Choreographie der antifaschistischen Ultra-Gruppe Riazor Blues. Eines ihrer Mitglieder wurde am vergangenen Samstag von Neonazi-Ultras getötet.
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Madrid: Faschistische Ultras töten wieder

Am vergangenen Samstag kam ein antifaschistischer Ultra aus La Coruña bei Auseinandersetzungen vor dem Spiel bei Atlético Madrid ums Leben. Die Angreifer stammen aus den Reihen von Frente Atlético, einer Gruppierung, die immer wieder durch neonazistische und faschistische Bestrebungen auffällt. Bereits 1998 wurde ein Fussballfan aus San Sebastian von einem Neonazi aus dem Frente-Umfeld ermordet. Die Polizei spricht von einer verabredeten Massenschlägerei zwischen Frente und Riazor Blues, einer linken Ultragruppe des Vereins Deportivo La Coruña. Dem widersprechen die Riazor Blues vehement: Sie seien von den Neonazis in der Nähe des Stadions überfallen worden.

Von Oscar Winter

Es müssen gespenstische Szenen gewesen sein, die sich am Samstagmorgen in der Nähe des Estadio Vicente Calderón, der Heimstätte von Atlético Madrid abspielten. Bis zu 200 Menschen beteiligen sich an einer Massenschlägerei, Schlagstöcke, Mülltonnen, Stühle, Schreckschussmunition und Messer kommen zum Einsatz. Am Ende ist Francisco José Romero Taboada, genannt Jimmy, tot. Er erliegt am Nachmittag in einem Madrider Krankenhaus seinen Verletzungen. Fünf Angreifer haben auf ihn eingeprügelt, und ihn anschließend in den nahen Fluss Manzanares geworfen. Erst eine halbe Stunde später wird sein Körper geborgen. Schwere Schädelverletzungen und Auskühlung haben zum Herzstillstand geführt. Alle Versuche ihn zu retten, scheitern. Ein weiterer Fan von Deportivo wird ebenfalls in den Fluss geworfen, er überlebt. Ein anderer Ultra von Deportivo wird durch einen Messerstich in den Rücken verletzt, insgesamt gibt es Dutzende Verletzte.

Polizei: Informationen über Verabredung zur Schlägerei

Wie es zu der Massenschlägerei kommen konnte, wird hitzig diskutiert. Die Polizei, unter Berufung auf verdeckte Informant_innen aus der Ultra-Szene, behauptet, die beiden Ultragruppen hätten sich bereits Wochen vorher über den Nachrichtendienst „WhatsApp“ zum Kampf verabredet. Dafür hätte es sogar Absprachen gegeben – Messer wären demnach nicht erlaubt gewesen. Die Ultras von Frente Atlético, unterstützt von ebenfalls rechtsradikalen Fans aus Gijón, versammelten sich bereits um 7 Uhr morgens in Stadionnähe, um die Riazor Blues zu erwarten. Von diesem ungewöhnlich frühen „Frühstück“ hatte die Polizei Kenntnis. Die Ultras aus La Coruña wurden ebenfalls durch Ultras von anderen Vereinen, von Rayo Vallecano und Alcorcón, unterstützt. Die Polizei stützt ihre Version der Geschichte auch auf die konspirativ organisierte Anreise der Riazor Blues, die ihre Busse außerhalb von La Coruña anmieteten, um weniger aufzufallen. Aus dieser Darstellung ergeben sich allerdings auch einige Fragen, etwa danach, wieso das Spiel trotz der Informationen über die geplante Schlägerei als Spiel mit „geringem Risiko“ gewertet wurde. Die Polizei steht auch deshalb in der Kritik, weil zu Beginn der Auseinandersetzung keinerlei Kräfte vor Ort waren, und es auch danach eine geraume Weile dauerte, bis Polizist_innen in ausreichender Zahl vorhanden waren, um die Gewalteskalation zu stoppen. Es gab nur etwa zwanzig Festnahmen.

Überfall von Neonazis?

Die Riazor Blues hingegen bestreiten vehement, dass es eine Verabredung zur Auseinandersetzung mit Frente gegeben habe. Es sei ein Überfall von Neonazis gewesen. Ähnlich klingt ein Augenzeugenbericht aus der Tageszeitung „El Pais“: Rund 50 bewaffnete Frente-Mitglieder hätten die Ankunft der Busse aus La Coruña abgewartet, und dann die aussteigenden Insassen attackiert. Insgesamt spiegelt die Presselandschaft aber recht einhellig die Meinung der Polizei wieder. Die Riazor Blues weisen auch darauf hin, dass die Art der Anreise dieselbe gewesen wäre wie in den vergangenen Jahren – so dass diese keinesfalls als Beweis für eine verabredete Schlägerei gesehen werden könne. Und tatsächlich ist es für Ultragruppen nicht ungewöhnlich, die Anreise zu Auswärtsspielen möglichst konspirativ zu organisieren, meist um staatlicher Repression oder eben Angriffen gegnerischer Fans aus dem Weg zu gehen. Auch das Fans befreundeter Gruppen mit Ultras aus anderen Städten zu Spielen anreisen, ist gang und gäbe im europäischen Fußball.

Frente-Ausschluss bei Atlético

Linke Kreise kritisieren nun sowohl Polizei als auch spanische Medien. Diese versuchten, die Übergriffe von Samstag zu einer Auseinandersetzung zweier extremistischen Gruppen zu stilisieren, und würden so die Opfer zu Tätern machen. So war in spanischen Tageszeitungen zwar vom Vorstrafenregister von „Jimmy“ Taboada,  zu lesen, aber äußerst wenig über die Fahndung nach denjenigen, die ihn töteten. Am gestrigen Mittwoch wurden immerhin drei Brüder, allesamt aus den Reihen von Frente, im Zusammenhang mit dem Tod Taboadas verhaftet. Frente Atlético scheint den Bogen überspannt zu haben. Der Verein gab Anfang der Woche den Ausschluss der Gruppierung aus dem Stadion bekannt. Der Verein hatte sich von der Polizei die Namen derjenigen geben lassen, die bei dem Übergriff identifiziert worden waren. Unter ihnen eine große Anzahl von Frente-Anhängern – deshalb folgte auf den Vereinsausschluss der individuellen Täter der der gesamten Gruppe.

Lange Geschichte faschistischer Übergriffe

Bisher hatte sich Atlético zu diesem Schritt nicht durchringen können – obwohl rassistische und faschistische Übergriffe aus Reihen von Frente über die vergangenen Jahre gut belegt und dokumentiert sind (Wir berichteten). So wurde im Jahr 1998 der Real Sociedad San Sebastian- Anhänger Aitor Zabaleta durch den Nazi-Bonehead Ricardo Guerra Cuadrado ermordet. Cuadrado war Mitglied der neonazistischen Hooligan-Gruppierung Bastión 1903, welche sich im Umfeld von Frente bewegte und mit denen die Gruppe gemeinsame Auswärtsfahrten organisierte. Der Anhang baskischer Mannschaften ist von jeher ein Dorn im Auge rechter Atlético-Fans, die sich positiv auf den Madrilenischen Zentralismus und den Franco-Faschismus beziehen. Seitdem besingt und feiert der Frente-Anhang die Mordtat von Cuadrado. Es steht zu befürchten, dass nach dem Tod von „Jimmy“ ein neuer Gesang hinzukommt. In einem Fernsehinterview sagte ein Frente-Mitglied, er bedaure zwar den Tod Taboadas, dieser hätte aber gewusst, worauf er sich einlasse, wenn er in „ihre“ Stadt komme. Einsicht klingt anders.

Das Ende der Riazor Blues?

Aber auch den Riazor Blues droht Ungemach: Der Präsident von Deportivo La Coruña kündigte an, die Ultras für die nächsten beiden Heimspiele aus dem Estadio Riazor auszusperren. Dies sei aber nur ein erster Schritt: „Ich bin sicher, dass es keine Riazor Blues mehr im Estadio Riazor geben wird“. Es ist allerdings nicht zu leugnen, dass sich auch unter den Riazor Blues Personen befinden, die Gewalt nicht unbedingt aus dem Wege gehen. In der jüngeren Vergangenheit gab es Zusammenstöße mit den faschistischen Ultras von „Los Yomus“ aus Valencia. Im Jahr 2003 lösten sich die Riazor Blues zwischenzeitlich auf, nachdem eines ihrer Mitglieder einen anderen La Coruña-Fan, der eine Schlägerei schlichten wollte, mit einem Tritt tödlich verletzte. In ihrer damaligen Auflösungserklärung entschuldigten sie sich bei den Angehörigen des Verstorbenen, und verkündeten eine Abkehr von der Gewalt. Nach einiger Zeit fand sich die Gruppe aber wieder zusammen, und engagiert sich seitdem verstärkt sozial – sie organisiert zum Beispiel in einer Kampagne Essen für sozial bedürftige Menschen in La Coruña und spricht sich entschieden gegen Rassismus aus.

Faschistische Durchdringung der Fankurven thematisieren

Klar ist auch: Die Geschehnisse von vergangenem Samstag werden und müssen einschneidende Konsequenzen für Ultras in Spanien haben. In den kommenden Tagen wollen sich Ligavertretung, Polizei und Politik zusammensetzen, um Konsequenzen aus der Gewalteskalation zu ziehen. Alles andere als eine Lösung, die in erster Linie eine Ausweitung polizeilicher Maßnahmen und die weitere Beschneidung der Freiheiten von Ultras vorsieht, wäre eine Überraschung. Dabei wäre nicht nur Gewaltprävention ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld für zukünftige Initiativen. Die faschistische Durchdringung vieler Fankurven in Spanien müsste endlich, gerade vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Franco-Faschismus, ins Zentrum der Debatte gerückt werden. Denn bei allen offenen Fragen zu den Gewalttaten von Samstag ist eines deutlich geworden: Wo sich Neonazis und Faschist_innen ungestört organisieren können, da schlagen sie auch zu.

 

Update: Atlético Madrid hat die rechtsgerichtete Ultra-Gruppe Frente Atlético aus dem Stadion verbannt. (Faszination-Fankurve.de)

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