Wahlkampf mit Totschlag-Argument

Rechtsaußen geht unverhohlen auf Stimmenfang: In Guben kandidiert für die NPD einer der Haupttäter der tödlichen Hetzjagd auf einen Algerier. In einigen Regionen könnten die Parteien vom rechten Rand dennoch zweistellige Ergebnisse einfahren.

Von Frank Jansen

Der wuchtige, himbeerfarbene Kletterfelsen steht ungefähr da, wo Farid Guendoul im Februar 1999 verblutet ist. Das Treppenhaus, in dem der Algerier lag, nachdem er in Panik eine Glastür eingetreten und eine Schlagader am Bein aufgerissen hatte, gibt es nicht mehr. Der Plattenbauriegel, in den der Algerier auf der Flucht vor einer Meute Rechtsextremisten flüchtete, wurde abgerissen und durch einen Park ersetzt, aus dem der Felsen ragt. Aber der Gedenkstein für Guendoul ist noch da, auf einem Rasen an der B 97, überschattet von einer Linde. Wenige Meter entfernt prangen die Wahlplakate der NPD an Laternenmasten, „Wählen gehen! Bürgerwut in den Kreistag!“, illustriert mit einer geballten Faust. Ist den Rechtsextremisten ausgerechnet hier ein Erfolg zuzutrauen, bei den Kommunalwahlen am 28. September? In Guben, im Plattenbauviertel Obersprucke, wo die tödliche Hetzjagd geschah und einer der Haupttäter, Alexander Bode, für die NPD kandidiert?

In der „Gaststätte am Kletterfelsen“ sitzt die Wirtin mit zwei mittelalten Männern am Tisch. „Erst machen die Neger die Mädchen an, und dann wundern sie sich, wenn was passiert“, sagt die Frau. Sie holt Luft, „als der Ausländer verstorben war, kam doch raus, dass der Geld abgezockt hat“. Der Gast mit der Basecap, auf der „Böhse Onkelz“ steht, fragt laut, „was hatte der hier auf der Straße zu suchen?“ Der zweite Mann ärgert sich, „durch die Wahlen wird das alles wieder aufgeputscht“. Trotzdem werde die NPD in Guben „so fünf Prozent“ bekommen, die anderen nicken. Will einer von ihnen den verurteilten Gewalttäter Alexander Bode wählen? „Ich kenne ihn nicht, aber vielleicht, wegen der Arbeitslosigkeit und der Klauerei von den Polen“, sagt die Wirtin. Der Basecap-Mann sagt nur, „ja, NPD“, der andere ist sich „noch nicht schlüssig, CDU, SPD, nee, ist doch immer dasselbe“.

DVU und NPD nach aktueller Umfrage jeweils zwei Prozent.

In dem Plattenbauriegel westlich vom Park steht die Hälfte der Wohnungen leer. Die Äußerungen der übrig gebliebenen Mieter changieren zwischen „Die Plakate der NPD, die find’ ich vielversprechend“, „Den Bode wählen? Negativ!“ und „Verschonen Sie mich mit der Scheiße“. Nur eine Frau sagt, sie habe die Hetzjagd „als tragisch empfunden, da sollte man nicht jemanden wie den Bode zur Wahl aufstellen“. Die meisten anderen, auch wenn sie keinesfalls der NPD ihre Stimme geben wollen, halten Mitleid mit dem Algerier für unangebracht. „Der hat ja auch ein Mädchen beleidigt“, ruft eine Frau durch die Sprechanlage, „das ist ein rotes Tuch für uns, der Vorfall! Und der Gedenkstein auch!“

Bode selbst ist für den Tagesspiegel nicht zu sprechen. Warum er für das Gubener Stadtparlament und den Kreistag von Spree-Neiße kandidiert, bleibt unklar. Und es wäre erst recht Stochern im märkischen Nebel, eine Prognose zu wagen, welchen Zuspruch in Brandenburg die Kandidaten von NPD und DVU am 28. September bekommen werden. Bei der jüngsten Umfrage von Infratest dimap im Land erhielten die zwei rechtsextremen Parteien nur je zwei Prozent. Ein brauner Volkstribun, der die Unzufriedenen mitreißen könnte, ist nicht in Sicht. Dass Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) die Wähler vor den nationalen Ultras warnt, genauso wie Gubens Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner (FDP) und die Stadtverordnetenversammlung, erscheint dennoch berechtigt. In Teilen der Bevölkerung staut sich so viel Unmut, dass selbst kriminellen und unbekannten Rechtsextremisten Stimmen zufliegen könnten.

In einigen Regionen hofft die NPD auf zweistellige Ergebnisse

Die aggressiv agierende NPD bewirbt sich bei der Kommunalwahl immerhin um 80 Mandate, die seit 1999 im Landtag rumorende DVU um 117. Andererseits misslang es beiden Parteien, die über einen „Deutschland-Pakt“ verbündet sind, im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, in Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel Kandidaten aufzutreiben. Außerdem wirken die Strategien widersprüchlich: In einigen Regionen tritt eine Partei alleine an, im Kreis Oder-Spree stehen sich beide gegenüber, im Kreis Barnim kandidiert NPD-Mann Mike Sandow für die DVU. Die Rechtsextremisten müssen zudem die Protest-Konkurrenz der Freien Wählergemeinschaften fürchten, die lokal gut geerdet sind – und bisweilen rechtspopulistische Töne anschlagen.

Es gibt allerdings Regionen, da hofft die NPD sogar auf zweistellige Ergebnisse, vor allem in Oder-Spree. „In Storkow dürfte bei der Wahl der Höhepunkt sein“, sagt, nicht ganz uneigennützig, NPD-Landeschef Klaus Beier. Er selbst wohnt im nahen Reichenwalde und sitzt mit einem Namensvetter, Lars Beyer, im Kreistag. Beide kandidieren wieder. Im Kreistag haben sie bürgernah formulierte Anfragen gestellt, zu Kindertagesstätten und Seniorenheimen, aber auch die üblichen Provokationen inszeniert, wenn an die Opfer des NS-Regimes erinnert wurde. Im Wahlkampf versucht die Partei, mangels eines großen Aufregers wie einst Hartz IV, viele lokale Themen zu besetzen. „Wir haben an Bushaltestellen ein Plakat zur Rettung des Öffentlichen Nahverkehrs aufgehängt“ sagt Beier, der sich offen gibt und den Tagesspiegel gar nach Rauen ins Landgut Johannesberg eingeladen hat, das die NPD nach Ansicht der Eigentümer illegal besetzt hält.

Bieder schimpfend präsentiert sich die DVU

Im idyllischen Hof, unter dunklem Vordachgebälk, sinniert Beier, einst Leiter eines Baumarkts und heute als Bundespressesprecher bei der NPD angestellt, wie die Partei, hätte sie in Oder-Spree das Sagen, siechende Dörfer wiederbeleben würde. Sei es durch die Schließung großer Einkaufszentren abseits der Kommunen oder mit der Idee, „dass ein NPD-Mann einen Tante-Emma-Laden aufmacht, mit einer Gaststätte, mitten in einem Ort“. Weniger flüssig kommen die Antworten auf Fragen zu NS-Nostalgie und Holocaust. Ob er glaube, dass die Nazis sechs Millionen Juden ermordet haben? Beier zögert, er will juristische Risiken meiden. Er ruft in Berlin beim Leiter des Amtes Recht im NPD-Bundesvorstand an, Frank Schwerdt, der dann diktiert: „Es gab Lager, es gab Tote, wie viele weiß ich nicht. Darüber sollten ernsthafte Forschungen stattfinden.“

Weniger bizarr, eher bieder schimpfend, präsentiert sich die DVU. Sie hat allerdings einen Kandidaten zu bieten, der an Noblesse und Lebensweisheit nicht zu übertreffen zu sein scheint. Gerhard Fritz Graf von Brühl tritt von Kleinmachnow aus im Wahlkreis 4 an, zunächst stand als Geburtsjahr „1912“ auf der Wahlliste für den Kreistag Potsdam-Mittelmark. Der Adelige ist aber erst 73, die DVU habe ein falsches Datum genannt, heißt es beim Landeswahlleiter. Merkwürdig erscheint auch, dass ein Mann mit einem so interessanten Namen, immerhin handelt es sich um einen Spross des alten sächsischen Geschlechts derer von Brühl, in der nahen Umgebung seiner Adresse in Kleinmachnow unbekannt ist. Keiner der befragten Nachbarn kann Fragen zum Grafen beantworten. Und auf dem Klingelschild steht ein anderer Name. Recherchen ergeben, dass von Brühl sich erst im Juni in Kleinmachnow angemeldet hat und vielleicht in Berlin anzutreffen wäre. Tatsächlich öffnet der DVU-Kandidat in einer Mietskaserne in Spandau die Tür.

"Deutsch denken, deutsch fühlen, deutsch handeln“

Da steht ein zerzaust wirkender Mann, der eigentlich Mitleid verdient. Er sei zu 90 Prozent behindert und habe drei Bypässe, sagt von Brühl. Vor zehn Jahren sei er in die DVU eingetreten, getreu seinem Motto: „Deutsch denken, deutsch fühlen, deutsch handeln“. Er besitze „kommunalpolitische Kompetenz“ aus der Zeit als Bezirksverordneter der CDU in Spandau und möchte sich, falls gewählt, im Kreistag von Potsdam-Mittelmark „um den Sozialbereich“ kümmern. Kleinmachnow kenne er gut, „da bin ich öfter“. Gemeldet sei er bei seiner Tante.

Die ältere Dame widerspricht, als der Tagesspiegel anruft. Ihr Sohn habe im Frühjahr den ihr unbekannten und keineswegs verwandten Grafen mitgebracht. Dann habe sie erlaubt, dass er sich anmelden kann, „aber nur bis kurz nach der Wahl“. Für welche Partei der Herr antritt, weiß sie nicht, „ich dachte, die CDU“. Dass der Graf die rechtsextreme DVU vertritt, irritiert die Rentnerin allerdings nur kurz. „Alle Parteien haben was Brauchbares und was Unbrauchbares“, sagt sie, „aber mal ganz ehrlich: die Zustände im Land sind ganz katastrophal“.

Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 22.09.2008

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