"Vernünftige junge Leute" - Eine Reportage aus Axel Möllers Zeit als NPD-Kader in Stralsund.

Wenn es in Stralsund Ärger mit den Rechten gibt, klingelt bei Axel Möller das Telefon. Jeder in der Stadt − auch die Polizei − weiß, dass der stellvertretende NPD−Kreisvorsitzende Einfluss in "der Szene" hat. Möller, 35, diente sich als Vermittler an, als am 20. April eine Hitler−Geburtstagsfeier aufgelöst werden sollte. Auf seine Initiative, sagt er stolz, hätten sich linke und rechte Jugendliche nach einer Schlägerei gütlich und außergerichtlich geeinigt. Bei Demonstrationen der Rechten verhandelt die Polizei selbstverständlich mit ihm.

Von Toralf Staud

Am kommenden Sonntag könnte die NPD auch ihrem zweiten Ziel ein Stück näher kommen: sich im Osten als ganz normale Partei zu etablieren. In Mecklenburg−Vorpommern, Sachsen−Anhalt, Thüringen und Sachsen werden gleichzeitig mit dem Europaparlament auch Gemeinderäte und Kreistage gewählt. In ihren Hochburgen versucht die NPD, die derzeit alle ihre Aktivitäten auf den Osten konzentriert, Mandate zu erringen; in Stralsund und Neustrelitz etwa, in Boizenburg, Königstein und Zwickau. Besondere Erfolge erhofft sich der sächsische Landesverband, mit 1500 Mitgliedern der bundesweit stärkste. Experten schätzen das rechte Stimmenpotential auf bis zu 15 Prozent. Rechte Konkurrenz muss die NPD nicht fürchten, DVU und Republikaner treten kommunal kaum in Erscheinung.

Überall im Osten versucht die NPD kulturell und politisch Flagge zu zeigen. Wie einst linksalternative Stadtteilgruppen macht sie Graswurzelarbeit, will in "national befreiten Zonen" die Hoheit gewinnen. In einem erstmals 1991 veröffentlichten Strategietext heißt es: "Wir müssen Freiräume schaffen, in denen WIR faktisch die Macht ausüben." Das Ziel sei erreicht, "wenn wir nicht nur ungestört demonstrieren und Info−Stände abhalten können, sondern die Konterrevolutionäre dies genau NICHT tun können". Gewalt kann da genauso nützlich sein wie Gewaltlosigkeit − alles zu seiner Zeit. Prügel für die Linken und Schokolade für die Kinder

In Stralsund steht Axel Möller auf Listenplatz 1. Er präsentiert sich als geschulter, disziplinierter Kader ganz im Dienst der Partei. Möller raucht nicht, trinkt nicht, und eine Ehefrau, sagt er, hielte ihn wahrscheinlich nur von der Arbeit ab. Er hört klassische Musik, zum Fernsehen ist ihm die Zeit zu schade. Der Sprung über die Fünfprozenthürde sei für ihn nicht einmal das Hauptziel. Möller denkt langfristig. Wenn es dieses Mal nicht klappe, dann eben in vier Jahren. Er redet wie jemand, der sich auf der Siegerseite der Geschichte wähnt. Mit Matthias Meier, 25, Kreisvorsitzender und auf Listenplatz 2, hat er in den vergangenen zwei Jahren die NPD aufgebaut. Gemeinsam haben sie in einem verfallenen Fachwerkhaus ein paar verwinkelte Zimmer angemietet − zugleich Parteibüro und Möllers Wohnung. Im blauen Oberhemd, das dunkle Haar akkurat gescheitelt, den Schnauzer gestutzt, sitzt der NPD−Ideologe in seinem Wohnzimmer. Wenn er auf seinem FuÅNnfziger−Jahre−Schreibtisch den Telefonhörer abnimmt, muss er aufpassen, dass die vielen Papierstapel nicht ins Rutschen kommen. Sein Arbeitslosengeld gibt der gelernte Kellner und umgeschulte Bürokaufmann vor allem für Bücher aus. In einer Kladde hat er ordentlich aufgelistet: letztes Jahr 3835 Mark, 1997 mehr als 4000 Mark. Die Regale quellen über: Seneca und Nietzsche, die Geschichte Byzanz' in drei Bänden, Montaignes Werke. "Ich bin auch ein bisschen Philosoph", sagt Möller.

Im benachbarten Greifswald beglückt die NPD an Feiertagen die Kinderheime mit Spielzeug und Süßigkeiten. Wenn einmal kein Geld da ist, backen zwei Kameraden, gelernte Bäcker, ein paar Bleche Kuchen. In Kürze werde eine Bibliothek eröffnet, erzählt NPD−Kreischef Maik Spiegelmacher, 26, freundlich. Er serviert Kaffee türkisch, rührt mit seinem Löffel auch in der Tasse des Gastes. Auf die Finger der Faust sind die vier Buchstaben HASS tätowiert. Ja, er habe ein paar "Jugendsünden", wehrt er ab. Vor ein paar Jahren hat Spiegelmacher, damals noch Skinhead, einen Ausländer beinahe totgeschlagen. Er saß wegen versuchten Mordes im Gefängnis.

Das Faltblatt mit Kommunalwahlforderungen, das die NPD in Stralsund verteilt, klingt in weiten Teilen unverfänglich. Das Krankenhaus dürfe nicht privatisiert, Bus und Bahn müssten billiger, Unternehmen aus der Region sollten bei der Auftragsvergabe bevorzugt werden. Beiläufig kommt die völkische Ideologie daher: Die NPD fühle sich "ausschließlich als Interessenvertreterin der deutschen Bevölkerung". Am Ende die Bitte um Spenden − "Vergeuden Sie nicht Ihr Geld an den Kosovo!!!"

Die Parteien der Stralsunder Bürgerschaft haben spät reagiert. Sie beauftragten die Stadtverwaltung, der NPD keine Räume zur Verfügung zu stellen und sie, soweit rechtlich möglich, zu behindern. Diese Ausgrenzung macht die Partei für viele Wähler, die sich als Verlierer sehen, nur noch attraktiver.

In Teilen Stralsunds ist die rechte Hegemonie längst hergestellt. Drei Jugendclubs im Neubaugebiet Knieper seien in der Hand der Rechten, sagt Thomas Waschk vom Trägerverein des "Jugendhauses", einem Treffpunkt der linken Szene. Und bei den regelmäßigen Übergriffen von Skinheads werde der politische Hintergrund meist verschwiegen, die Gefahr "noch immer verharmlost".

"Wer die Jugend hat, hat die Zukunft", sagt NPD−Führer Möller. Und: "Ich will den Gedanken der Volksgemeinschaft vorleben." Den Jugendlichen aus dem rechten Spektrum oder denen, die auf dem Weg dorthin sind, bietet er Nähe und Bestätigung. In seinem Wohnbüro ist Möller praktisch rund um die Uhr erreichbar. Er korrigiert Bewerbungsschreiben und lässt sich vom Krach mit den Eltern erzählen. Er verleiht Bücher und tröstet bei Liebeskummer. "Das hiesige Jugendamt spiele ich an die Wand", sagt Möller. "Das sind Amateure."

Zielgerichtet hat die NPD wie in anderen Ostländern in Stralsund die diffuse Skinheadszene aufgesogen, indoktriniert, ihr Zügel angelegt. "Wir beide sind ein gutes Zweiergespann", sagt Matthias Meier, früher selbst Skinhead. "Ich habe die Jugendlichen immer als Erster angesprochen, Möller hat sie dann im Büro weiter bearbeitet." Gut hundert Leute folgen ihnen. Sie demonstrieren mit, verteilen Flugblätter und sollen − so das Kalkül der NPD − langfristig zur Stammwählerschaft werden. Aus der Masse werden Kader herausgesiebt; mit zehn, zwölf solcher Leute, sagt Möller, "kann ich Straßen beherrschen".

Als Vorletzter kommt er an diesem Samstagmorgen zum Treffpunkt am Bahnhof, wo man sich zur Exkursion zur NPD−Demonstration in Hamburg verabredet hat. Er begrüßt die Jugendlichen einzeln, schüttelt Hände, klopft Schultern. Der vorher ungeordnete Haufen richtet sich nach Möller aus. Er gefällt sich in der Rolle des Rottenführers von Stralsund. Er genießt die Ehrbezeugungen seiner Gefolgschaft. Und weil er eitel ist, wurmt es ihn, dass der neueste Landesverfassungsschutzbericht nur seine Aktivitäten erwähnt, aber nicht seinen Namen.

Die Übergriffe von rechten Jugendlichen sind tatsächlich weniger geworden, seit die NPD aktiv ist. "Sie machen, was wir wollen", sagt Möller. Jetzt, vor den Wahlen, achtet er besonders darauf, dass er und seine Jungs keinen Anlass für negative Schlagzeilen liefern. "Zur Zeit sind uns die Hände gebunden."

Erschienen in DIE ZEIT 24/1999

drucken