Professor Andreas Zick von der Universität Bielefeld
ngn/sr

Bekämpfung von Rassismus im Fußball: "Es geht nicht von oben"

Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick spricht im Interview über den Zusammenhang von Fußball und Menschenfeindlichkeit, Neonazis in der Kurve, den Rassismus "normaler Fans" und mögliche Gegenstrategien.

Herr Zick, was macht den Fußball so anfällig für Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung?

Er selbst, wäre die kürzeste Antwort. Er scheint Menschenfeinde geradezu anzuziehen, weil er alles bietet, was ihnen hilft, ihre Feindseligkeiten in aller Öffentlichkeit zu äußern, ohne Sanktionen zu erwarten. Die Studien über menschenfeindliche Stimmungen, Äußerungen, Symbole und Hasstaten, aber auch Diskriminierungen von Fans und SpielerInnen weisen darauf hin, dass sich im Fußball eine menschenfeindliche Kultur besonders gut entwickeln kann. In manchen Stadien und auf vielen Plätzen jedweder Liga scheinen demokratische Normen der Gleichwertigkeit nicht zu gelten. Die Website fussball-gegen-nazis.de sammelt ja aktuell hinreichend klare Beispiele. Wie oft hören wir vor und im Stadion "schwule Sau", "Jude" und andere Begriffe für Spieler, die man nicht mag, oder die angeblich schlecht spielen? Wobei die Schiedsrichter nach unseren Studien ebenso Konfliktgegner sind und genauso heftig mit Worten aus dem Wörterbuch der Menschenfeinde beschimpft werden. Es scheint ein Klima von "Hier dürfen wir noch sagen" und "Hier gelten andere Regeln" vorzuherrschen. Hinter dem Motiv, "ehrliche Emotionen" zu zeigen und dem Grundsatz "Wichtig ist auf dem Platz" gehen leichtfertige bis schwerwiegende Diskriminierungen unter. Wir finden alle Facetten der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit vom Sexismus bis zum Antisemitismus.

Das anzusprechen ist schwer. Es scheint so, als wenn die Meinung, es gebe Menschenfeindlichkeit, das Spiel verdirbt. Viele Toleranzprojekte prallen gegen die Meinung, dass der Fußball frei von Politik sein soll und "Toleranz und Antirassismus nervt". Der Fußball hat außerdem alles, was rechtsextreme Gruppen anzieht. Wir gegen die anderen, Anonymität in Gruppen, auch unter den Ultras, ein junges, aggressives männliches wie weibliches Publikum, das man mit nationalen Parolen abholen kann, weil der Nationalismus zum Spiel gehört. Die Autonomen Nationalisten haben in den letzten Jahren vorgemacht, wie der Fußball als Rekrutierungsfeld genutzt werden kann. Mit Blick auf die Gewalt beobachten wir das in ganz Europa, wobei die Szene in einigen osteuropäischen Städten noch gewalttätiger und besser organisiert ist. Ich empfehle, das Buch "Tor zum Osten" von Olaf Sundermeyer zu lesen.

Das hört sich jetzt eventuell alles radikal und alarmistisch an, aber wir können ja angesichts der 90-plus-x Prozent friedlichen Fans nicht so tun, als ob die schönste Nebensache der Welt nur Frieden wäre. Die Parole "Fußball ist gut" und jeder negative Bericht schadet der Sache, macht einen Wissenschaftler eher noch aufmerksamer.

Gehen rassistische oder antisemitische Beleidigungen von "ganz normalen" Fans aus oder sind es Neonazis, die die Fankurve bewusst dafür missbrauchen?

Von rechtsextremen Gruppen, insbesondere autonomen Nationalisten und rechtsextremen Ultragruppen, die sich in der Masse verstecken, gehen sie auf jeden Fall aus. Der Fußball ist für rechtsextrem orientierte Gruppen ein wunderbarer Kontext. Er bietet Anonymität, Stimmung, Feindschaft, junges Publikum und mangelnde Gegennormen. Aber wie schon gesagt, finden wir unter den so genannten 'normalen Fans', natürlich auch in der VIP-Lounge, an jedem Spieltag Äußerungen, die wir als menschenfeindlich bezeichnen müssen. Die Selbsterleichterung, dass das eine oder andere Wort harmlos gemeint war, ist weit verbreitet. Da wo explizit nichts gegen Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung getan wird, beobachten wir deshalb eine höhere Toleranz rechtsextremer Parolen. Im Fußball ermöglicht der Konformismus der Ränge – "Wir alle zusammen" – ein leichteres Einschleichen von Intoleranz. Aus der Forschung über die Radikalisierung von Gruppen wissen wir das eigentlich schon länger.

Wie kann dem entgegengewirkt werden?

Das ist die Eine-Millionen-Euro-Frage. Fanprojekte, Vereine und Verbände machen uns vor, wie es geht. Nehmen wir Dynamo Dresden als Beispiel. Da haben es nach langer Auseinandersetzung die Fans, darunter viele Ultras, geschafft, rechtsextreme Gruppierungen aus dem Zentrum an den Rand zu drängen. Viele andere Fanprojekte, auch Ultragruppen, sind erfolgreich im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit. Wir brauchen die Selbstorganisationskräfte der Fans, aller Fans.

Es geht nicht von oben, also durch Anordnungen oder einfache Strafen. Rassisten reagieren nicht auf Sanktion. Im schlimmsten Fall holen sie sich noch Lob, oder stilisieren sich als Opfer. Was auch vonnöten ist, ist die frühe Förderung von demokratischen Normen. Warum soll nicht im Stammbuch oder im Grundstein eines Vereins stehen, dass der Fußball als Integrationsmaschine auf Grundregeln der Demokratie zählt? Mir wäre es dabei auch wichtig, dass alle Gruppen, die zum Fußball gehören, ins Boot genommen werden. Das Problem ist oft: Sobald wir menschenfeindliche Meinungen haben, paart sich das mit der Überzeugung, dass sie gar nicht menschenfeindlich sind. Warum sollten Menschenfeinde sich selbst heilen können, nur weil wie ihnen vorhalten, dass sie es sind?

Welche Aufgabe haben dabei die Medien?

Ich brauche als Forscher die Medien. Die Vereine und Fanprojekte brauchen sie auch. Medien dokumentieren, beobachten, müssen kritisch nachfragen, ob sich aus schönen Slogans gute Taten ergeben. Denken Sie daran, an wie vielen Orten der Fußball stattfindet. Denken Sie daran, wo Menschenfeindlichkeit vorkommt. Wir kommen nicht in die Kabinen. Wir kommen auch nur teilweise an Fans. Medien können manchmal näher drankommen. Wir kommen auch nicht überall hin, wo JournalistInnen schon sind. Allerdings wäre es gut, wenn Medien kritisch bleiben, selbst wenn man mit kritischer Berichterstattung Ärger bekommt. Einen Verein schön schreiben, ist meines Erachtens unprofessionell. JournalistInnen können auch Fans sein, sollten aber Profession und Identifikation mit einem Verein nicht vermischen. Medien haben das enorme Potenzial, professionelle Distanz durch Reportage einzunehmen. Das sollten sie nicht verspielen, nur weil sie von Vereinen gebremst werden, weil sie die schönste Nebensache der Welt verunglimpfen. Viele Worte. Eigentlich hätte ich auch kurz antworten können: Die Medien haben die Aufgabe, die sie haben. Der Rest ergibt sich aus dem Berufsbild.

Andreas Zick ist Professor an der Universität Bielefeld, Mitglied des Stiftungsrates der Amadeu Antonio Stiftung und des wissenschaftlichen Beirats der DFL - sowie Fußballfan, der nicht verrät, für welchen Verein das Herz schlägt. Mit ihm sprach Ulla Scharfenberg.

Mehr zum Thema auf fussball-gegen-nazis.de:

Mehr im Internet:

 

drucken