und es müsse solchen Leuten deshalb mehr noch als andere Länder entgegentreten, auch mit den Mitteln der Strafjustiz.

Doch Urteile gegen Holocaust-Leugner wie Zündel werden die Neonazi-Bewegung nicht schwächen. Im Gegenteil – mit jedem Urteil hat sie einen Märtyrer mehr. Einen, der sich der vermeintlichen "jüdischen Weltverschwörung" entgegenstellt und der bereit ist, für diesen Wahn auch noch ins Gefängnis zu gehen. Im Kampf gegen Neonazis nämlich schaden solche Prozesse und Urteile mehr als sie nutzen.

Doch was noch schwerer wiegt: Sie unterhöhlen die durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte Meinungsfreiheit. Dieses Recht, jede noch so abwegige These, aber auch jeden Unsinn und sogar schlimme Unwahrheit verbreiten zu dürfen, findet seine Einschränkung lediglich dort, wo konkrete Personen verunglimpft und Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Deshalb ist auch das Zitat „Soldaten sind Mörder“ durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Weil dadurch eben keine konkrete Person benannt ist.

Die freie Rede ist ein hohes demokratisches Gut. Genau darauf zielen die Holocaust-Leugner ab, heißen sie nun Zündel, Mahler oder auch Ahmadineschad. Der Propagandist, der Anwalt und der Iranische Präsident wollen die westlichen demokratischen Gesellschaften gleichermaßen vorführen und zeigen, dass die von ihnen hochgehaltenen Freiheitsrechte nur Heuchelei seien. Und sie wissen natürlich, dass sie Deutschland und den Westen beim Thema Holocaust an einer sehr empfindlichen Stelle treffen. Insofern gelingt ihnen diese Provokation immer wieder.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar entschieden, die Leugnung des Holocaust sei nicht durch Artikel 5 Grundgesetz gedeckt. Weil dies keine Meinungsäußerung sei, sondern eine Tatsachenbehauptung, die „erwiesen unwahr“ sei. In den USA, in Kanada und auch Großbritannien hingegen wird dies anders gesehen - so unerträglich es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dort ist auch die Leugnung des Holocaust durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, und der Vorstoß von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die Leugnung des Holocaust europaweit unter Strafe stellen zu wollen, stieß in Großbritannien deshalb kürzlich auf laute Proteste. Statt die deutsche Praxis zu exportieren, sollte man über ihr Ende nachdenken. Spätestens dann, wenn die letzten Überlebenden des Holocaust gestorben sind. Denn dann ist der Holocaust historisiert und seine Leugnung kein Fall mehr für den Schutz von Persönlichkeitsrechten.

Den demokratischen Staat hingegen muss man vor politisch motivierten Lügen nicht schützen. Im Gegenteil, er muss und kann sie aushalten, dafür ist die Meinungsfreiheit viel zu kostbar. Ernst Zündel und seine Freunde sollte eine selbstbewusste demokratische Gesellschaft als das behandeln, was sie sind: Irre.

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Christoph Seils ist Hauptstadtkorrespondent für ZEIT online. Dort erschien dieser - aktualisierte - Text erstmals am 15. 2. 2007

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