Netzwerk zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus
Neba

„Antisemitismus geht über den Hass auf Juden weit hinaus, er ist eine welterklärende Ideologie“

Der Antisemitismus wird gern als Randphänomen der Extreme unserer Gesellschaft dargestellt. Er wird in Politik, Wissenschaft und in der Öffentlichkeit bagatellisiert. Jedoch zeichnen die  wachsende Zahl antisemitischer Übergriffe, antijüdische Parolen auf Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg 2014 oder der Tenor in der Beschneidungsdebatte von 2012 ein ganz anderes Bild. Der Antisemitismus hat sich auf besorgniserregende Weise zurückgemeldet.

von Johanna Voß

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung erklärt, dass es sich um ein Phänomen handelt, das über den Hass auf Juden weit hinausgeht: „Antisemitismus bedroht die Moderne – und die Juden. Deshalb sind wir alle betroffen“. „Wie mit Juden innerhalb einer Gesellschaft umgegangen wird“, so die Holocaustforscherin Deborah Lipstadt „zeigt an, wie es um die Demokratie bestellt ist“.

Als Reaktion auf diesen aufflammenden Antisemitismus hat sich im Februar dieses Jahres das Netzwerk zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus (NEBA) gegründet. Zur ersten Konferenz des Bündnisses, die am 2. Juli in der Topographie des Terrors stattfand, hatten die Amadeu Antonio Stiftung, das American Jewish Commitee und das Moses Mendelsohn Zentrum  eingeladen, gemeinsam über Strategien zur Erfassung, Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus zu diskutieren.
 

"Oft werden antisemitische Vorfälle von der Polizei als solche gar nicht erkannt"
 

Auf der Konferenz und im Gespräch mit Benjamin Steinitz von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) des Vereins für Demokratische Kultur in Berlin (VDK) e.V. wurde deutlich, dass das Problem schon bei der Erfassung antisemitischer Übergriffe beginnt. „Oft werden antisemitische Vorfälle von der Polizei als solche gar nicht erkannt und tauchen daher auch nicht in der Kriminalstatistik auf. Beispielsweise wurde ein in Berlin lebender Israeli am 25. April des vergangenen Jahres von einer Gruppe junger palästinensischer Männer vor seiner Haustür bedroht. »Da ist ja der Jude« riefen sie und schlugen ihn dann nieder. Für das LKA wurde »Der Geschädigte […]  aufgrund seiner israelischen Nationalität beleidigt. Es wurden keine antisemitischen Äußerungen getätigt, diese richteten sich ausschließlich gegen den Staat Israel.« und somit wurde der Vorfall nicht der Kategorie »Antisemitismus« zugeordnet, sondern der Kategorie »Israel-Palästina-Konflikt«“.

„Grundsätzlich ist die genaue Untergliederung der Straftaten in die Kategorien  „Antisemitismus“ und „Israel-Palästina-Konflikt“ begrüßenswert, jedoch mangelt es an einer Sensibilität in den Behörden und an einer Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, um Straftaten adäquat einzuordnen“ so Steinitz „zumal ohne zuverlässige Statistiken und eine detaillierte Erfassung des Problems auch keine Bekämpfung möglich ist“.
 

"Viele Juden und Jüdinnen hatten plötzlich das Gefühl, sich für das Verhalten israelischer Politiker rechtfertigen zu müssen"
 

Auch Bundestagsabgeordneter Volker Beck von den Grünen kritisiert die Kriminalstatistik des Innenministeriums hinsichtlich der Transparenz. „Nur die antisemitischen Straftaten wurden veröffentlicht, die israelfeindlichen jedoch zunächst nicht, obwohl es in Folge des Gaza-Krieges eine angsterregende Explosion israelfeindlicher Straftaten gab. So wurde die Statistik verschönert.“

Dass der Gaza-Krieg 2014 sich auch auf die Lage der Juden und Jüdinnen in Deutschland ausgewirkt hat, ergaben auch Interviews mit Vertreter_innen Berliner Synagogen, die der VDK  mit Unterstützung der Amadeu Antonio Stiftung und des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) e.V. zwischen August und Oktober 2014 durchgeführt hat. „Viele Juden und Jüdinnen hatten plötzlich das Gefühl, sich für das Verhalten israelischer Politiker rechtfertigen zu müssen. Sie wurden aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit für die Politik eines weit entfernten Staates in Haftung genommen“.
 

 „Aus Sorge um die eigene Sicherheit, oder aus Angst nicht ernst genommen zu werden, melden sich viele von Antisemitismus Betroffene erst gar nicht bei der Polizei“
 

Genau solche Entwicklungen, strafrechtlich nicht relevante Vorfälle, oder nicht angezeigte antisemitische Straftaten, die also nicht in der Kriminalstatistik aufgehen, erfasst die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus auch. Sie verfügt somit über ein viel umfassenderes Bild des Antisemitismus in Berlin. „Aus Sorge um die eigene Sicherheit, oder aus Angst nicht ernst genommen zu werden, melden sich viele von Antisemitismus Betroffene erst gar nicht bei der Polizei“ erklärt Steinitz. In England gibt es aus diesem Grund ein System, das es Betroffenen ermöglicht Straftaten nicht nur direkt bei der Polizei, sondern bei einer nicht-staatlichen Organisation namens „Community Security Trust“ anzuzeigen. Da die Mitarbeiter_innen dieser Stellen sensibler im Umgang mit dem Thema Antisemitismus sind, gibt es auch eine höhere Bereitschaft Straftaten zur Anzeige zu bringen. „So ein System könnte auch in Deutschland bei der Erfassung von antisemitischen Übergriffen helfen“ schlägt Steinitz vor.

 

Querfront aus antisemitischen Kräften 
 

Anetta Kahane betont, dass es in Deutschland eine Querfront aus antisemitischen, ja antimodernen Kräften gibt, die sich aus Rechtsextremen, Antiimperialisten, Verschwörungstheoretikern, Islamisten und Pegidisten zusammensetzt. Gerade weil das Spektrum der Antisemiten so breit ist, so Volker Beck, ist die Einteilung der Täter in der Kriminalstatistik für politisch motivierte Kriminalität so irreführend. Die Täter werden in die Kategorien „Ausländer“, „Links“, „ Rechts“ und „Sonstige“ eingeteilt. Jedoch wird diese Aufteilung der Komplexität des Problems nicht gerecht. Beispielsweise wurden die „Montagsmahnwachen für den Frieden“, auf denen sich sowohl linke Antiimperialisten, Anhänger_innen des Veganismus u.a. alternativer Lebensweisen, Personen mit antisemitischen und antiamerikanischen Einstellungen als auch Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker zusammenfanden im Verfassungsschutzbericht als rechtsextrem eingeordnet. „Insgesamt“, so Benjamin Steinitz, „wäre es deshalb sinnvoller sich mehr auf die Motive und Hintergründe der Taten zu konzentrieren als auf eine ungenaue Kategorisierung der Täter selbst. Denn nur so können adäquate Bildungskonzepte zur Bekämpfung entwickelt werden.“

 

 

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