Presseschau ... 28.07.2017

+++NSU-Prozess - Opferanwälte wollen 55 Stunden plädieren+++ „Hochgradig gewaltorientiert“ - Neonazi-Szene in Cottbus+++Landrat unterstützt Protest gegen Rechtsrock-Konzert+++Flüchtige Rechte und Rocker+++Wie radikale Burschenschaften zur Kaderschmiede der AfD werden+++

 

Polizei ermittelt wegen Neonazi-Schmierereien in Bannewitz

Nach rechtsextremen Schmierereien in Bannwitz sucht die Polizei nun nach den Tätern, Unbekannte hatten in der Nacht zu Mittwoch die Wände der Fußgängerunterführung am Turnerweg mit einem Hakenkreuz, Gesichtern und Schriftzügen beschmiert. Die Beamten ermitteln wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

 

NSU-Prozess - Opferanwälte wollen 55 Stunden plädieren

Die vielen Opferanwälte im NSU-Prozess werden wahrscheinlich mehrere Wochen für ihre Plädoyers brauchen. Das geht aus einem Schreiben hervor, das der Berliner Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer am Mittwoch dem Oberlandesgericht München geschickt hat. In dem Schriftsatz sind mit Scharmer selbst insgesamt 50 Juristen aufgelistet, die nacheinander vortragen wollen. Allerdings will nicht jeder ein Einzelplädoyer halten. Mehr als 20 Anwälte haben sich verabredet, in insgesamt vier Gruppen vorzutragen. Scharmer kündigte zudem an, dass die von ihm vertretene Tochter des in Dortmund vom NSU erschossenen Mehmet Kubasik sowie dessen Witwe möglicherweise selbst plädieren werden.

Aus Sicht der Bundesanwaltschaft hat die Ermordung von Michèle Kiesewetter in Heilbronn und der Mordversuch an ihrem Streifenkollegen eine lange Vorgeschichte. Schon in den 1990er Jahren sei für Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Polizei das Feindbild gewesen, sagte Oberstaatsanwältin Anette Greger am Donnerstagnachmittag in ihrem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht München.

 

Gericht: 39-Jähriger verwendet mehrfach verfassungsfeindliche Symbole - Bewährungsstrafe und Sozialstunden

Die Staatsanwaltschaft legte dem arbeitslosen Mann zur Last, im August 2015 als Mitglied der Facebook-Gruppe »Großdeutschland« zwei Bilder mit Hakenkreuzen, Abbildungen von Emblemen mit Hitlergruß und »NSDAP« sowie Bilder von Soldaten mit SS-Runen gepostet zu haben. Im Juli 2016 seien auf einem seiner Computer fünf Dateien mit den Darstellungen Hakenkreuzen sowie von Abzeichen und Grußformeln der NSDAP gefunden worden. Vor Gericht zeigte sich der Angeklagte geständig. Er habe sich zu den Straftaten hinreißen lassen, inzwischen aber von der Neonazi-Szene Abstand gewonnen und sogar seinen Facebook-Account gelöscht. Der fraglichen Facebook-Gruppe habe er höchstens zwei Monate lang angehört.

 

Geldstrafe: Nazi-Verbrechen klein geredet 

Für den Staatsanwalt ist er ein „unbelehrbarer Gesinnungsstraftäter“: Ein Würzburger stand vor Gericht, weil er sich durch rechte Hasskommentare in seinem Blog strafbar gemacht hat.

 

„Hochgradig gewaltorientiert“

Cottbus, die kreisfreie Stadt im Süden Brandenburgs, zählt etwas mehr als 100 000 Einwohner, ist Universitätsstadt – und nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden ein Hotspot der rechtsextremistischen Szene im Land. Fast jede fünfte der 2016 in Brandenburg verübten 167 rechten Gewalttaten registrierte der Verfassungsschutz in der Stadt. 145 Rechtsextremisten zählte die Behörde allein in der Stadt, die umliegenden Regionen nicht eingerechnet. „Die dortige rechtsextremistische Szene ist hochgradig gewaltorientiert“, sagte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) jüngst. „Sie bündelt Neonationalsozialisten, Rocker, Angehörige des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass-Musiker sowie Hooligans.“ Die PNN geben einen Überblick und zeigen, wie die Szene vor Ort aufgestellt ist.

 

Themar in tiefer Sorge wegen Neonazi-Konzert

Wenn an diesem Wochenende Hunderte Rechtsrockfans und Neonazis nach Themar kommen, erfüllt das viele Menschen in der Region mit tiefer Sorge. Dabei geht es nicht nur um die eigene Unversehrtheit, sondern vor allem auch um den braunen Ungeist, der mit jeder weiteren Musikveranstaltung um sich zu greifen droht. Das wurde beim Gesprächsforum „Rechte Hasskonzerte“ im voll besetzten Themarer Schützenhaus deutlich. Veranstalter war das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) aus Jena unter Leitung von Matthias Quent.

Vier Stunden reden über das, was die Region aufwühlt: Immer wieder finden in Südthüringen Neonazikonzerte statt. Das geht schon seit Jahren so. In Hildburghausen, in Römhild – und jetzt in Themar. Die Veranstaltungen tragen offenkundig kommerziellen Charakter. Karten werden angepriesen – und der festgelegte Preis dann als vermeintliche Spende deklariert. Ein Trick womöglich. Die Hass-Veranstaltungen von ganz Rechtsaußen gehen bisher als Demonstrationen durch. Und Demonstrationen sind durch das Versammlungsrecht grundgesetzlich geschützt. Da geht es nicht um Gesinnung, sondern um Meinungsfreiheit – und das sehr weitgehend.

 

Landrat unterstützt Protest gegen Rechtsrock-Konzert

Der Hildburghäuser Landrat Thomas Müller hat dazu aufgerufen, gegen das nächste geplante Rechtsrock-Konzert am Sonnabend in Themar "Flagge zu zeigen". In einer Mitteilung verwies Müller auf ein für den 29. Juli in Themar geplantes Volksfest unter dem Motto "Kein Platz für Nazis - Themar bleibt bunt". Dieses beginne um 11 Uhr mit einem Gottesdienst in der Stadtkirche und werde dann auf dem Marktplatz fortgesetzt. "Liebe Bürgerinnen und Bürger, kommt nach Themar und feiert mit! Ich freue mich, Euch dort zu treffen", so Müller in seiner Mitteilung.

 

Europas "große, neue Pop-Rechte"

In Europa sei eine neue Pop-Rechte entstanden, warnt Susann Witt-Stahl vom Magazin "Melodie & Rhythmus". "Eine Art bunter Blumenstrauß aus älterer populärer Nazi-Kultur" und "neurechter, rechtspopulistischer Kultur". Leider sei der Blick der Medien oft verengt auf Nazi-Bands.

 

Gleicke will 130 000 Euro von Forscher_innen zurück

In der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus in Ostdeutschland geht die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), auf Konfrontation mit der Wissenschaft. Ungewöhnlich deutlich distanziert sie sich von einer im Mai veröffentlichten Studie des Göttinger Institutes für Demokratieforschung, die ihr Haus in Auftrag gegeben hatte. In einem Brief, der der Redaktion vorliegt, teilte sie dem Institut mit, sie lasse die Rückzahlung der Fördermittel prüfen. Gekostet hat die Studie gut 130 000 Euro. Für das Institut verwies Marika Przybilla-Voß auf eine Erklärung im Internet, von einer Rücknahme der Studie ist dort keine Rede. Vom Brief habe man nur aus den Medien erfahren. Anonymisierungen seien in der Sozialwissenschaft Usus, die Abkehr Gleickes komme überraschend. Vermutet werden wahltaktische Erwägungen. „Dass das Ministerium sich überstürzt davonmacht – ohne mit uns zuvor darüber geredet zu haben –, ist bedrückend.“

 

Flüchtige Rechte und Rocker

Der Sprecher der bayerischen SPD-Landtagsfraktion für die Bekämpfung des Rechtsextremismus wollte von der Staatsregierung wissen, wie viele Haftbefehle im Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) und im so genannten Rockermilieu aktuell nicht vollstreckt werden können. 55 Prozent aller offenen Haftbefehle, die den politisch motivierten Straftaten zuzuordnen sind, betreffen nach der nun vorgelegten Antwort der Bayerischen Staatsregierung extreme Rechte. Einige der Gesuchten entziehen sich schon mehrere Jahre dem Zugriff der Behörden. Einer der 65 offenen Haftbefehle betrifft einen Rechtsextremen, der in der Slowakei eine Freiheitsstrafe als Mörder absitzt. Dieser ist deshalb für die deutschen Behörden nicht greifbar. Ein weiterer Eintrag auf der Liste der offenen Fahndungen im Bereich „PMK rechts“ bezieht sich auf eine internationale Fahndung durch Interpol.

 

Ex-NPD-Politiker wegen Wahlfälschung verurteilt

Das Krefelder Landgericht sprach den Mann am Donnerstag (27.07.2017) nicht nur wegen Wahlfälschung, sondern auch wegen versuchter Wählertäuschung und Abgabe von Betäubungsmitteln schuldig. Die Haftstrafe von einem Jahr wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Mann war der NPD zufolge 2012 in den nordrhein-westfälischen Landesvorstand der rechtsextremen Partei gewählt worden. 2014 war er als Bürgermeisterkandidat für die NPD in Kempen angetreten, hatte die Partei nach deren Angaben aber noch im gleichen Jahr wieder verlassen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, zur Kommunalwahl 2014 in Kempen (Kreis Viersen) Scheinkandidaten aufgestellt und Unterschriften gefälscht zu haben.

 

Fitness-Studio schließt Migrant_innen aus – und erntet Shitstorm

Große Aufregung um einen Facebook-Post: Nach der Festnahme von drei Terrorverdächtigen in Güstrow verschickte das Easy Fitness in Güstrow ein Foto an Mitglieder und Facebook-Freunde. Inhalt: die Information, dass man „keine Mitbürger mit Migrationshintergrund mehr aufnehmen“ werde. Dies geschehe vor allem „zum Schutz unserer Mitglieder“.

 

Nazi-Gruppen meiden Wahlteilnahme

Potsdam. Rechtsextreme Kleinstgruppierungen wie »Der III. Weg« und »Die Rechte«, die für sich den Parteienstatus beanspruchen, haben keine Landeslisten eingereicht. An diesem Freitag prüft der Landeswahlausschuss, ob die von insgesamt 15 Parteien eingereichten Landeslisten den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, sagte eine Sprecherin des Landeswahlleiters am Mittwoch in Potsdam. »Die Rechte«, 2012 auf Initiative des Neonazis Christian Worch in Hamburg gegründet, mache auch fünf Jahre danach »allenfalls durch Provokationen von sich reden«, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2016. Die Gruppierung stehe nach »ewigen Streitereien um die Führung« des Landesverbandes in Brandenburg »vor einem Scherbenhaufen«.

 

Besatzung von Antiflüchtlingsschiff wieder frei

Die Besatzungsmitglieder eines Schiffs rechtsextremer Aktivisten, die Flüchtlinge an der Überfahrt nach Europa hindern wollen, sind wieder frei. Der Kapitän der C-Star, der Besitzer des Schiffs und acht Crewmitglieder seien freigelassen worden, meldete Zyperns TV-Sender BRT. Die Rechtsextremen selbst bestätigten dies per Twitter. Das von der Gruppe Defend Europe gecharterte Schiff war im Hafen von Famagusta im türkisch verwalteten Norden Zyperns festgesetzt worden. Die Behörden warfen den zehn Verdächtigen laut der Zeitung Kibris Postasi vor, falsche Papiere zu verwenden. Dieser Verdacht bestätigte sich nach BRT-Informationen nicht. Die Behörden verwiesen die Rechtsextremen schließlich der Insel.

 

Sächsischer Verfassungsschutz korrigiert nach Aufforderung Fehler im Bericht für 2015

2015 war ein seltsames Jahr in Sachsen. In Dresden marschierte Pegida, in Leipzig ein Ableger namens Legida. Und wer genau hinschaute, sah bekannte sächsische Neonazis Seit an Seit mit den ach so besorgten Bürgern spazieren. Am Rand dieser Demos kam es auch zu rechtsradikalen Übergriffen. Einen davon schrieb Sachsens Verfassungsschutz kurzerhand der Gegenseite zu – und korrigiert sich jetzt.

 

Nach Auflösung von „0231 Riot“: Ex-Mitglieder schließen sich laut Bericht rechtsextremer Gruppe an

Anfang der Woche hatte die Dortmunder Hooligan-Gruppe „0231 Riots“ ihre Auflösung bekannt gegeben und war damit einem Verbot durch das Innenministerium entgangen. Nun sollen sich laut WDR viele der ehemaligen Mitglieder einer anderen gewaltbereiten Gruppe anschließen wollen. Die Informationen habe der WDR aus der Dortmunder Ultra-Szene erhalten. Die ehemaligen Riot-Mitglieder sollen sich nun der Dortmunder Hooligan-Gruppe „Northside“ anschließen. Dabei handelt es sich um eine rechtsextreme Gruppe, die seit Jahren aktiv ist und zum Beispiel mit ihren Leuten Straßenkampf trainiert.

 

Wie radikale Burschenschaften zur Kaderschmiede der AfD werden

Sein rundliches Gesicht ist blutüberströmt. Stolz posiert Marcel Grauf für die Kamera. Er trägt ein schwarz-weiß-rotes Band, das an die Fahne des Deutschen Reiches erinnert: Das Erkennungszeichen der Burschenschaft Germania in Marburg. Grauf hat gerade leicht verletzt eine Mensur überstanden, einen Fechtkampf, wie er in sogenannten „schlagenden Studentenverbindungen“ ausgetragen wird. Bei der Mensur geht es um Tradition, darum, sich als Mann zu beweisen. Respektiert wird, wer Narben trägt. Die Burschenschaften sind eine verschwiegene Gemeinschaft - die mehr denn je in der Kritik stehen.

 

Hass und Drohungen im Netz: Politiker_innen wehren sich

In Deutschland werden viele Politiker_innen im Internet bedroht und beschimpft - zum Beispiel der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu. Besonders im Wahlkampf ist das Verhältnis zu sozialen Netzwerken wie Facebook schwierig. "Wir machen schnell noch einen Bumerang", sagt der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu. Sein Wahlkampf-Team stellt sich als Gruppe auf, einer drückt auf Aufnahme auf seinem Smartphone und veröffentlicht das Gif mit der im Takt winkenden Gruppe umgehend im Twitter-Kanal des Politikers, der um seinen Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag kämpft. Mutlu gehört zu den eifrigen Politikern im Netz. An einem Samstagnachmittag radelt er durch Berlin von einer Kuchentafel im Stadtteil Prenzlauer Berg, wo die gut ausgebildete Elite der Berliner Digitalwirtschaft wohnt, bis zu einer Antigewalt-Veranstaltung im Problembezirk Wedding mit hohem Migranten-Anteil. Seine Wähler würden von ihm erwarten, dass er auf Twitter und Facebook umgehend Stellung nimmt, wenn eines "seiner" Themen hoch kocht. Manche aber reizt es zu bösen Reaktionen.

 

4Chan Die Schaltstelle der rechten Trolle im Netz

Auf der Facebook-Seite der Jungen Alternativen, der Nachwuchsorganisation der AfD, taucht regelmäßig ein krakeliges Bild von einem grinsenden Frosch auf, der vor einem Drahtzaun Kaffee trinkt. Hinter dem Zaun ist eine Frau mit Burka und Kind auf dem Arm zu sehen, neben ihr ein Mann mit langem Islamistenbart. Daneben der Slogan „Kein Zaun ist illegal“. Der unvoreingenommene Betrachter könnte die schadenfrohe Zeichnung schlicht für eine fiese Kritzelei halten. Aber tatsächlich handelt es sich um ein komplexes Bild voller Bezüge und Metaebenen. Mit solchen, nur von Insidern zu dekodierenden Bildern haben während der US-Wahl rechte Internet-Trolle den Wahlkampf von Donald Trump unterstützt. Die Junge Alternative überträgt diese Methode nun nach Deutschland.

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