Dortmund: Aktionsplan gegen Nazis? Machen wir selbst!

Dortmund hat ein Problem mit "Autonomen Nationalisten" wie Altnazis. Aber die staatlich geförderten "lokalen Aktionspläne" schienen den Verantwortlichen wenig passgenau. Deshalb entwickelt Dortmund in Kooperation mit Wissenschaftlern aus Bielefeld lieber ein eigenes Aktionsmodell.

Von Dierk Borstel

Die sozialdemokratische Herzkammer des Ruhrgebietes leidet an brauner Gefäßverengung. Jenseits der rechtsextremen Klassiker-Äußerungsformen - die DVU sitzt im Stadtrat, es gibt eine Kameradschaft um den „alten Kämpfer“ Siegfried "SS-Sigi" Borchardt - modernisierte sich in Dortmund die rechtsextreme Szene und bildet heute eine Vorhut der so genannten "Autonomen Nationalisten". Immer im Herbst rufen die braunen Horden vereint zur Antikriegsdemonstration. Aber auch übers Jahr steigen die Aktionen besonders der jugendlichen Rechtsextremisten. Ein Höhepunkt war ein gewalttätiger Angriff auf eine gewerkschaftsnahe Demonstration zum 1. Mai in diesem Jahr.

Doch schon vorher reagierte die Stadtverwaltung auf den wachsenden Neonazismus, nahm die Hinweise aus der breit gefächerten und aktiven Zivilgesellschaft auf und gründete eine zentrale Koordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz, die fortan die zahlreichen Aktivitäten in der Stadt betreuen, vor allem aber auch durch einen lokalen Aktionsplan animieren soll.

Und an dieser Stelle beginnt das Dortmunder Modell:

Nachdem lokale Aktionspläne zwischenzeitlich zum zentralen Zauberwort der Demokratieentwicklung geworden sind, stellten sich die Dortmunder zu Recht die Frage: Was macht eigentlich einen „guten“ Aktionsplan aus? Was muss er leisten und wo soll er ansetzen? Blickt man auf die gängige Praxis weisen sich viele bestehende Aktionspläne als Sammelsurium von Kleinstprojekten aus, die scheinbar keiner inneren Logik folgen, sondern eher einer „Schrottschusslogik“ (so Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer), nach der irgendeine der verballerten Kugeln schon irgendwas Richtiges treffen wird. Andere Aktionspläne fördern dann auch lieber gleich den örtlichen Platzhirsch der Zivilgesellschaft oder den vor Ort am besten vernetzten Sozialträger, dessen bisherige Angebote ab sofort auch gegen Rechtsextremismus wirken sollen.

Dortmund geht diesen Weg nicht, sondern suchte die Kooperation mit der Wissenschaft. Per Ausschreibung wurden Ideen zur Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis abgerufen. Den Zuschlag bekam schließlich das Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) mit einem dreiteiligen Angebot.

Das erste Modul zielte dabei auf die Situationsanalyse. Worauf muss ein Aktionsplan eigentlich reagieren? Auf welche Situation muss er zugespitzt werden? Um diese Frage zu beantworten führt das IKG eine telefonische Befragung in ausgesuchten Stadtteilen durch und fragte dort einerseits nach dem Potential an Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung; andererseits aber auch nach den bürgergesellschaftlichen Potentialen der Stadt, umso eine repräsentative Übersicht über ideologische Gefährdungen und demokratische Chancenstrukturen der Stadtgesellschaft zu erhalten.

Im zweiten Schritt folgt eine beschreibende Analyse der rechtsextremen Strukturen und Szenen, ihrer Ideologien, Ziele, Aktivitäten und Treffpunkte. Ziel dieses Bereiches ist, mögliche Interventionen passgenau zu gestalten, indem nicht ein abstrakter Rechtsextremismus, sondern der konkrete vor Ort bearbeitet werden kann.

Zu guter Letzt fällt dann noch der Blick auf die demokratischen Netzwerke selbst. Eine dezidierte Analyse widmet sich der demokratischen Kommunikation. Wer arbeitet eigentlich mit wem zusammen und wer sollte mit wem zusammenarbeiten? Gibt es blinde Flecken der Kooperation oder fallen wichtige Akteure gar aus?

Im Zusammenspiel geben diese drei Module eine komplexe Handlungsgrundlage für die demokratischen Akteure. Weder wird der Blick auf den „harten“ Rechtsextremismus verengt, noch die demokratische Seite vergessen.

Das Projekt läuft noch und noch liegen erst wenige Ergebnisse vor. Dennoch ist mit aufregenden Debatten zu rechnen, wenn die Ergebnisse präsentiert werden. Von der Anlage her könnte Dortmund zum Modell der Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis werden, da die Wissenschaft ihre Expertise passgenau für die Praxis entwickelt und somit eine Zuliefererfunktion übernimmt. Andererseits wird auch die Praxis die Wissenschaftler inspirieren, wenn ihre Ergebnisse auf den Prüfstand kommen und ihren Nutzwert für den zu entwickelnden lokalen Aktionsplan beweisen müssen.

Dieser Text ist aus der Reihe "Transferstrecke - Dialog zwischen Theorie und Praxis".

Die Reihe berichtet über den Austausch von Wissenschaft und Praxis bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Anhand kurzer Texte, Rezensionen und Berichte soll immer wieder gefragt werden: Was kann daraus die Wissenschaft und was die Praxis lernen? Wo gibt es Brücken und wo gibt es Hindernisse, die nicht überbrückt werden können? Was lässt sich voneinander lernen?Für dieses Experiment verantwortlich ist Dierk Borstel. Er arbeitet sowohl wissenschaftlich an zwei Universitäten in Bielefeld und Greifswald sowie praktisch im Themenfeld Rechtsextremismus im Rahmen der Initiative EXIT-Deutschland.

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