EUROPA RECHTSAUßEN: Wie sieht es eigentlich in den europäischen Ländern mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen von Diskriminierung in den Stadien aus? Um diese Frage zu beantworten startet fussball-gegen-nazis.de heute eine neue Serie. Das erste Thema: Antisemitismus im österreichischen Fußball.
Von Judith Goetz
Antisemitismus als integraler Bestandteil von Fußball wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich, insbesondere im Zusammenhang mit den Teams des Hakoah-Klubs, einem zionistischen Sportverein, der 1909 gegründet worden war. Der Verein konnte sich wegen der anfänglichen Ablehnung der neuen Sportarten von deutschnationaler Seite insbesondere im Bereich Fuß- und Wasserball gut entwickeln. Die Spieler waren jedoch ständig mit Antisemitismus konfrontiert, so waren etwa Angriffe und Beschimpfungen an der Tagesordnung, genauso wie die Ablehnung jüdischer Schiedsrichter oder die Weigerung einiger Vereine, gegen jüdische Mannschaften zu spielen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war in Deutschland und Österreich das als "deutsch" geltende Turnen die vorherrschende Art der "Leibesertüchtigung", während Ballspiele als "Engländerei" diffamiert wurden.
Nach dem so genannten Anschluss Österreichs wurden "nicht-arische und undeutsche Elemente" aus dem Sportwesen durch Verbot ausgeschlossen, sämtliche Verträge von jüdischen Berufssportlern gekündigt, jüdische Spieler von der laufenden Meisterschaft ausgeschlossen und der österreichische Fußballverband als Gau XVII Ostmark in den Nationalsozialistischen Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) integriert. In Österreich war auch der als jüdisch geltende Fußballklub Austria unmittelbar von den "Umstrukturierungen" betroffen: Sein Name wurde aufgrund der großdeutschen Sprachregelung, nach der Österreich namentlich nicht mehr vorkommen sollte, in "SC Ostmark" geändert, der jüdische Klubpräsident Emmanuel Schwarz durch einen Nazi ersetzt. Während Austria fortbestand, wurde der Sportklub Hakoah gänzlich aufgelöst, sein Vereinsvermögen beschlagnahmt, der Hakoah-Sportplatz in der Krieau der SA-Standarte 90 zugeordnet, und die Ergebnisse der laufenden Meisterschaften wurden annulliert. Damit fand der jüdische Fußball in Österreich zunächst ein Ende. Den meisten der ehemaligen Aktiven gelang die Flucht ins Ausland, doch viele kamen auch in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern ums Leben. Bis heute lassen sich wenige Vereine finden, die sich mit ihrer Geschichte zwischen 1938 und 1945 auseinandergesetzt haben. Eine erwähnenswerte Ausnahme stellt die von Rapid Wien und dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands herausgegebene Publikation "Grün-Weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus" dar.
Die Kontinuitäten des Antisemitismus im Fußball nach 1945
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges musste in Österreich wiederum eine neue kollektive Identität gebildet werden, bei der auch dem Sport eine entscheidende Rolle zugekommen ist. Insbesondere die Abgrenzung von Deutschland in der zweiten Republik forcierte in den ersten Jahren nach dem Krieg ein Aufleben des österreichischen Patriotismus, in dem sich ein "Antigermanismus" breit machte, der sich über Jahrzehnte hinweg durch die unzähligen Niederlagen verstärkte. Dies ging sogar so weit, dass rechtsextreme ÖsterreicherInnen in einem Länderspiel gegen Deutschland im Jahr 1986 in einem Flugblatt den deutschen rechtsextremen Fans den Tod wünschten. Zu antisemitisch motivierten Ausschreitungen war es bereits kurz nach Kriegsende gekommen, bei einem Spiel der getrennt vom Stammverein geführten Fußballmannschaft der Hakoah, die aus Halbprofessionellen bestand und in der 2. und 3. Liga spielte, gegen Polizei Wien. Ein verordneter Strafschuss gegen die Hakoah-Mannschaft führte zu einer Schlägerei, die von Ausrufen wie "Saujuden" und "ins Gas mit ihnen" begleitet wurde. Weitere Ausschreitungen folgten bei einem Spiel zwischen dem Brigittenauer Verein AC Sparta und Hakoah im Jahr 1948. Die physischen Übergriffe auf jüdische Spieler und ein parteiischer Schiedsrichter waren der Grund dafür, dass Hakoah nach dem Spiel darauf hinwies, dass es unter derartigen Umständen unmöglich sei, von einem geregelten Sportbetrieb zu sprechen. Phänomene des Rassismus, Sexismus, Nationalismus, Homophobie und selbstverständlich auch Antisemitismus, die im Fußball wie durch ein Brennglas an Schärfe gewinnen, sind demnach auch nach 1945 in erster Linie gesellschaftliche, die aus deren "Mitte" stammen und sich so als Änderungen gesellschaftlicher Strukturen, sozialer Verhaltensregeln auch im Bereich des Sports auswirken. Der Sport ist so gesehen eine Manifestation spezifischer gesellschaftlicher Entwicklungen schlechthin, und so lassen sich Argumentationsmuster und Herangehensweisen sowie der Umgang mit dem industriell betriebenen Massenmord an über sechs Millionen Juden und Jüdinnen auch im Sport finden.
Die Affinität und Nähe des Fußballs zu rechtsextremen Gruppierungen stellen in bestimmten Fanszenen aufgrund der Ähnlichkeit ihrer Wertvorstellungen wie beispielsweise der Betonung von KameradInnenschaft unter den Fans sowie ihren nationalistisch, fremdenfeindlich, rassistisch und antisemitisch motivierten Orientierungen keine Neuheit mehr da. Im Gegenteil gewinnen ebendiese Gruppen zunehmend an Popularität, und so sind Fußballfans immer wieder Anwerbeversuchen durch Neonazis ausgesetzt, die Fußballstadien dazu nutzen, ihre Parolen zu platzieren. Antisemitisch motivierte Aktionen ließen sich beispielsweise bei den Fans des Wiener Klubs Rapid insbesondere ab den 1980ern wieder verstärkt antreffen, unter anderem weil der international bekannte Holocaustleugner und ehemalige "Führer" der VAPO (Volkstreue Außerparlamentarische Opposition) Gottfried Küssel begonnen hatte, im Rapid-Stadion Nachwuchs zu rekrutieren. Aber auch heute sorgen antisemitische Entgleisungen in den Reihen der RapidlerInnen immer wieder für Aufsehen. So waren auch im letzten Jahr im Rahmen der Europa-League Spiele gegen Hapoel Tel Aviv nicht nur immer wieder Sprüche wie "Scheiß Juden" zu hören, auch streckte ein Rapid-Fan vor laufender Kamera beim Auswärtsmatch in Tel Aviv die Hand zum Hitlergruß aus. Ein Jahr später war bei einem Spiel am 20.April im Rapid Fansektor ein Transparent mit der Aufschrift "Alles Gute 18" zu sehen, das sich auf den ersten und achten Buchstaben im Alphabet A und H, Adolf Hitlers Geburtstag bezog. (4) 2007 waren die Rapid-Fans bei einem Länderspiel mit einem Transparent mit der Aufschrift "Judasschitz raus aus Hütteldorf" aufgefallen, das sich gegen den damaligen Kapitän des Nationalteams, Andreas Ivanschitz richtete, der den "Verrat" begangen hatte zum verhassten Konkurrenzverein Red Bull zu wechseln. Aber auch beim Qualifikationsspiel für die Champions League 2009 kam es auf den ZuschauerInnenrängen von Red Bull Salzburg zu deutlichen antisemitischen Äußerungen wie "Wer nicht hüpft, der ist ein Jude" gegen die gegnerische Mannschaft Maccabi Haifa. Auch bei Spielen anderer österreichischer Fußballklubs kam es in der Vergangenheit zu derartigen Vorfällen. So machten im März 2006 Angehörige des St. Pöltner Fanclubs "Bad Boys" bei einem Spiel zwischen SKN St. Pölten gegen den Wiener Sportklub mit einer Reichkriegsfahne auf sich aufmerksam. Kurz zuvor hatte der Fanclub "Braunauer Bulldogs", die bei Auswärtsspielen ihres Fußballsklubs gerne den Schlachtgesang "Wir sind die Jungs aus der Hitlerstadt!" anstimmen, auf die vereinseigene Homepage ein Foto gestellt, auf dem die Bulldogs mit ihrem Transparent und dem Hitlergruß vor dem Eingang des KZ Mauthausen posierten. 2009 tauchte bei einem Regionalligaspiel des Grazer Athletiksport Klub (GAK) im Fansektor eine Nazifahne auf, auf der ein weißer Kreis auf rotem Grund mit schwarzem Keltenkreuz in der Mitte zu sehen ist und die in Deutschland auch verboten ist.
Antisemitismus ohne Juden
Dass Antisemitismus, sowohl im gesellschaftlichen Alltag als auch im Sport, nicht auf real existierende Juden und Jüdinnen angewiesen ist, zeigt sich beispielsweise in den Auseinandersetzungen der beiden österreichischen Fußballklubs Austria und Rapid. Da sich ersterer, historisch gesehen, aus bürgerlichen und jüdischen Gesellschaftsschichten zusammensetzte, sehen sich Rapid-Fans trotz der Tatsache, dass es in Österreich kaum noch SpitzensportlerInnen jüdischer Herkunft gibt und sich die beiden Klubs in Bezug auf Spielerreservoir, Publikum und politisches Umfeld kaum voneinander unterscheiden, veranlasst, mit Parolen wie "Haut’s die Juden eini’!" gegen die Austria anzutreten. Im August 2004 war auf einer Tribüne des Heimstadions der Austria Wien der antisemitische Schriftzug "Franz Strohsack-Synagoge" zu lesen, in Anspielung auf den Besitzer des Magna-Konzerns und ehemaligen Präsidenten der Austria, Frank Stronach. Auch in den Reihen der Fans des Linzer Athletik-Sport-Klub (LASK) waren 2007 sowohl ein Transparent mit der Aufschrift "Schalom" zu sehen als auch Sprechchöre "Ihr seid nur ein – Judenverein" und bei einem Bundesligaauswärtsspiel 2009 gegen die Austria im Horr-Stadion Parolen wie "Juden Wien, Juden Wien" zu hören. Dieses Phänomen, judenfeindliche, antisemitische Ausdrucksformen gegen den jeweiligen spielerischen Gegner zu gebrauchen, setzt sich im österreichischen Fußball nicht nur am Beispiel des Fußballklubs Austria fort, sondern zielt durch die mit antisemitischen Stereotypen verbundenen Konnotationen auf die prinzipielle Abwertung der feindlichen Mannschaft oder der Schiedsrichter ab. Der Antisemitismus ist also auch als ein System von Welterklärungsmustern zu verstehen, in welchem Juden und Jüdinnen zur Projektionsfläche der eigenen Paranoia dienen. Indem Juden und Jüdinnen allgegenwärtig gesichtet werden, bietet ihr Feindbild zugleich die Erklärung für soziale Missstände, Wünsche und Probleme. So zeigt sich an diesem Beispiel also auch im Fußball die tiefgehende gesellschaftliche Verankerung der Ablehnung und Abwertung von allem als "jüdisch" geltendem bzw. all jenem, was sich als "jüdisch" instrumentalisieren lässt.
Gleichzeitig hat aber auch die Wiener Austria selbst seit einiger Zeit ein massives "Neonaziproblem", wie es sooft in der Berichtserstattung über Entgleisungen der Austria Fans heißt und wie, wenn auch etwas spät und zögerlich, auch vom Verein erkannt wurde. Insbesondere der rechtsextreme Fanclub "Unsterblich" fungiert seit einigen Jahren als Sammelbecken für Neonazis, die aufgrund ihrer antisemitischen, rassistischen und faschistischen Agitationen immer wieder für Aussehen gesorgt haben. So sollen nicht nur Sprüche wie "Rassist, Faschist, Hooligan" oder "Zick-zack Zigeunerpack" zu ihrem Standardrepertoire gehören, bei einem Europaleaguespiel gegen die baskische Mannschaft Athletic Bilbao waren darüber hinaus neben einer Reichskriegsfahne auch Transparente mit dem Spruch "Viva Franco" zu sehen. Aber auch auf politischen Kundgebungen der FPÖ oder bei Angriffen auf AntifaschistInnen sind "Unsterblich"-Fans zunehmen anzutreffen. Bereits zuvor war der Austria Fanclub "Bull Dogs", die selbst das Keltenkreuz in ihrem Logo haben, durch einschlägige Fanartikel in Reichskriegsfarben aufgefallen.
Trotz dieser zahlreichen und denn noch ausschnitthaften Beispiele wurde und wird Antisemitismus kaum als Problem der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen. Gerade auch weil Antisemitismus im Fußball nicht immer so deutlich auftritt wie bei den beschriebenen Agitationen, aber dennoch latent vorhanden und tief verankert ist, ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen von besonderer Wichtigkeit. So verwundert es nicht, dass auch die Medienberichterstattung oftmals antisemitische Züge aufweist. Auch hierfür lässt sich ein Beispiel finden: Das Länderspiel zwischen Österreich und Israel am 7. Oktober 2001, das in Israel stattfinden sollte. Die Frage, warum das Spiel angesichts der Gefahr eines möglichen Terroranschlags nicht an einem anderen Ort ausgetragen würde, beantwortete der Fußballkolumnist der Tageszeitung Kurier, Wolfgang Winheim, mit der "Geldgier" der Israelis.
(4) Das Transparent wurde von den Ultras selbst abgenommen und auch darüber hinaus beteiligt sich Rapid seit einigen Jahren an antirassistischen Kampagnen. Eine einheitliche Linie der Fans sowie auch der Ultras ist jedoch nicht zu erkennen, weshalb ihr Engagement auch immer wieder kritisiert wurde
Textübernahme mit freundlicher Genehmigung von
Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU)