Die „aufstehen“-Bewegung von Sahra Wagenknecht wirkt wie der neueste Versuch einer Querfront von rechts und links. Noch ist nicht bekannt, worum es genau gehen soll. Kritiker*innen befürchten ein gefährliches Gemisch aus verkürzter Kapitalismuskritik, Euroskepsis, antisemitischen Thesen, nationalistischen Tönen, rückhaltloser Putin-Solidarität und rassistischen Ressentiments.
Von Kira Ayyadi
Die Internetseite von „aufstehen“ war am Samstag, den 4. August, online gegangen. Mittlerweile sollen sich über 60.000 Menschen der Bewegung angeschlossen haben. Das merkwürdige ist nur, das noch gar nicht bekannt ist, um welche Positionen es der Bewegung“ geht. Auf der Internetseite können sich die Leser*innen lediglich 17 Videos von unter anderem Lehrer Andi, Rentner Rolf, Tierschützerin Barbara oder Journalistin Nada anschauen. Sie beschreiben in professionell gefilmten und mit melancholischer Musik unterlegten Kurzvideos ihre Lebenssituation, die angespannte politische Stimmung und die Orientierungslosigkeit vieler Menschen, ihre Ängste vor sozialem Abstieg und vor Armut. „aufstehen“ sei eine überparteiliche Bewegung. Es gebe für die Mitglieder keine Gesinnungsprüfung. „Aber“ so Mitinitiator Oskar Lafontaine, „wer sich bei uns anmeldet, muss sich zu unseren Zielen bekennen. Wenn einer vom Saulus zum Paulus wird, dann ist das ja gerade das Ziel der Bewegung.“ Aber was sind die Ziele und worum geht es bei „aufstehen“? Das weiß man auch dann nicht, wenn man sich alle 17 Videos der Internetseite angeschaut hat.
Üblicherweise entstehen Protestbewegungen von unten, indem Mensch sich zusammenschließen, weil sie in einem oder mehreren Punkten gleicher Meinung sind. „aufstehen“ hingegen kommt von oben, von der Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Was die verbindenden Punkte sind, ist bisher nicht wirklich bekannt. In dem Gastbeitrag „Aufstehen für ein gerechtes Land“ in der Nordwest-Zeitung vom Dienstag, den 7. August, schrieben Wagenknecht und der Dramaturg Bernd Stegemann vom Berliner Ensemble: „Um eine andere Politik in Deutschland machen zu können, braucht es andere Mehrheiten. Um diese wieder zu erreichen, muss es eine linke Sammlungsbewegung geben, die den Mut hat, sich mit den mächtigen Akteuren anzulegen.“
Stimmungsmache gegen Geflüchtete
Bernd Stegemann ist Vorsitzender des Vereins „Aufstehen Trägerverein Sammelbewegung e.V.i.Gr.“, er gilt als die die graue Eminenz der neuen Organisation. In seinem Essay „Die andere Hälfte der Wahrheit“ von 2016 in der Zeit (hinter einer Paywall), kritisierte er die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin und beklagt unter anderem eine „Propaganda der Weltoffenheit“. 2017 schrieb Stegemann dann ebenfalls in der Zeit (wieder hinter einer Paywall) über eine „wohlmeinende bürgerliche Klasse“, die „mit Rührung auf das Elend der Welt“ blicken würde und dabei die sozialen Nöte, die sich durch Zuwanderung im eigenen Land ergäben, aus dem Auge verlieren würde. Die Linke ist, wenn man Stegemann folgt, auf die Kapitalist*innen hereingefallen, die jeden Migranten willkommen heißen, solange der Lohn der einheimischen Handwerker weiter gesenkt werden könne. An die Stelle des Klassenkampfes seien die „biopolitische Perfektionierung des Alltags und die Sprachregelungen der Political Correctness getreten“ – ähnlich klingt es bei der AfD, wenn Geflüchtete für die ökonomische Misere vieler armer Menschen in Deutschland verantwortlich gemacht werden.
Ob Rentner Rolf aus dem „aufstehen“-Video, diese Bezahl-Texte kennt, wissen wir nicht. Sahra Wagenknecht hat sie allerdings gelesen und war offenbar so beeindruckt, dass sie Stegemann zu sich ins Büro einlud. Über zwei Stunden habe man diskutiert, beispielsweise über die verfehlte Flüchtlingspolitik, schreibt die Zeit. Hier soll die Idee von „aufstehen“ geboren worden sein. Später habe man sich zu dritt, mit dem Soziologen Wolfgang Streeck, in Berlin getroffen. Auch Streeck veröffentlichte 2017 einen Text in der FAZ, in dem er in AfD-Manier über die Flüchtlingspolitik der Regierung schimpfte. Kein Wunder, dass er daraufhin von einem islamfeindlichen Blog als „der klügste Linke“ gefeiert wird, der mit Angela Merkel abrechnet.
Von oben kreiert ein Zirkel aus Intellektuellen und Künstler*innen eine „Sammelbewegung“ für unten
Stegemann hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Intellektuelle und Künstler*innen mit Wagenknecht bekannt gemacht, darunter unter anderem Schauspieler Sebastian Schwarz von der Berliner Schaubühne, Soziologe Wolfgang Engler, Schriftsteller Eugen Ruge und auch Politikwissenschaftler Andreas Nölke. Das Buch „Linkspopulär“ des Europaskeptkers Nölke, brachte ihm den Vorwurf ein, er würde zur AfD abwandern. Nun arbeitet er unter anderem mit Stegemann an einem Gründungsmanifest für die sogenannte „Sammlungsbewegung“, das im September veröffentlicht werden soll. Als einer der ganz sensiblen Punkte erweist sich dabei die Migrationsfrage, so Nölke gegenüber der Zeit. Die Angst, von der Öffentlichkeit gleich als rechts einsortiert zu werden, sei leider bei vielen in der Bewegung allzu lebhaft – und offenbar auch berechtigt. Denn der gemeinsame Punkt den man in dieser „Bewegung“, zumindest von ihren Gründungs-Köpfen, herausstellen kann, ist eine flüchtlingsskeptische Haltung, oder präziser: eine Kritik an den offenen Grenzen. Das Linke soll wohl wieder etwas nationaler werden. Somit schafft man eine linke populistische Haltung mit Anschluss nach ganz rechts.
Parteiintern umstritten
Kein Wunder also, dass die Linke skeptisch ist. Die Kampagne hat innerhalb der Partei derweil die Befürchtung hervorgerufen, die umstrittene Fraktionsvorsitzende Wagenknecht könne die Linke spalten. Die Thüringer Linken-Politikerin Katharina König Preuss wirft der „Bewegung“ beispielsweise vor, rassistische Ressentiments zu bedienen. Auch Gregor Gysi hat sich bereits von der Sammelbewegung distanziert. Ebenso wie die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Beide lehnen das Projekt strikt ab. Die Parteispitze ist seit längerem mit Wagenknecht wegen der Flüchtlingsdebatte im Klinsch. Der Grund dafür: Wagenknecht hat gemeinsam mit ihrem Mann Oskar Lafontaine die bisherige Linie hinterfragt, in der die Linke sich für offene Grenzen ausspricht. Sie warnen, dass es durch die Migration eine zunehmende Konkurrenz um Arbeitsplätze und auch Wohnungen geben werde. Außerdem warnte Wagenknecht vor der „Entstehung von Parallelwelten, in denen sich ein radikalisierter Islam ausbreitet.“ Das Schüren von Ängsten in der Bevölkerung und eine Aufwiegelung gegen Migrant*innen war bisher größtenteils der AfD vorbehalten. Und so freute sich auch Alexander Gauland im Januar 2016, darüber, „dass die Linke das nun genauso wie die AfD sieht“, als Wagenknecht polterte: „Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“
Wagenknecht selbst stärkt rassistische Positionen in der linken Wählerschaft, indem sie Menschen nach bestimmten Merkmalen selektiert und dann bestimmt, wer dazugehört, wer nur geduldet wird und wer wieder weg soll. Lafontaine formulierte es dann auch ganz unverhohlen: „Diese Wählerinnen und Wähler, die im Grunde genommen auch die Politik der AfD ablehnen, aber sie nur aus Protest wählen, wollen wir zurückgewinnen.“
Wie positioniert sich "aufstehen" zum Antisemitismus?
Der Soundtrack der „Bewegung“ kommt – wie passend – von einem alten Weggefährten Wagenknechts und Lafontaines, nämlich von dem höchst umstrittenen Diether Dehm. Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete und frühere Linken-Landesvorsitzende Dehm, dem die Frankfurter Rundschau Antisemitismus vorwirft, hegt nach eigenen Worten, Sympathie für die Bewegung. „Ich bin allerdings noch nicht gefragt worden, ob ich mich dem Aufruf anschließen soll.“ Erst vor zwei Wochen gab Dehm dem YouTuber Ken Jebsen wieder ein anderthalbstündiges Interview über das italienische Partisanen-Lied „Bella Ciao“. Der KenFM-Moderator Jebsen gilt vielen als antisemitisch und als Verbreiter von Verschwörungsideologien. Die Musikgruppe „Bots“, mit der Dehm eng zusammengearbeitet hat, soll das schnarchige Protestlied „Aufstehen“ neu aufnehmen lassen. Das haben Wagenknecht und Dehm vereinbart. Es soll die Hymne der „Bewegung“ werden. Bei diesem Song würden wir allerdings lieber sitzen bleiben.
Was ist von „aufstehen“ zu erwarten?
Was sich unter „aufstehen“ als angebliches Gegengewicht zum gesellschaftlichen Rechtsruck formiert, wirkt bisher jedoch eher wie der Versuch Flüchtlingsfeindlichkeit, Antiamerikanismus und eine prorussische Haltung von links mehrheitsfähig zu machen – Querfront also. Wie diese Querfront zwischen Links und Rechts funktioniert, konnten wir bereits 2014 immer montags auf zahlreichen Bühnen in deutschen Städten beobachten. Im Vergleich mit den Montagsmahnwachen wirken hier weder die Inhalte noch das Personal wirklich neu.