Professor Moshe Zimmermann diskutierte in der Friedrich-Ebert-Stiftung über "Die Zukunft der Erinnerung".
Wikipedia / Marvins21

Warum sehen Israelis Deutschland immer positiver und Deutsche Israel immer negativer?

70 Jahre sind seit dem Ende der Shoah vergangen, 50 Jahre ist es her, dass Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen haben. Heute sind Deutschland und Israel wirtschaftlich, politisch und kulturell eng miteinander verbunden, von „normalen Beziehungen“ kann jedoch keine Rede sein. Laut einer Umfrage sieht die israelische Bevölkerung Deutschland zunehmend positiv, während die Einstellung der Deutschen gegenüber Israel immer negativer wird. Über Gründe für diese Entwicklung und Perspektiven für die deutsch-israelischen Beziehungen diskutierten in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) auf der Veranstaltung "Die Zukunft der Vergangenheit" neben Shelly Kupferberg als Moderatorin Professor Moshe Zimmermann, Dr. Ralph Hexel und Professor Norbert Frei.

Von Johanna Voß

„Meinst du, dass wir ihnen eines Tages, in vielen Jahren, vielleicht vergeben werden?“ fragte der junge Amos Oz einmal seine Mutter. „Wenn sie sich nicht selbst vergeben, dann werden wir ihnen vielleicht irgendwann ein bisschen vergeben. Aber wenn sie sich vergeben, dann werden wir ihnen nie vergeben“ antworte diese. Mit diesem für die deutsch-israelischen Beziehungen bezeichnenden Zitat eröffnet Ralph Hexel, Leiter des Referats Naher und Mittlerer Osten der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die spannende Podiumsdiskussion "Die Zukunft der Vergangenheit" am Mittwoch, den 24.06.2015, in Berlin. Dass die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland nicht als „normal“ gelten, ist wenig verwunderlich. Die Shoah stellt sowohl für die israelische Gesellschaft als auch für die deutsche ein identitätsstiftendes Element dar und steht für beide Länder als negativer Gründungsmythos. „Seit 50 Jahren besteht ein intensiver Austausch, der auf vielen Ebenen stattfindet -  und trotzdem“, kritisiert Ralph Hexel, „hat in Deutschland heute jeder zweite ein negatives Bild von Israel. Im Gegensatz dazu hat ein Großteil der Israelis ein positives Bild von Deutschland. Diese Entwicklung ist besorgniserregend“.

Die Umfrage der Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel „Deutschland und Israel heute“, auf die sich Hexel bezieht, sieht Norbert Frei, Professor für Neuere und Neuste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, eher kritisch. Seiner Meinung nach seien die Fragen tendenziös gestellt und die Ergebnisse in den Medien besonders schockierend dargestellt worden. „Wenn man einen Realitätsabgleich macht, dann bekommt man ein ganz anderes Bild. Die Gedänkstättenlandschaft ist hoch entwickelt und der Austausch zwischen deutschen und israelischen Jugendlichen ist rege“. 

„Meiner Meinung nach gibt es für die negative Sichtweise der Deutschen auf Israel einen guten Grund“ bemerkt Moshe Zimmermann, emeritierter Professor für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, „nämlich die rechte israelische Politik. Es ist ja nicht so, dass diese Entwicklungen nur in Deutschland kritisch beäugt werden. Mir bereitet nicht Israels negatives Ansehen im Ausland Sorgen, sondern vielmehr die fortwährende Besatzung der Palästinensischen Gebiete und die Einstellung der Israels dazu.“

Diese Aussage kann Ralph Hexel so nicht stehen lassen. Er weist darauf hin, dass die Umfrage auch gezeigt habe, dass diejenigen, die Israel negativ sehen, sich auch gleichzeitig dafür ausgesprochen haben, dass es Zeit ist, einen sogenannten „Schlussstrich“ unter der Geschichte zu ziehen. Es geht also nicht einfach um Kritik an der israelischen Regierung, sondern auch um die eigene Rolle als Täter, die man hinter sich lassen möchte. „In Israel wiederum hat sich das Bild der Deutschen schlagartig zum Positiven entwickelt“  verdeutlicht Hexel „Ich frage mich, wie ist eine solche Entwicklung möglich?“ 

Immer die Vergangenheit im Hinterkopf

„Das entspringt einer gewissen Schizophrenie“ so Zimmermann. Zwar nimmt die Shoah im Bewusstsein der Israelis einen immer höheren Stellenwert ein und bildet mittlerweile einen Grundpfeiler der jüdisch-israelischen Identität, jedoch gibt es eine klare Trennung zwischen dem Deutschland von damals und dem von heute. Diese Entwicklung bewertet Zimmermann als positiv. „Das heißt ja nicht, dass die Vergangenheit vergessen wird.  Bei den Deutschen wiederum gibt es diese Barriere zwischen damals und heute nicht. Sie haben beim Thema Israel immer die Vergangenheit im Hinterkopf. Das ist ein Problem.“

Als es an diesem Abend um die Zukunft der Erinnerung geht, spricht Zimmermann sich für eine universalistische Interpretation der Shoah aus. Sowohl Deutschen als auch Israelis täte es gut, wenn sie eine universalistische Lehre der Shoah verinnerlichen würden. „Die Schlussfolgerungen aus der Shoah sind in Israel sehr einseitig-jüdisch. In Deutschland ist es ähnlich: Aus der Geschichte resultiert eine Staatsräson, die es verbietet, Israel zu kritisieren. Eine universalistische Lehre fordert jedoch einen kritischen Blick.“ Außerdem betont Zimmermann, dass Universalisierung nicht mit Vereinfachung gleichzusetzen ist und dass die Shoah zwar ein einzigartiges Ereignis ist, es aber auch in unserer Verantwortung liegt, dass dies auch in der Zukunft so bleibt. „Eine universalistische Erinnerung an die Shoah von Israelis und Deutschen wäre eine gemeinsame Erinnerung, also auch ein verbindendes Element“.

Wer kritisiert Israel warum?

Am Ende des Abends ist eines deutlich geworden: Auch wenn man sich nicht über ein Patentrezept für die zukünftige Erinnerung an die Shoah einig geworden ist und man sich über unterschiedliche Entwicklungen im eigenen Land sorgt, zeigt der Schlagabtausch zwischen den Gesprächspartnern, dass jeder seiner eigenen Gesellschaft gegenüber am kritischsten ist. Bei der universalistischen Lehre, die Moshe Zimmermann sich wünscht, sind wir noch nicht angelangt und jeder der Wissenschaftler ist in seiner Sichtweise durch die eigene Herkunft geprägt. Während Zimmermann fordert, dass „Deutschland als energischer Vermittler im Nahostkonflikt auftreten soll und die Politiker zu wenig Kritik an Israel üben“, findet Hexel „dass kein anderes Land in Deutschland in der Öffentlichkeit so sehr kritisiert wird wie Israel“. Zimmermanns Forderung ist durch eine Unzufriedenheit mit der Politik des eigenen Landes beeinflusst, Hexel hegt die Befürchtung, dass deutsche Kritik an Israel ein Versuch ist, die eigene Schuld in den Hintergrund zu stellen.

Für uns bleibt, den Israelis zu garantieren, dass in Deutschland der Shoah gedacht wird, denn nur so kann in Israel die Möglichkeit bestehen, sich der Zukunft zuzuwenden und sich mit aktuellen Problemen zu befassen. Denn mit dem Erinnern ist es ähnlich wie mit dem Vergeben, wir können uns nicht entscheiden, mit dem Erinnern aufzuhören, nur die Israelis selbst können sich vielleicht irgendwann dafür entscheiden eine universalistische Lehre aus der Shoah zu ziehen, die wir dann teilen.  

drucken