In der vergangenen Woche kommt es auf dem Kornmarkt im sächsischen Bautzen zu gewaltvollen Ausschreitungen zwischen minderjährigen Geflüchteten und einer Gruppe von Neonazis und Flüchtlingsfeinden. Als sich die Flüchtlinge in ihre Unterkunft retten wollen, beginnt eine Hetzjagd durch die Stadt. Seitdem hat sich die Lage in Bautzen nicht beruhigt, die Stimmung ist angespannt: Berichte von Beobachter_innen widersprechen den Schilderungen der Polizei. Scharfe Sanktionen der Politik richten sich ausschließlich gegen die jungen Geflüchteten. Immer wieder versammeln sich flüchtlingsfeindliche Wutbürger_innen und Neonazis im Laufe der Woche am Kornmarkt und in der Umgebung. Antirassistische Gruppen rufen zu Gegenprotesten auf. Und noch immer ist nicht geklärt, wie gezielt sich Neonazis für die Übergriffe auf die jugendlichen Flüchtlinge verabredet haben.
Von Carina Schulz
Am Rande der Bautzener Innenstadt befindet sich der Kornmarkt. Jugendliche treffen sich dort, Alkohol fließt in rauen Mengen. Weil es kostenfreies WLAN vom nahegelegenen Kornmarkt-Center gibt, halten sich auch einige Flüchtlinge auf dem Platz auf. In der Nacht vom 14. auf den 15. September versammeln sich bis zu 150 Neonazis und sonstige rechte Flüchtlingsfeinde am Kornmarkt, ihnen gegenüber steht eine Gruppe von rund 20 jugendlichen Geflüchteten aus Bautzen. Es kommt zu verbalen Auseinandersetzungen.
Als die Polizei eintrifft und den Flüchtlingen befiehlt, ins Heim "abzuhauen", werfen einige der jugendlichen Geflüchteten mit Stöcken. Die Flüchtlingsfeinde nutzen den Moment des Tumults für sich. Sie stürmen auf die geflüchteten Jugendlichen zu und greifen sie an. So schildert Flüchtlingshelferin Annalena Schmidt, die zufällig am Kornmarkt war, die Ereignisse der vergangenen Woche. "Wir konnten nur noch rennen", sagt sie der taz. Als die jungen Flüchtlinge vor den Neonazis und Flüchtlingsfeinden fliehen wollen, laufen diese ihnen hinterher. Es beginnt eine Hetzjagd durch die Stadt, der rechte Mob verfolgt die Flüchtlinge bis zu ihrer Unterkunft. Dabei rufen sie "Wir sind das Volk" und "Bautzen und der Kornmarkt gehören den Deutschen". Später attackiert die Gruppe laut Polizei einen Krankenwagen, der auf dem Weg zu einem verletzten 18-jährigen Flüchtling ist. Der Krankenwagen muss umkehren.
#bautzen Video Teil 2/2 pic.twitter.com/n7egQXwrG1
— Party Patriot 555666 (@Party_Patriot_) September 15, 2016
Die Polizei schildert den Ablauf der Ausschreitungen anders. Es seien nur rund 80 Flüchtlingsfeinde beteiligt gewesen, Schuld an der Eskalation seien die Flüchtlinge. Bei der Pressekonferenz heißt es, dass etwa 20 Geflüchtete auf eine Gruppe von Menschen "deutscher Herkunft" getroffen seien. Die deutsche Gruppe habe sich teilweise aus Personen zusammengesetzt, die vorher "relativ eventbetont in der Stadt gewesen waren und schon dieses oder jenes Maß Bier getrunken hatten". Geflüchtete hätten nach einigen verbalen Auseinandersetzungen plötzlich Flaschen und Steine geworfen. Daraufhin sei die Situation "aus dem Nichts" eskaliert.
Hatten sich die Rechtsextremen und Flüchtlingsfeinde in Bautzen gezielt organisiert?
Zahlreiche Beobachter_innen widersprechen den Schilderungen der Polizei. Bereits seit Tagen hätten Neonazis in Bautzen provoziert. Sven Scheidemantel vom Verein "Willkommen in Bautzen" berichtet von "ewigen Reizereien der Nationalisten" und "Jagdszenen". Er vermutet, dass die Rechtsextremen am 14. September nicht zufällig am Kornmarkt waren. "Die kommen nach meiner Kenntnis auch nicht aus dem direkten Umfeld – es scheint sich um die sogenannte „Brigade Halle“ zu handeln. Man will Bautzen zur national befreiten Zone machen", sagt er im Interview mit der taz. Die Neonazis der "Brigade Halle" hielten sich laut Medienberichten mindestens seit dem vorherigen Wochenende in der Stadt auf. Auch Flüchtlingshelferin Schmidt glaubt nicht an eine zufällige Eskalation: Es seien viele Autos aus umliegenden Städten gekommen. "Das wirkte organisiert und wurde immer bedrohlicher." Zwei anonyme Zeuginnen bestätigen den Verdacht, dass sich Neonazis gezielt organisiert haben. Der Tagesschau sagen sie, dass rechtsextreme und flüchtlingsfeindliche Gruppen zuvor über soziale Netzwerke Kräfte aus dem kompletten Umland mobilisiert hätten.
Ausgangssperre für minderjährige Flüchtlinge, keine Sanktionen für Neonazis und Flüchtlingsfeinde
Trotz den Hinweisen auf eine organisierte Mobilisierung und einen gezielten Angriff durch Neonazis, reagiert die Politik mit harten Sanktionen gegen die jungen Geflüchteten in Bautzen: Ausgangssperre ab 19 Uhr und ein Alkoholverbot.
Im Internet werden die Übergriffe währenddessen von Rechtsextremen gefeiert. Einige ersetzen ihre Profilfotos durch "Je suis Bautzen", andere teilen Solidaritätsbekundungen mit den Rechtsextremen. Unter Videos wird kommentiert: "Mein Respekt, liebe Sachsen, lasst euch nicht kleinkriegen. Ihr seid unsere Hoffnung und Vorbild!"
Sanktionen für die Neonazis und Flüchtlingsfeinde wird es wohl nicht geben. Stattdessen erklärt der Bautzener Bürgermeister Alexander Ahrens, er sei auch zu Gesprächen mit Neonazis bereit. Das freut zum Beispiel die "Nationale Front Bautzen", von denen vermutet wird, dass sie das Treffen der Flüchtlingsfeinde auf dem Kornmarkt mitorganisiert haben. Auf Facebook schreiben sie: "Herr #AkexanderAhrens, wir hoffen, sie sind nun auch aufgewacht und fallen nicht in ihr altes Muster zurück und halten ihr Wort!" (Rechtschreibfehler im Original).
"Gewalt lohnt sich. Das ist das Signal, das die Behörden gerade aussenden. Wieder einmal", kommentiert Journalist Jürn Kruse in der taz. Auch die sächsische Linkspartei kritisiert die Reaktionen scharf: "Es ist falsch, bei der Suche nach Gründen für die Eskalation am Mittwochabend auf dem Kornmarkt auf die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zu zeigen und dabei die organisierten rechten Strukturen aus der Verantwortung zu nehmen", heißt es in einer Erklärung des Landesvorstandes. Veselin Popovic, Betreiber des antirassistischen Blogs "Lauter Bautz’ner", schreibt: "Die Stadt, der Landkreis, die Polizei, die Zivilgesellschaft – sie alle haben sich entschieden. Bautzens Zukunft wird zukünftig durch die Expertise gewalttätiger Neofaschisten mitbestimmt." Wegen der politischen Reaktionen der Stadt auf die Hetze gegen Geflüchtete stellt er seinen Blog jetzt ein: "Nach diesen Jahren will und kann ich einfach nicht mehr gegen diesen historischen Akt institutioneller Torheit anschreiben", erklärt er in seinem Abschiedstext.
Erneut Versammlung von 350 Neonazis und Flüchtlingsfeinden am Abend nach den Ausschreitungen
Die Rechtsextremen nutzen die aufgeladene Stimmung für sich: am 15.09.2016, dem Abend nach der Hetzjagd durch Bautzen, rufen sie erneut dazu auf, sich am Kornmarkt zu versammeln.
Rund 350 Personen folgen dem Aufruf. Eine kleine antifaschistische Gegendemonstration findet ebenfalls statt. Immer wieder versuchen die Rechtsextremen, zu den Gegendemonstrant_innen zu gelangen. Ein Kameramann wird angegriffen. Vor der Flüchtlingsunterkunft bleibt es in dieser Nacht ruhig.
Am darauf folgenden Freitag, 16.09.2016, versammeln sich 60 Rechtsextreme auf dem Schützenplatz von Bautzen. Als die Polizei sie kontrollieren möchte, rennen sie in den Stadtpark. Später findet die Polizei dort versteckte Holz- und Metallstangen. Am Samstag, 17.09.2016, bleibt es ruhig.
Antirassistische Demo gegen den Hass
Am Sonntagnachmittag, 18.09.2016, findet in Bautzen sowohl eine rechte als auch eine linke Demonstration statt. Ester Seitz, die beim „Pegida“-ähnlichen Netzwerk „Widerstand Ost West“ aktiv ist, ruft zu einer Kundgebung für die "Verteidigung der Heimat" und gegen die Flüchtlingspolitik auf. Rund 80 Teilnehmer_innen marschieren mit ihr durch Bautzen, schwenken Deutschlandfahnen und skandieren "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen". Die Teilnehmer_innen sollen in erster Linie aus dem „Pegida“- und dem "Pro NRW"-Umfeld kommen, rund 20 Teilnehmer_innen werden dem neonazistischen Spektrum zugeordnet.
Zeitgleich mobilisieren antirassistische und antifaschistische Gruppen zu Gegenprotesten Rund 500 Menschen schließen sich der Demonstration unter dem Motto "We Will Fight" an. In dem Aufruf der Gruppe "Bautzen bleibt bunt" heißt es: "Es ist anzunehmen, dass sich die Situation in Bautzen nicht beruhigt." Man wolle sich gegen die Täter-Opfer Umkehr von Polizei und Presse stellen und den Betroffenen von rassistischer Gewalt die Chance geben, ihre Stimme zu erheben.