Neueste Zahlen belegen, dass die rechtsextremen Gewalttaten in Deutschland auf hohem Niveau verharren. Experten sprechen allerdings von einer neuen Qualität der Gewalt. Wie gefährlich ist die rechte Szene?
Von Frank Jansen
Der Staatssekretär des Innenministeriums von Sachsen-Anhalt war geschockt. Rüdiger Erben stand am Montag in Magdeburg auf dem schäbigen Hinterhof eines ehemaligen Betriebsgeländes und blickte in die Höhe. Vom Dach des Gebäudes, etwa sieben Meter hoch, hatte in der Nacht zum Sonntag ein Neonazi einen schweren Feuerlöscher auf Polizisten geworfen. Nur um Haaresbreite verfehlte das Wurfgeschoss einen Beamten. Er sei erschüttert über die Brutalität, mit der die Rechtsextremisten gegen die Polizei vorgegangen sind, sagte Rüdiger Erben nach der Rückkehr ins Ministerium.
Nur mit Mühe hatte die Polizei ein Treffen von 100 Neonazis aus Sachsen-Anhalt und weiteren Ländern auflösen können. Die Rechtsextremisten attackierten schon die ersten Beamten, die nur dem Verdacht auf illegal abgezweigten Strom bei der Versammlung nachgehen wollten. Dann flog der Feuerlöscher. Der Täter konnte entkommen.
Magdeburg ist lediglich ein Beispiel für die weiter zunehmende Aggressivität einer schon reichlich schlagwütigen Szene – die sich mit rechtem Skinhead-Rock und „NS-Hatecore“ aufheizt. Innenpolitiker, Polizisten und Verfassungsschützer sind beunruhigt, auch wenn die Zahlen der bundesweit erfassten rechten Gewaltdelikte des ersten Halbjahres keinen Anstieg gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum 2007 signalisieren – allerdings verharren sie auf hohem Niveau. Im vergangenen Jahr hatte die Polizei insgesamt 1054 rechte Gewaltdelikte registriert.
Wie Staatssekretär Erben sieht nun auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, „eine neue Qualität“. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel nennt Ziercke als herausragendes Tatgeschehen vor allem die Krawalle am 1. Mai dieses Jahres in Hamburg. Dort hatten sich hunderte Neonazis, formiert als schwarzer Block, auf linke, zum Teil ebenfalls gewalttätige Gegendemonstranten sowie Polizisten und Journalisten gestürzt. Der noch am Tag danach sichtlich bestürzte Einsatzleiter sagte, „wenn sich die Polizei nicht dazwischen geworfen hätte, dann hätte es Tote gegeben“.
Der BKA-Chef warnt: Die als schwarzer Block der Neonazis auftretenden und den linksautonomen Gegner kopierenden Autonomen Nationalisten „attackieren Linke und Polizisten mit einer Aggressivität, die man als Strategiewechsel werten kann“. Früher hätten Neonazis aus taktischen Gründen bei Aufmärschen weitgehend auf Gewalt verzichtet, „aber das scheint nicht mehr zu gelten“, sagt Ziercke. Verfassungsschützer sehen in Teilen der Neonazi-Szene, nicht nur bei den Autonomen Nationalisten, eine „Enthumanisierung“. Neben der Randale in Magdeburg werden zwei weitere, einschlägige Fälle erwähnt. Sie zeugen von einer Art Dualität der rechten Gewalt: Gezielte Angriffe auf verhasste Gegner ergänzen die typisch dumpfe Prügelorgie.
Fall eins: In Hessen, nahe Homberg, überfielen Neonazis im Juli ein Sommercamp von „solid“, der Jugendorganisation der Linkspartei. Ein Rechtsextremist schlug mit einem Klappspaten auf eine schlafende 13-Jährige ein und verletzte sie schwer. Fall zwei: Im brandenburgischen Templin traten, ebenfalls im Juli, zwei Rechtsextremisten einen 55 Jahre alten Mann zu Tode. Das Motiv ist noch unklar, die Gesinnung der Täter hingegen eindeutig. Die bestialische Tat vergleichen Sicherheitsexperten mit dem Gewaltexzess von Potzlow. In dem Dorf im Norden Brandenburgs hatten 2002 drei Rechtsextremisten den Hip-Hop-Fan Marinus Schöberl gequält. Dann tötete einer der Schläger das Opfer mit einem Sprung auf den Kopf. Ein Mittäter wurde jetzt erneut verurteilt, wegen Körperverletzung. Der Richter nannte ihn eine „tickende Zeitbombe“.
Sorgen bereitet den Sicherheitsbehörden auch die steigende Zahl der rechtsextrem motivierten Brandstiftungen. Laut Ziercke wurden im ersten Halbjahr 15 Delikte gezählt – fünfmal so viel wie von Januar bis Juni 2007. Angriffsziele sind oft ausländische Imbisse, aber auch auf linke Treffpunkte fliegen Brandflaschen.
Als eine Ursache für die fortschreitende Verrohung der Szene nennen Verfassungsschützer einen aufbrechenden „Hass-Stau“ bei Neonazis, nachdem man sich auf Demonstrationen trotz der Wut auf Polizei und Nazi-Gegner lange zurückgehalten habe – oft zuliebe der NPD, die sich um bürgerliche Reputation bemüht. Außerdem nähmen die Konflikte mit der Partei wieder zu, wodurch die NPD an Einfluss auf Neonazis verliere. So haben sich jetzt zahlreiche Szeneanführer und sogar NPD-Funktionäre mit dem Parteipräsidium angelegt. Der Neonazi Thomas Wulff, Ex-Vorstandsmitglied der NPD, hatte im Juli beim Begräbnis des Altnazis Friedhelm Busse eine Hakenkreuzfahne auf den Sarg gelegt. Das Präsidium rügte Wulff und brachte damit Aktivisten der Szene in Rage, die der NPD ein Ende der Kooperation androhen. Würden wieder größere Teile des Neonazi-Spektrums frei vagabundieren, wäre noch mehr Militanz zu erwarten, befürchten Sicherheitsexperten.
Welche Gewaltfantasien in jungrechten Köpfen gären, zeigt ein Vorfall, der selbst altgediente Verfassungsschützer entsetzt hat. Vor einem halben Jahr verwiesen die Betreiber eines in der Szene populären und intensiv genutzten Internetportals auf ein Video russischer Rechtsextremisten. Zu sehen war, wie Neonazis vor einer Hakenkreuzfahne einen Kaukasier misshandeln. Zum Schluss, als sollten islamistische Terroristen imitiert werden, schneiden die Täter dem Opfer den Kopf ab.
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Dieser Artikel ist am 07.August im Tagesspiegel erschienen