Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."
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"Ein Grundsatz: Es lebe die Sturheit!"

Die Diskussionen über das Thema Asyl wurde in den letzten Wochen heftig geführt. Doch bei all der Hysterie in den Debatten und dem Hass in der Luft sollten wir eines auf keinen Fall aufgeben: Die Sturheit mit der wir darauf bestehen, dass Menschen alle und überall gleich viel wert sind, meint Anetta Kahane.

 

Anetta Kahane

Die Diskussionen der letzten Wochen über das Thema Asyl haben uns einige Tatsachen vor Augen geführt.

Als erstes diese: Es waren keine Diskussionen, sondern unwürdige Spektakel, bei denen das Leid von Menschen als politische Schwungmasse missbraucht wurde. Wie kann es sein, dass ein Land, in dessen Geschichte vor gerade 80 Jahren mit den Pogromnächten gegen die Juden das Menschheitsverbrechen schlechthin begann, heute einen derartigen Missbrauch zulässt? Polemik, Kälte, Zynismus und unverhohlener Rassismus fegten in der sogenannten Asyldebatte Zivilität und Anstand beiseite. Reißerisch, faktenfrei und auf angstschürende Hysterie setzend, haben Politiker und mit ihnen auch einige Medien auf der Klaviatur des Unmenschen gespielt. Und zwar nicht, obwohl - sondern weil - sie wussten, dass die Decke dünn ist über der deutschen Anfälligkeit für den Hass auf das vermeintlich Fremde. Und dass am Ende die AfD davon profitiert und erntet, was sie gesät hat, ohne in der Phase dieser "Diskussion" selbst besonders aktiv zu sein, ist eine fast logisch anmutende Folge dieses kalkulierten Missbrauchs.

Die zweite Tatsache ist, dass wir in Europa keine Vorstellung haben, wie mit Flucht und Migration umzugehen ist. Dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsgesetz hat - noch immer nicht, obwohl so dringend gebraucht - zeigt, wie rückständig Deutschland und Europa sind. Die Entwicklung der Globalisierung nicht zu gestalten, sondern nur auf ihre Folgen zu starren und so Chancen zu verpassen, wird diesen Teil der Welt nicht voranbringen. Europas Abschottung ist ein Zugeständnis an die Populisten, aber keine Politik. Völkische Populisten mögen von dieser kleingeistigen Abwehr weltweiter Entwicklungen profitieren, aber auch das kann nur vorübergehend sein. Deswegen sollten auch wir, die zivile Gesellschaft, mehr Klarheit und Wissen über die Fragen von Flucht, Migration und globaler Entwicklung gewinnen und uns nicht auf das Klagen über die Zustände beschränken.

Die dritte Tatsache ist, dass die demokratischen Standards ins Wanken geraten. Noch sind es nicht die Strukturen und auch nicht das Gerüst aus solider Verwaltung, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit. Noch betrifft es nicht die Verfassungsrechte oder die freien Wahlen. Aber etwas Anderes macht sich breit, das all diese Errungenschaften zum Erodieren bringen kann: der Pessimismus, die Gleichgültigkeit und eine Art destruktiver Selbsthass auf die Demokratie als solche. Ihr Versagen im Einzelnen wird als Versagen als Ganzes gedeutet. Mit dem Hinweis auf die riesigen Probleme und Herausforderungen unserer Zeit wird die Demokratie als handlungsunfähig beschrieben, ja verachtet. Und mit ihr alle, die in ihrem Sinne arbeiten. Aus verständlicher und notwendiger Kritik an Zuständen entsteht eine zerstörerische, pessimistische und am Ende den Rechten dienende Aufgabe aller Werte, um die so lange gekämpft wurde.

Wie sollen wir darauf reagieren? Einfach weitermachen mit dem Engagement? Ist das nicht zu wenig? Nein, das ist es nicht. Und es ist auch nicht zu wenig, Vernunft und Überblick zu behalten. Und vielleicht ab und zu die Kraft zu finden, sich nicht hetzen zu lassen - weder in Sinn von Geschwindigkeit bzw. des Sich-getrieben-fühlens, noch im Sinn der Eskalation. Wut und Hass machen auch wütend. Und Gründe dafür gibt es mehr als wir manchmal ertragen können. Das ist menschlich. Doch was wir brauchen in der zivilen Gesellschaft, ist auch festzuhalten an den eigenen Werten - zu denen auch Geduld gehört, Kontinuität, wenn es um Menschenrechte und Gleichwertigkeit geht. Wir werden über vieles weiter nachdenken müssen, da die Welt sich verändert. Aber derweil sollten wir bei aller Hysterie in den Debatten und dem Hass in der Luft eines auf keinen Fall aufgeben: Die Sturheit mit der wir darauf bestehen, dass Menschen alle und überall gleich viel wert sind.

Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung Quelle: AAS

 

Titelbild: Flickr 5auge / CC BY-NC-ND 2.0
 

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