Presseschau 03.04.2017

+++ Berlin-Schöneberg: Jüdischer Junge verlässt Schule nach antisemitischem Vorfall +++ Chemnitz: Nazi-Schmierereien an Arbeits-Agentur +++ Büdingen: Richter prüfen Zahlungsstopp für NPD-Fraktion +++ NSU-Prozess: Ist Beate Zschäpe dominant oder unterwürfig? +++ Schlussbericht NSU-Ausschuss: Scharfe Kritik an Behörden +++ Log der Verfassungsschützer +++

 

Berlin-Schöneberg: Jüdischer Junge verlässt Schule nach antisemitischem Vorfall

An einer Friedenauer Schule wird ein 14-Jähriger antisemitisch beleidigt und angegriffen. Nun hat er die Schule verlassen. Der 14-Jährige war vor ein paar Monaten von einem Mitschüler beleidigt worden, nachdem dieser erfahren hatte, dass der Junge jüdisch ist. Vor rund zwei Wochen wurde er dann von zwei anderen Mitschülern an einer Bushaltestelle angegriffen. Sie nahmen ihn in den Schwitzkasten, richteten eine Spielzeugpistole auf ihn und schossen Plastikteile auf ihn. Zuvor sollen sie „Hey, du Engländer“ gerufen haben. An der Friedenauer Gemeinschaftsschule haben rund 75 Prozent der Schüler eine andere Herkunftssprache als Deutsch, viele kommen aus türkischen oder arabischen Familien. Dies trifft nach Angaben von Schulleiter Uwe Runkel auch auf die tatverdächtigen Jugendlichen zu. Der jüdische Junge war vor rund vier Monaten an die Schule gekommen, er wurde in England geboren und lebte dort eine zeitlang. Über den Fall berichtete zuerst die englischsprachige Wochenzeitung „The Jewish Chronicle“, an die sich die Familie des Jungen gewandt hat. Beim ersten Vorfall habe ein Mitschüler zu dem Jungen gesagt: „Du bist ja eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann nicht mit dir befreundet sein. Juden sind alle Mörder.“ Schulleiter Runkel bestätigte den ersten Teil der Aussage. Dass der Satz „Juden sind alle Mörder“ gefallen sei, wisse er allerdings nicht. Die Schule habe nach diesem Vorfall sofort die Eltern informiert, und Lehrer_innen und Sozialarbeiter_innen hätten den Fall in der Klasse besprochen. Der Junge, der die Beleidigung ausgesprochen hatte, habe die Schule inzwischen verlassen, weil er weggezogen sei, sagte Runkel. Die Eltern des Opfers nahmen ihren Sohn direkt nach der Tat von der Schule. „Ich bedauere sehr, dass der Junge uns verlassen hat und natürlich auch, dass so etwas überhaupt passiert ist“, sagt Runkel. Laut dem Bericht in der „Jewish Chronicle“ sind die Eltern unzufrieden mit der Reaktion der Schule. Der Schulleiter habe zu spät reagiert. Das weist Runkel zurück: „Nach dem ersten Vorfall haben wir die Sache sofort aufgearbeitet. Jetzt haben wir leider nicht mehr die Möglichkeit, dem Jungen zu vermitteln, dass er hier sicher ist. Aber wir werden uns weiter mit dem Thema beschäftigen, und für die Täter wird es Konsequenzen haben.“

Jetzt fordern der Zentralrat der Juden in Deutschland (Tagesspiegel) und das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (Tagesspiegel) Konsequenzen. „Solche Vorfälle gibt es immer häufiger und nicht nur in Berlin“, sagte der Sprecher des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, Levi Salomon, dem Tagesspiegel: „Es wäre dringend an der Zeit, dass die Bundesregierung einen Antisemitismus-Beauftragten einsetzt. Jüdische Organisationen und Gemeinden fordern das seit längerem. Gerade in einer Zeit, in der Antisemitismus wieder hoffähig wird, wäre ein entsprechender Ansprechpartner wichtig.“

 

Chemnitz: Nazi-Schmierereien an Arbeits-Agentur

Unbekannte haben die Fassade der Arbeitsagentur Chemnitz mit Hakenkreuzen besprüht. Nach Angaben der Polizei wurden an der Behörde und einem weiteren Gebäude insgesamt 33 der verbotenen NS-Symbole gezählt. Die mit roter Farbe aufgesprühten Zeichen sind teilweise mehr als einen Meter groß. Ein Zeuge hatte die verfassungsfeindlichen Schmierereien im Stadtteil Altchemnitz am Sonnabendmorgen entdeckt. Die Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen und bittet dazu auch um Hinweise aus der Bevölkerung.

 

Büdingen: Richter prüfen Zahlungsstopp für NPD-Fraktion

Ende Januar hatte die Büdinger Stadtverordnetenversammlung der NPD-Fraktion die Gelder gestrichen. Die Stadt in der Wetterau reagierte mit dem deutschlandweit wohl einmaligen Schritt auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Das hatte zuvor die NPD zwar nicht verboten, weil sie dafür zu unbedeutend sei. Die Richter wiesen aber auf "andere Reaktionsmöglichkeiten" gegen die Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen hin - wie den Entzug der Parteienfinanzierung. Am kommenden Mittwoch muss nun der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel entscheiden, ob die Satzungsänderung in Büdingen rechtlich bestand hat oder nur ein symbolischer Schnellschuss war.

 

NSU-Prozess: Ist Beate Zschäpe dominant oder unterwürfig?

In München geht der NSU-Prozess seinem Ende entgegen. Eine weitere Wendung: Ein Gegengutachter will belegen, dass Beate Zschäpe vermindert schuldfähig ist. Die beiden neuen Verteidiger der als Rechtsterroristin angeklagten Beate Zschäpe, Hermann Borchert und Mathias Grasel, beantragten die Vorstellung des psychiatrischen Gegengutachtens. In ihrem Auftrag hat sich der Freiburger Psychiatrie-Professor Joachim Bauer mehrfach mit Zschäpe unterhalten und kommt laut Anwalt Grasel zu dem Schluss, dass Zschäpe an einer „schweren dependenten Persönlichkeitsstörung“ gelitten habe und nur vermindert schuldfähig sei. Darunter versteht man die massive Abhängigkeit von anderen Menschen, das „Klammern“, was einhergeht mit Unterwürfigkeit und geringem Selbstbewusstsein. Gerichtsgutachter Henning Saß, dem Zschäpe das Gespräch verweigerte, ist zu völlig anderen Einschätzungen gekommen: Er hält die mittlerweile 42-jährige Angeklagte für voll schuldfähig und sieht in ihr eine dominante Persönlichkeit, die gerne die Fäden in der Hand hält und es versteht, Menschen zu manipulieren. 

 

Schlussbericht NSU-Ausschuss: Scharfe Kritik an Behörden

54 Sitzungen, 75 Zeugen, über 4.815 offene und geheime Akten - nach gut zwei Jahren Arbeit stellt der NSU-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages am Donnerstag (06.04.2017) seinen Schlussbericht im Parlament vor. Am Montag (03.04.2017) wurde er vorab im Netz veröffentlicht. Auf knapp 800 Seiten legt der Ausschuss dar, was seine "Untersuchung eines möglichen Fehlverhaltens" von NRW-Behörden ergeben hat. Im Fokus standen dabei die Ermittlungen zu den drei Taten in NRW, die dem NSU zugerechnet werden: zwei Sprengstoffanschläge in Köln, ein Mord in Dortmund.

 

Log der Verfassungsschützer

Er bleibt bis heute dabei. Nichts will Andreas Temme vom Mord an Halit Yozgat mitbekommen haben. Keinen Schuss will der Verfassungsschützer gehört haben, als am 6. April 2006 der NSU den 21-Jährigen in seinem Kasseler Internetcafé ermordete. Auch Yozgats Leiche will er nicht gesehen haben, als er das Geschäft verließ.

Der Fall zählt bis heute zu den mysteriösesten im NSU-Komplex: Warum war ausgerechnet der Verfassungsschützer Andreas Temme beim Mord der Rechtsterroristen in Kassel am Tatort? Warum hatte er sich als einziger der Anwesenden nicht als Zeuge gemeldet?

 

Wie "rechts" ist Niedersachsens AfD-Chef Hampel?

Es ging um eine angeblich "dämliche Bewältigungspolitik" angesichts der Erinnerung an die Nazi-Diktatur und der Forderung nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad": Die sogenannte Dresdner Rede des thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke hat für Empörung gesorgt. Auch in der AfD: Der Bundesvorstand setzte ein Partei-Ausschlussverfahren durch, wenn gleich bis heute unklar ist, wann es in dieser Sache konkret wird. Einer war dagegen: der niedersächsische Parteichef Armin Paul Hampel. Er wollte einen Parteiausschluss nicht einmal versuchen und stimmte im Bundesvorstand ausdrücklich dagegen.

 

AfD um Harmonie bemüht: Votum gegen Ausschluss von Höcke

Schluss mit den Personalquerelen. Darin ist sich die Basis der AfD in Sachsen einig. Zugleich wird bei zwei Abstimmungen Distanz zum Landesvorstand deutlich. Nach parteiinternen Querelen will die sächsische AfD zur Bundestagswahl möglichst geschlossen auftreten. Das machte die Parteibasis am Samstag bei der Fortsetzung ihres Parteitages in Weinböhla deutlich. Appelle zur Geschlossenheit gab es reichlich. Bei zwei Abstimmungen votierte die Mehrheit aber gegen Standpunkte des Landesvorstandes. Dabei ging es um brisante Fragen: das Verhältnis der sächsischen AfD-Mitglieder zum Parteiausschlussverfahren für den Thüringer Landeschef Björn Höcke und Vorgaben beim Umgang mit der rassistischen und flüchtlingsfeindlichen Pegida-Bewegung. Der AfD-Bundesvorstand strengte ein Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke wegen seiner Rede in Dresden an, wenngleich sich Höcke für seine Aussagen später entschuldigte. Über das Verfahren hat das Schiedsgericht der Partei in Thüringen zu befinden. Sächsische AfD-Mitglieder forderten ihren Landesvorstand nun auf, beim Bundesvorstand gegen das Verfahren einzutreten. 

 

Die AfD ist auf dem Weg in den völkisch-autoritären Nationalismus

Vor gut zwei Jahren, als der Vorsitzende der Alternative für Deutschland noch ein gewisser Bernd Lucke war, wurde unter Politolog_innen als Alarmist eingestuft, wer in der AfD von Beginn an ein großes Stück Pegida enthalten fand. Die meisten Expert_innen sahen die Nationalkonservativen und Nationalliberalen obsiegen, unterstützt durch Mandatsträger der Partei, die nicht in die ganz rechte Ecke geschoben werden wollten. Wohin die Reise tatsächlich ging, nämlich weit nach rechts vom Euroskeptizismus zum völkisch-autoritären Nationalismus, beschreiben die investigativen Reportagen der Spiegel-Redakteurin Melanie Amann und ihres FAZ-Kollegen Justus Bender. Unabhängig voneinander sind sie tief in den Maschinenraum der Partei hinabgestiegen und haben AfDler in der Führungsetage wie in den Mannschaftsräumen nah an sich herankommen lassen. In Reaktion auf den Vorwurf "Lügenpresse", der ihnen inflationär entgegenschallte, reflektieren sie dabei ihre eigene Rolle als Berichterstatter, Aufdecker und Projektionsfläche.

 

Anzeige gegen AfD-Kandidat und Ex-"BamS"-Vize Nicolaus Fest

Hintergrund ist ein Blogeintrag, in dem sich Fest abfällig über Gastarbeiter_innen sowie Heranwachsende aus arabischen, afrikanischen Ländern und der Türkei äußert: "Alle sind laut, aggressiv, präpotent, ohne den Willen zur einfachsten Höflichkeit, ohne jede soziale Intelligenz." Sie seien "primitiv und bösartig". Gastarbeiter_innen bezeichnet er pauschal als "Gesindel": Man müsse den Satz von Max Frisch, "dem zufolge wir Gastarbeiter riefen, aber Menschen bekamen, vielleicht korrigieren: Wir riefen Gastarbeiter, bekamen aber Gesindel." 

 

Sachsenland unter

Heike Kleffner und Matthias Meisner analysieren die politischen Verhältnisse im Freistaat zwischen Pegida, Anti-Flüchtlingsparolen und Rechtsextremismus. Eine Rolle spielt dabei die CDU - und das oft sehr persönliche Engagement einiger Autoren.

 

Philipp Lahm: „Deutschland darf nicht rechts werden“

FC-Bayern-Kapitän Philipp Lahm hat sich im Interview mit der „Welt am Sonntag“ besorgt über den Rechtspopulismus in Deutschland vor dem Hintergrund der Bundestagswahl gezeigt. „Ich denke, was vermutlich die meisten von uns denken: dass Deutschland nichts rechts werden darf. Dass nicht die Falschen, die Populisten, mehr Macht bekommen dürfen“, sagte der Fußball-Weltmeister. „Wir alle haben Jahre dafür gearbeitet, dass Deutschland ein weltoffenes Land geworden ist. Wir sollten alles dafür tun, dass das auch so bleibt. Wir leben hier in einer gesunden Gesellschaft. Das darf nicht verloren gehen.“

 

Wenn Homosexualität und Klimawandel zusammenhängen

Zwei AfD-Menschen fackeln die Regenbogenfahne ab, der neue harte Flügel der CDU wendet sich gegen den „Genderirrsinn und sexuelle Früherziehung“, neben allerlei Schmonzes, den man vielleicht noch mit einem müden Kopfnicken wieder vergessen könnte. Und gleicht in seiner überlegten Weitsicht der Reformierung der US-Politik durch den geliebten Führer Trump.

 

Medien am rechten Rand: Ein Besuch bei der „Jungen Freiheit“

Die Redaktion der „Jungen Freiheit“ liegt im ersten Obergeschoss eines Altbaus im westlichen Berliner Stadtteil Wilmersdorf. Gegenüber an der Ecke die Gaststätte „Zum Hax'nwirt“, nebenan eine Seniorenresidenz, die Nachbarn überwiegend Anwälte und Notare. Gutbürgerliches Milieu. Im Büro ist am Freitagmittag nicht mehr viel los. Die meisten Redakteure der rechten Wochenzeitung, die freitags erscheint, sind nach Hause gegangen. Chefredakteur Dieter Stein hat Zeit zu reden: über Medien am rechten Rand, ihre Rolle in der Flüchtlingskrise und seinen Eindruck, die „Junge Freiheit“ werde trotz wachsender Verkaufszahlen in falsche Ecken gestellt.

 

Anti-Nazi-Demo in Südniedersachsen: 1.500 gegen rechten Freundeskreis "Thüringen/Niedersachsen"

Seit eineinhalb Jahren veranstaltet eine rechtsextreme Gruppierung rassistische Treffen. In Göttingen und Northeim gab es nun lautstarken Protest. Rund 1.500 Menschen haben am Sonnabend in Göttingen und Northeim gegen zeitgleiche Aufmärsche des als äußerst rechts geltenden „Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen“ protestiert. Zu den Aktionen hatten mehrere „Bündnisse gegen Rechts“, der Deutsche Gewerkschaftsbund, Parteien und Initiativen aufgerufen. In Göttingen protestierten nach Polizeiangaben rund 1.200 Menschen,

Nach ihrem Auftritt in Göttingen reisten die Neonazis in Regionalzügen ins 25 Kilometer entfernte Northeim weiter. In der Innenstadt hielten sie eine Kundgebung ab. Mehrere Dutzend Nazi-Gegner protestierten dagegen mit Sprechchören, Trillerpfeifen und einer Sitzblockade.

 

Sonneberg: Ermittlungen nach Pfefferspray-Einsatz

Nach dem Einsatz von Pfefferspray auf einer Demonstration in Sonneberg ermittelt die Polizei in ihren eigenen Reihen. Die Demonstrant_innen  waren am Freitag bei einer Sitzblockade von Polizisten aus nächster Nähe mit Pfefferspray besprüht worden. Einem Sprecher der Landeseinsatzzentrale (LEZ) zufolge wird nun von einer unabhängigen Stelle intern ermittelt. Die vorliegenden Fotos seien eindeutig. Jetzt müsse das Geschehen davor und danach untersucht werden. Laut LEZ sollen deshalb Betroffene angehört werden.

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