20. Jahrestag des Brandanschlags von Hünxe: Es ist viel passiert

Im Jahr 1991 gab es – getragen von der Stimmung in der Gesamtbevölkerung – eine ganze Welle furchtbarer Gewalttaten mit rassistischem Hintergrund. Am 3. Oktober jährt sich der Brandanschlag von Hünxe zum 20. Mal. Am Sonntag und Montag wird der Tat gedacht. Drei Neonazis warfen Brandsätze in das Kinderzimmer einer libanesischen Flüchtlingsfamilie – zwei Töchter kämpften mit dem Tod und überlebten schwer gezeichnet. Wie war die Stimmung damals? Wie ist die Stimmung in Hünxe heute?

Von Simone Rafael

Wie die Stimmung in den 1990er Jahren gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen in Deutschland war, illustriert auf erschreckende Art und Weise, ein Bericht des „Spiegels“, geschrieben am 14.10.1991. Darin heißt es zum szenischen Einstieg in den Text über einen vierjährigen (!) Jungen: „Die Jugendlichen wissen, sie können dem Monster mit den leuchtenden Augen nichts tun. Sie haben Mohammed Saado vor sich, Mitglied der prominentesten Asylantenfamilie Deutschlands.“ (Wer es nicht glauben mag: hier im Original).

Und wodurch wurde die Familie Saado so „prominent“, die hier in einem wichtigen deutschen Medium mit einer Wortwahl und einem Zynismus beschrieben wird, wie man sie heute nur RassistInnen unterstellen würde? Rechtsextreme warfen in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1991 Molotow-Cocktails auf das Haus, in dem rund 50 Kriegsflüchtlinge vornehmlich aus dem Libanon und dem Kosovo untergebracht waren. Ein Brandsatz durchschlug das Kinderzimmerfenster der Familie Saado. Dabei wurden die sechsjährige Mokadas und besonders die siebenjährige Zeinab so schwer verletzt, dass sie tagelang mit dem Tod rangen und schließlich schwer gezeichnet überlebten.

Und nur 11 Tage nach der Tat schreibt der „Spiegel“ in einem an sich objektiv oder sogar eher die Täter anklagend gemeinten Bericht unerträgliche Sätze wie „Nicht nur die libanesische Familie Saado, auch die anderen 250 Asylanten von Hünxe erleben seither seltsame Dinge(…); im Supermarkt sollen sie an der Kasse plötzlich nicht mehr ihre Einkaufstasche öffnen; Mohammad und andere Nachwuchs-Asylanten werden auf offener Straße gegrüßt wie Königskinder.“

"Das Boot ist voll"-Mentalität der 1990er Jahre
„In den 1990er Jahren war die Stimmung in ganz Deutschland und auch in Hünxe infiziert von der damals herrschenden ‚Das Boot ist voll‘-Ideologie “, sagt Martin Duscha, heute Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Dinkslaken, 1991 der Gemeindepfarrer in Hünxe. Die Kirchengemeinde war damals ein Motor, der sich in den 1990ern für bessere Lebensbedingungen der Kriegsflüchtlinge in Hünxe einsetzen. So befürwortete die Kirche dafür ein, dass die Flüchtlinge im Ort untergebracht würden statt außerhalb. „Wie hätte denn sonst eine Kommunikation oder ein Miteinander stattfinden sollen?“ sagt Martin Duscha. Die Kommune ging darauf ein. „Da waren wir ganz zufrieden“, sagt Duscha, „aber andererseits haben Kommunalpolitiker das Thema Ausländerfeindlichkeit aufgegriffen, laut gefragt haben: Was tun die hier? Und was kostet uns das alles? Das hat nicht gerade zu einem friedlichen Zusammenleben beigetragen.“

Nach dem Anschlag kommt die "totale Angst"
Die Kirche hatte schon vor dem Brandanschlag vom 3. Oktober Kontakt zu vielen Flüchtlingen in Hünxe, half bei der Lebensbewältigung. Nach dem Brandanschlag, erzählt Martin Duscha, „waren ja nicht nur die beiden hauptsächlich betroffenen Familien traumatisiert – in dem Haus wohnten über 50 Flüchtlinge, und alle hatten totale Angst!“ Zu den Albträumen kam hinzu, dass Rechtsextreme aus der ganzen Region es sich zum „Sport“ machten, an den antirassistischen Mahnwachen vor der Unterkunft vorbeizufahren und weitere Drohungen auszusprechen. „Die haben sogar bei der Familie zu Hause angerufen und gedroht: Diesmal seid ihr davongekommen, aber nächstes Mal passiert Euch Schlimmeres!“ erzählt Martin Duscha erschüttert. Und er berichtet, wie froh er war, dass viele bei den Mahnwachen mitgemacht haben, um zu zeigen, dass sie solidarisch sind.

Verständnis für die Täter
Die Täter waren drei junge Männer aus Hünxe selbst, alle rechtsextrem, zwei davon Skinheads. Angeklagt wurden der 19-jährige Andre, der 19-jährige Jens und der 18-jährige Volker wegen versuchten Mordes. Sie trafen allerdings im Mai 1992 auf einen äußerst verständnisvollen Richter. Der kam zwar zu dem Schluss, dass den Angeklagten schon allein auf Grund der nächtlichen Stunde und der unbeleuchteten Fenster klar gewesen sein musste, dass sich in den Zimmern, auf die ihre Molotow-Cocktails zielten, schlafende Menschen befanden. Dennoch verurteilte er sie nur wegen schwerer Brandstiftung und schwerer Körperverletzung zu fünf und dreieinhalb Jahren Haft. Ihnen sei nicht nachzuweisen, dass sie beim Werfen ihrer Molotowcocktails den Tod von Menschen gewollt hätten. Der Richter sagte bei der Urteilsbegründung, die Angeklagten (!) täten ihm persönlich Leid. Es ist gut, dass das heute nicht mehr vorstellbar ist.

Abwehrreflexe und Aufarbeitung
Dass drei junge Männer aus Hünxe die Täter waren, machte die Abwehrreflexe im Ort entsprechend groß. Medienberichterstattung, so erzählt es Superintendent Duscha, wurde als kollektiver Schuldzuweis wahrgenommen und reflexartig abgelehnt. „Auch die Kirche wurde als Teil dieses ‚Problems‘ wahrgenommen“, sagt Duscha, „aber wir haben nicht locker gelassen mit dem Thema. Wir haben gesagt: Wir müssen das aufarbeiten. Uns erinnern. Am 1. Jahrestag, am 5. Jahretag, am 10. Jahrestag. Immer wieder haben wir Diskussionsforen veranstaltet, Seminare gemacht, und alles versucht, um den Dialog zu fördern.“ In diesem Jahr gedenken die Gemeinde Hünxe und die Hünxer Kirchengemeinden der Tat gemeinsam am 3. Oktober – um 18 Uhr vor dem Haus, wo der Anschlag passierte. Von dort zieht ein Schweigemarsch zur Dorfkirche, wo ein Jugendgottesdienst geplant ist.

Gedenken an die Tat - 2001 und heute
Zum 10. Jahrestag, 2001 sprach erstmals der Bürgermeister von Hünxe auf der Gedenkveranstaltung, und eine Gedenktafel am Haus erinnert an die Tat. „Zum 10. Jahrestag gab es tolle Aktionen“, sagt Saskia Lukassen, Vorsitzende der Jusos in Hünxe, „Schulen und Vereine haben Veranstaltungen gemacht, über Rassismus informiert. Das ist jetzt, zum 20. Jahrestag leider anders. Wir haben den Kontakt frühzeitig gesucht – aber mehr eine Mitwirkung der Gesamtschule vor Ort und eine dortige Behandlung des Themas in der 11. Klasse im SoWi-Unterricht ist nicht herausgekommen." Aber dabei wünscht sich Saskia Lukassen, dass sich gerade die Jugendlichen mit der Tat auseinandersetzen: „Und auch die Zugezogenen, die sich nicht erinnern können, oder auch Leute, die sich nicht erinnern wollen.“ So haben auch die Jusos eine Gedenkaktion organisiert. Ihre findet schon in der Nacht vom 02.auf den 03. Oktober statt. Am 02. Oktober wird auf dem Marktplatz von Hünxe der Film „Zeinabs Wunden“ von Esther Schapira gezeigt, der 1993 entstand, es wird einen Kerzenmarsch geben zum Haus, wo die Tat passierte, und anschließend eine Mahnwache, ganz bewusst auch bis 5 Uhr früh, die ganze Nacht über. "In dem Haus wohnt schließlich noch immer eine Familie, die auch vor zwanzig Jahren dort wohnte", sagt Saskia Lukassen, „wir haben mit ihnen gesprochen, die finden die Aktion gut. Die häufigste Reaktion der Hünxer Bewohnerinnen und Bewohner ist allerdings: Ist das schon zwanzig Jahre her?"

Von den 1991 direkt betroffenen Familien lebt noch eine in Hünxe. Familie Saado zog schon bald nach der Tat nach Duisburg. Aber wie ist das Klima heute in Hünxe? „Das Miteinander ist besser geworden“, sagt Martin Duscha, „heutzutage suchen etwa Politik und Kirche gemeinsam nach Lösungen, das finde ich sehr positiv. Das Klima ist in den Diskussionen deutlich anders geworden.“ Saskia Lukassen sieht das auch so: „Es hängen keine Skinheads mehr auf dem Marktplatz herum, auch sonst tritt Rechtsextremismus nicht mehr zu Tage. Und auch das gesellschaftliche Bild hat sich gewandelt. Trotzdem darf man nicht vergessen, was hier passiert ist – damit es nicht wieder passiert.“

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| Die Welle rechtsextremer Gewalt in den 1990ern

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