+++ Berlin: Mit Flasche beworfen und antisemitisch beleidigt +++ Jüdischer Junge verlässt Schule nach antisemitischen Vorfällen +++ Frau nach Israel-Flug am Flughafen beleidigt +++ Wie alltäglich ist Antisemitismus an Schulen? +++ Der alltägliche Antisemitismus kehrt zurück +++ EU-Beauftragte beklagt wachsende Judenfeindlichkeit in Europa +++ Antisemitismusbericht: Juden in Deutschland fühlen sich bedroht +++ Expert_innen fordern Antisemitismus-Beauftragten +++ Josef Schuster: Uns fehlen die Werkzeuge gegen Antisemitismus +++ Gefälschtes Schulz-Bild: AfD zeigt wie Antisemitismus funktioniert +++ Charlotte Knobloch: „Die AfD ist für jüdische Menschen nicht wählbar“ +++ Vergessene Darmstädter Juden +++
Zusammengestellt von Simon Raulf
Berlin: Mit Flasche beworfen und antisemitisch beleidigt
Ein 32-Jähriger ist am Berliner Ostbahnhof mit einer Glasflasche beworfen und antisemitisch beleidigt worden. Die Flasche sei am 12. April aus einer Gruppe heraus geworfen worden, teilte die Polizei am Donnerstag mit. Als der Mann die Gruppe daraufhin ansprach, beleidigte ihn eine 38-Jährige mehrfach und lautstark als «Scheiß Jude». Bundespolizisten stellten die betrunkene Frau daraufhin und erteilten ihr einen Platzverweis. Die Polizei ermittelt nun wegen Volksverhetzung gegen die 38-Jährige und prüft den Verdacht der gefährlichen Körperverletzung.
Berlin: Jüdischer Junge verlässt Schule nach antisemitischen Vorfällen
An der Friedenauer Gemeinschaftsschule hat ein jüdischer Junge nach einem Angriff gegen ihn die Schule verlassen. Die Familie spricht von Antisemitismus. Der 14-Jährige war vor ein paar Monaten von einem Mitschüler beleidigt worden, nachdem dieser erfahren hatte, dass der Junge jüdisch ist. Vor rund zwei Wochen wurde er dann von zwei anderen Mitschülern an einer Bushaltestelle angegriffen. Sie nahmen ihn in den Schwitzkasten, richteten eine Spielzeugpistole auf ihn und schossen Plastikteile auf ihn. Zuvor sollen sie „Hey, du Engländer“ gerufen haben. An der Friedenauer Gemeinschaftsschule haben rund 75 Prozent der Schüler eine andere Herkunftssprache als Deutsch, viele kommen aus türkischen oder arabischen Familien. Dies trifft nach Angaben von Schulleiter Uwe Runkel auch auf die tatverdächtigen Jugendlichen zu. Der jüdische Junge war vor rund vier Monaten an die Schule gekommen, er wurde in England geboren und lebte dort eine zeitlang.
Zentralrat der Juden fordert daraufhin lückenlose Aufklärung
Nach einer Reihe von antisemitischen Übergriffen an einer Berliner Gemeinschaftsschule fordert der Zentralrat der Juden in Deutschland Aufklärung. „Hier geht es um Antisemitismus übelster Art“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster dem Berliner „Tagesspiegel“. Er verlangte von der Berliner Schulverwaltung, den Fall zu untersuchen und mögliche Fehler der Schulleitung zu benennen.
Eltern reagieren mit Leserbrief, der große Kritik hervorruft
Die Eltern reagieren in ihrem Brief mit Bestürzung ob des Übergriffs auf den Jungen und drücken der Familie ihr Mitgefühl aus. Die Eltern relativieren in ihrem Brief schließlich das antisemitische Mobbing gegen den Mitschüler ihrer Kinder. Seit Jahrzehnten existiere ein nicht enden wollender Konflikt zwischen Arabern und Juden im Nahen Osten. Eine Stadt wie Berlin, die von Menschen beider Religionen und Kulturen bewohnt und bereichert werde, könne von so einem Konflikt nicht verschont bleiben.
- Der Brief im Wortlaut: http://www.tagesspiegel.de/downloads/19623530/1/elternbrief.pdf
- http://www.huffingtonpost.de/2017/04/08/antisemitismus-berlin-schule-reaktion-eltern-emporung_n_15877876.html
Auf das Schreiben der Eltern hat nun Sergey Lagodinsky reagiert. Er ist Leiter des Referats EU/Nordamerika der Heinrich-Böll-Stiftung und steht in Kontakt mit der Familie des betroffenen Schülers: "Dieser Brief ist ein Dokument des Versagens.“
- http://www.tagesspiegel.de/berlin/antisemitischer-vorfall-in-berlin-brief-der-eltern-ist-ein-dokument-des-versagens/19633288.html
- vgl. Anetta Kahanes Kommentar auf Belltower.News
Frau nach Israel-Flug am Flughafen Berlin-Schönefeld beleidigt
Die Frau landete mit einer EL-AL-Maschine aus Israel, das wegen einer zweistündigen Verspätung zeitgleich mit einer Flug aus dem Libanon ankam. Sie betrat als Erste die Ankunftshalle, wo die Gruppe junge Männer sich bereits befand. Diese riefen ihr "Free, free Palestine" zu. Die Männer bildeten daraufhin ein schmales Spalier, das die Frau durchqueren musste. Die aus Sachsen-Anhalt stammende Frau meldete die bedrohliche Situation dem ansässigen Sicherheitsdienstes. Doch bei Anfeindungen blieb es nicht. Jemand hat sogar eine brennende Zigarette in ihren Rucksack geworfen, was sie wenig später schockiert feststellen musste.
Wie alltäglich ist Antisemitismus an Schulen?
Ein jüdischer Junge wird in Berlin antisemitisch beschimpft und verlässt die Schule. Im Interview erklärt eine Expertin, wieso die Beleidigung „Du Judenschwein“ nicht nur unter arabischstämmigen Kinder verbreitet ist – und wie Lehrer reagieren sollten.
Der alltägliche Antisemitismus kehrt zurück
In Düsseldorf wird der von auswärts angereisten Mitarbeiterin eines Filmfestivals ihre Übernachtungsanfrage mit «An Juden wird nicht vermietet» beantwortet. In Berlin wird ein Rabbi aus einem vorbeifahrenden Auto mit «Jude» angebrüllt. In Weyhe in Niedersachsen erhält der Bürgermeister einen Brief, in dem unter anderem darüber geklagt wird, dass «Juden alles in den Arsch gesteckt» werde. Im Stuttgarter Landtag verlangen Abgeordnete der Alternative für Deutschland, dass staatliche Zuschüsse an Schulfahrten umgeleitet werden; statt Orte nationalsozialistischen Unrechts sollen «Stätten deutscher Geschichte» mit staatlicher Förderung besucht werden.
EU-Beauftragte beklagt wachsende Judenfeindlichkeit in Europa
In Europa nimmt Expert_innen zufolge der Antisemitismus zu. Ein deutliches Anwachsen judenfeindlicher Vorfälle sei vor allem in Frankreich und Großbritannien zu beobachten, mit einer Steigerung von bis zu 36 Prozent im vergangenen Jahr. Eine geringere Steigerung gebe es auch in Deutschland, sagte die Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission, Katharina von Schnurbein. Antisemitische Vorfälle würden zunehmend von Rechtsextremen, aber auch von Linksextremen und radikalisierten Muslimen verursacht, sagte Schnurbein. »Dabei geht es nicht um Neuankömmlinge, sondern es sind eher radikalisierte Muslime, die hier schon länger leben«, erklärte die EU-Expertin. Grundsätzlich gebe es in allen Gruppen mehr antisemitische Attacken.
Antisemitismusbericht: Juden in Deutschland fühlen sich bedroht
In Deutschland lebende Jüdinnen und Juden fühlen sich durch Antisemitismus stärker bedroht. Dies geht aus einem Bericht hervor, den der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus (UEA) am 24. April in Berlin vorstellte. Nach einer ersten Bestandaufnahme 2012 ist dies der zweite Bericht über die Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland im Auftrag des Bundestags. Gründe für die in der jüdischen Bevölkerung wahrgenommene Gefahr sind laut UEA zum einen Verunsicherungen durch Rechtspopulismus und Antisemitismus unter Muslimen - besonders im Hinblick auf Geflüchtete. Zum anderen wird die wachsende Bedeutung sozialer Medien, in denen Hassbotschaften und Hetze leicht verbreitet werden können, als Bedrohung empfunden. »Wer Antisemitismus ausleben möchte, kann dies in sozialen Netzwerken hemmungslos und weitgehend unreguliert tun«, so das Gremium.
Expert_innen fordern Antisemitismus-Beauftragten
Der "Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus" hat im Bundestag seinen Bericht zur aktuellen Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland vorgestellt. "Während die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus nicht als relevantes Problem wahrnimmt, sehen sich Juden in Deutschland einer wachsenden Bedrohung ausgesetzt", teilte das Gremium in Berlin mit. Der Expertenkreis fordert die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten, "der bereits vorhandene Bemühungen zur Bekämpfung von Antisemitismus koordinieren soll". Die Wahrnehmung einer steigenden Gefahr durch Antisemitismus lasse sich "auf die gewachsene Bedeutung der sozialen Medien zurückführen. Diese sind zentral bei der Verbreitung von Hassbotschaften und antisemitischer Hetze", heißt es in dem Bericht.
Josef Schuster: Uns fehlen die Werkzeuge gegen Antisemitismus
Wenn Juden oder eine jüdische Einrichtung in Deutschland stellvertretend für den Nahostkonflikt dem Hass und der Gewalt von Jugendlichen ausgesetzt sind, die sich vielleicht auf diese Weise an Israel rächen wollen – was ist das anderes als Antisemitismus? Solcher Art Fälle gibt es immer wieder in Deutschland. Sie zeigen uns: Antisemitismus ist ein vielschichtiges Phänomen geworden. Und noch fehlen uns die Werkzeuge, um zielgerichtet gegen dieses komplexe Problem vorzugehen.
Gefälschtes Schulz-Bild: AfD zeigt wie Antisemitismus funktioniert
Boris Rosenkranz, einer der Gründer des renommierten medienkritischen Blogs „Übermedien“ berichtet von dem „Photoshop-Fake der AfD“. Danach hat die Partei vor einigen Wochen auf Facebook ein vermeintliches Bild von Schulz unter der Überschrift veröffentlicht: „Inszenierter Hype, inszenierte Inhalte, inszenierter Kandidat: Fakenews auf zwei Beinen.“ Das Portrait von Schulz war verfremdet: Er wurde mit „komisch kleinen Hasenzähnen“ (Rosenkranz) und Hakennase gezeigt, ein Klassiker antisemitischer Propaganda.
Charlotte Knobloch: „Die AfD ist für jüdische Menschen nicht wählbar“
In ungewöhnlich scharfer Form hat Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, auf Äußerungen der AfD-Vorsitzenden Frau Petry reagiert. Der Hintergrund: Unmut in der jüdischen Gemeinde hatte bereits ein Facebook-Auftritt der Alternative für Deutschland am Mittwoch ausgelöst. "Wir stehen als AfD an der Seite der jüdischen Gemeinde in Deutschland", stand dort in Kontext mit muslimischen Flüchtlingen und der Sorge vor importierten Antisemitismus zu lesen. Am Donnerstag legte Frauke Petry dann in einem Interview mit der Welt nach. "Die AfD", sagte sie, "stellt einen der wenigen politischen Garanten jüdischen Lebens dar." "Diese Aussagen", stellt Charlotte Knobloch fest, "haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Die AfD steht für Antisemitismus, Rassismus, Fremdenhass, Geschichtsklitterei, Revisionismus, Demokratie- und Freiheitsfeindlichkeit. Die AfD ist für jüdische Menschen nicht wählbar."
Vergessene Darmstädter Juden
Im Zeichen des 75. Jahrestags der Darmstädter Massendeportation von 1942 hat sich der 2011 gegründete Verein für Erinnerungskultur gleich mehrere ehrgeizige Ziele gesteckt: Die Schaffung weiterer Erinnerungsorte für wichtige Persönlichkeiten, Ausstellungen, Vorträge und die alljährliche Aktionswoche gegen Antisemitismus sind geplant. Eines der Projekte ist die Errichtung einer Gedenktafel für Bruno Italiener (1881-1956). Italiener war nicht nur lange Jahre Rabbiner der Liberalen Jüdischen Reform-Gemeinde in Darmstadt, sondern verstand sich auch als deutsch-jüdischer Patriot und betrachtete den Antisemitismus in der frühen Weimarer Republik mit Sorge. Mit seiner 1920 publizierte Broschüre „Waffen im Abwehrkampf“ versuchte er, den deutschen Juden Argumentationshilfen gegen antisemitische Anfeindungen an die Hand zu geben.
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