Alan Posener im Dezember 2016 in der TV-Sendung "Hart, aber fair".
Wikipedia / Superbass / CC BY-SA 4.0

Ernst Nolte, Jürgen Zimmerer, Jakob Augstein: Relativierer des Holocausts

Lange Zeit galt die Relativierung und „Historisierung“ des Holocausts als Phänomen der Rechten. Dafür mag die Debatte um Ernst Nolte als Beispiel dienen. Innerhalb des „Kyffhäuser“-Flügels der AfD um Björn Höcke ist dieses Denken noch – oder wieder – virulent. Gleichzeitig aber ist seit Jahrzehnten innerhalb der „antiimperialistischen“ Linken eine ähnliche Historisierung und Relativierung im Gange. Dafür haben Jürgen Zimmerer – den ich hier wiederholt kritisiert habe – und Jakob Augstein wieder einmal ein Beispiel geliefert.


Von Alan Posener

Inzwischen ist das Gespräch zwischen Zimmerer und mir, das auf Vermittlung Augsteins zustande kam, online nachzulesen. Ich möchte betonen, dass ich Zimmerer und Augstein persönlich angenehm finde – wie übrigens und nach wie vor trotz allem Alexander Gauland – und keinerlei Drang verspüre, ihnen persönlich zu schaden oder ihnen unlautere Beweggründe zu unterstellen. Schon gar nicht glaube ich, dass sie Antisemiten sind. Aber sie vertreten Gedanken, die Teil des antisemitischen Diskurses sind und helfen somit, ihn auf der Linken gesellschaftsfähig zu machen.

Beginnen wir mit Jürgen Zimmerer und seiner „Genealogie des Völkermords“: Der „Globalhistoriker“ (Zimmerer über Zimmerer) sagt: „Ich sehe den Holocaust auch in einer Tradition des Genozids. Es gibt in der deutschen Geschichte eine Genealogie des genozidalen Gedankens. Vierzig Jahre vor dem Holocaust haben die Deutschen sich bereits eines anderen Völkermordes schuldig gemacht – an den Herero und den Nama. In Deutsch-Südwest-Afrika entstand ein Rassenstaat, es gab die Ideologie, es gab die Gesetze, es gab militärische und bürokratische Strukturen, die diesem Ziel angepasst und untergeordnet wurden. Ich halte es geradezu für unplausibel, hier keine Verbindung zu den später erfolgten Verbrechen des ‚Dritten Reiches‘ zu sehen. Im Gegenteil: Die Deutschen, die 1941 nach Osten zogen, sahen sich auch als Kolonisatoren. Ich fragte mich, ob ihnen dies erlaubte, sich über das Verbrecherische ihres Tuns hinwegzutäuschen.“

Jürgen Nolte und Ernst Zimmerer: kausaler Nexus, lechts und rinks

Hier geht so viel durcheinander, dass es schwer ist, die Gedankenstränge zu entwirren. Halten wir fest, dass Zimmerer von einer Verbindung zwischen dem Holocaust und dem Völkermord an den Herero und Nama spricht. Der Völkermord an den „Schwarzen“ geht dem Völkermord an den Juden nicht nur voraus, er begründet ihn. Hier argumentiert Zimmer vollkommen analog zu Ernst Nolte, der 1995 schrieb: „Irgendwann zu Beginn der siebziger Jahre las ich dann David Shubs ‚Lenin’, und dort fiel mir ein Zitat aus einer Rede Sinowjews vom September 1918 ins Auge, das lautete: ‚Von den 100 Millionen Einwohnern Sowjetrusslands müssen wir 90 Millionen für uns gewinnen; was den Rest betrifft, so haben wir ihnen nichts zu sagen, sie müssen ausgerottet werden.’ Angesichts dieses Satzes ging mir auf, dass ich allzu voreilig eine allzu klare Unterscheidung zwischen dem ‚Terror Stalins’ und ‚Auschwitz’ vorgenommen hatte. Als Sinowjew seine Rede hielt, spielte Stalin erst eine zweitrangige Rolle, und selbst Hitler hatte weder damals noch später öffentlich die Ausrottung einer zweistelligen Millionenzahl von Menschen gefordert. War nicht vielmehr der frühe ‚rote Terror’ der fundamentale Tatbestand, die Leninsche ‚Klassenvernichtung’, und stand die spätere ‚Judenvernichtung’ dazu nicht in einer unübersehbaren Verbindung?“

Ähm, nein. Weder die Klassenvernichtung durch die Bolschewiki 1918 ff. noch die Rassenvernichtung durch die deutschen Kolonisatoren ein Jahrzehnt davor stehen in einem ursächlichen Zusammenhang zum Völkermord an den Juden. Beide Verbrechen, die der russischen Revolutionäre und die der deutschen Konterrevolutionäre, richteten sich gegen Teile einer Bevölkerung, die sich aktiv und passiv ihren Zielen widersetzte: Die Herero und Nama hatten einen Aufstand gegen die neuen Herren ihres Landes gewagt, die neuen Herren Russlands hatten sich auch erst in einem blutigen Bürgerkrieg durchgesetzt, als Sinowjew davon träumte, den Gegnern den finalen Garaus zu machen.

Die Juden hingegen hatten den Deutschen gar nichts getan. Im Gegenteil.

„Die Deutschen, die 1941 nach Osten zogen, sahen sich auch als Kolonisatoren. Ich fragte mich, ob ihnen dies erlaubte, sich über das Verbrecherische ihres Tuns hinwegzutäuschen.“ So Zimmerer. Gerade so, als ob „Kolonisator“ sein einem erlaube, Verbrechen zu begehen. In Berlin war das Entsetzen über das Wüten der Truppe in Namibia groß. Aber davon abgesehen: Weder im „Generalplan Ost“, der Blaupause für die Kolonisierung, noch im Protokoll der Wannsee-Konferenz, noch in irgendeiner Notiz eines Nazigrößen oder einfachen Mörders findet sich irgendein Hinweis darauf, dass die Juden so betrachtet wurden, wie es die Kolonialtruppe vierzig Jahre zuvor die Herero betrachtet hatten. Und es war ja auch nicht so, dass die Juden nur im kolonisierten Osten „ausgerottet“ wurden. Im ganzen besetzten Europa – und in verbündeten Ländern wie etwa Vichy-Frankreich, Ungarn oder Italien – wurden sie aufgespürt und ermordet.

Tatsächlich hat selbst Ernst Noltes These vom „kausalen Nexus“ zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus mehr für sich, da die Nazis ausweislich ihrer eigenen Propaganda den Kommunismus und den Kapitalismus als zwei Varianten der „jüdischen Weltherrschaft“ ansahen, gegen die sie einen „nationalen Befreiungskampf“ führten. (Antisemiten „wehren“ sich immer, in Deutschland heute etwa gegen die „Auschwitzkeule“, die gemeinerweise von den Juden gegen sie geschwungen wird, oder in Ungarn gegen George Soros und seine „Rassenvermischungspläne“. Es ist geradezu ein Symptom des Phänomens. Es geht ihnen nicht um Unterwerfung der Juden, sondern darum, wie Hitler schrieb, sich „des Juden zu erwehren“.)

Judenmord:  Historische Genese versus halluzinierte Genealogie

Natürlich gibt es eine „Genealogie des genozidalen Gedankens“. Wie aber ein selbsternannter „Globalhistoriker“ auf die Idee kommen kann, diese Genealogie in Deutsch-Südwest beginnen zu lassen, ist rational nicht zu erklären. Ich will gar nicht von den muslimischen Eroberern des Balkans und Spaniens reden oder von den Massakern im Zuge der Kreuzzüge und der Reconquista; nicht vom christlichen Völkermord an den paganen Sachsen oder von den Vernichtungsorgien des Moslems Tamerlan, nicht von den Waldensern, Wiedertäufern oder Hussiten. Ich will aber darauf hinweisen, dass der Begründer des deutschen Nationalgedankens und der deutschen Nationalsprache, Martin Luther, zugleich auch Verfasser des ersten Aufrufs zur systematischen Vernichtung der Juden ist; und dass schon vor Luther die Erfahrung von Pogrom und Vertreibung zur jüdischen Existenz gehörte wie das Amen zur Kirche, von der die Verfolgung oft genug ausging. Es bedurfte keiner kolonialen Ideologie, um den Judenmord zu rechtfertigen, und sie wurde auch nicht dafür in Anspruch genommen. Im Gegenteil, der Judenmord wurde antikolonial begründet, so wie arabische Nationalisten und islamische Dschihadisten seit Anfang des 20. Jahrhunderts ihren mörderischen Kampf gegen die Juden begründen.

Es ist eben nicht so, dass der koloniale Rassismus dem Antisemitismus vorausgeht, sondern umgekehrt so, dass der christliche Antisemitismus dem europäischen Rassismus vorausgeht.

Das passt aber dem „antiimperialistischen“ Diskurs nicht, der sich der „post colonial studies“ ermächtigt hat und den Kolonialismus als Ursünde und die „Nichtweißen“ als Ur-Opfer imaginiert. Darum fällt eine Untersuchung der Rolle der europäischen Umwälzungen – der Reformation, der Französischen und Russischen Revolutionen – bei der Entwicklung einer „Genealogie des Genozids“ unter den Tisch, obwohl alle drei Katastrophen von horrenden genozidalen Massenmorden gekennzeichnet waren.  Wo Weiße nicht nur Täter, sondern Opfer sind, erlischt das Interesse einer „Wissenschaft“, die nicht auf Erkenntnis aus ist, sondern auf Bestätigung des Grundsatzes „Weiß ist SCHLECHT, Nichtweiß ist GUT!“

Ist die Einmaligkeit des Holocausts eine Frage der Hautfarbe?

In dem Zusammenhang ist die Intervention Jakob Augsteins bezeichnend und bemerkenswert. Er sagt:  „Man kann das mit der Einzigartigkeit aber auch ganz anders sehen, oder? Die aus Jamaika stammende Kulturhistorikerin Imani Tafari-Ama kümmert sich gerade in Flensburg um die Kolonialgeschichte dieser Handelsstadt, und sie hat neulich gesagt, die Europäer müssten anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte sei – größer als der Holocaust. Offenbar hängt der Blick auf die Geschichte auch davon ab, welchem Kulturkreis man angehört.“

Ähm, nein.

Es gibt keinen „weißen“ oder „schwarzen“, „jüdischen“ oder „christlichen“ Blick auf den Holocaust; es gibt, wenn wir von Wissenschaft reden, und hier ist von einer Wissenschaftlerin die Rede, nur den wissenschaftlichen Blick auf den Holocaust. Und „das mit der Einzigartigkeit“ des Holocausts kann man eben nicht „ganz anders sehen“, bloß weil man aus Jamaika stammt. Oder aus Palästina. Oder aus China, wo Mao wütete, der vermutlich größte Massenmörder der Geschichte. Oder aus Deutschland, dessen Bevölkerung ja auch Opfer von Bombenkrieg, Vertreibung und Massenvergewaltigung, Teilung und kommunistischem Terror wurde, wovon aber Jakob Augstein wiederum nicht so gern redet.

Der Holocaust ist – auch wenn Jürgen Zimmerer und Jakob Augstein das ebenso wenig anerkennen möchten wie Ernst Nolte – objektiv einmalig. Nicht wegen der Zahl der Opfer, nicht wegen der angewendeten Mittel, sondern wegen der Loslösung der Vernichtung von jeder Handlung der Opfer, von ihrer religiösen und politischen Haltung, von ihrer sozialen Stellung und Einstellung: Männer, Frauen und Kinder, Greise und Säuglinge mussten allein deshalb sterben, weil sie Juden waren. Nicht als Sklaven (deren Tod den Profit des Sklavenhändlers minderte); nicht als Widerstandskämpfer (und Angehörige von Widerstandskämpfern); nicht als Konterrevolutionäre (und als Konterrevolutionäre verdächtigte); und auch nicht als Ungläubige (die sich ja durch Bekehrung retten können) oder Klassenfeinde. Als Juden.

Nicht nur die Liebe höret nimmer auf

Und natürlich ist diese Feindschaft nicht mit den Schüssen im Bunker am 30. April 1945 von heute auf morgen verschwunden. Sie lebt munter, wenn auch mutiert, weiter. Bei einem Björn Höcke, der von rechts eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert, und bei einer Imani Tafari-Ama, die das von links auch fordert. Bei einem Viktor Orbàn, der von rechts den Juden George Soros zum Zerstörer Europas stilisiert, und bei den „Antiimperialisten“, die von links den jüdischen Staat zur Wurzel allen Übels im Nahen Osten halluzinieren. Wer, wie Jakob Augstein oder Jürgen Zimmerer, solche Gedanken fördert, mag – das glaube ich unbedingt – selbst frei von Judenhass sein und ist doch nicht weniger als Alexander Gauland oder Jörg Meuthen Teil des antisemitischen Diskurses, der eine objektive Tatsache ist, unabhängig vom guten oder schlechten Willen einzelner Teilnehmer.

Zuerst veröffentlicht auf www.starke-meinungen.de am 24.10.2017. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Foto oben: Wikimedia Superbass CC BY-SA 4.0

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