Am 11. Januar 2010 hat der Prozess über einen Antrag der tschechischen Regierung zum Verbot der Neonazi-Partei "Dělnická strana" ("Arbeiterpartei") beim Obersten Verwaltungsgericht in Brno begonnen. Diese war 2008 und 2009 an pogromähnlichen Unruhen gegen Roma beteiligt. Kämpfer aus ihren Reihen stehen wegen versuchtem Mord und anderen Gewaltdelikten vor Gericht. Mit dem Urteil wird für Ende Januar gerechnet.
Von Karl Kirschbaum, Prag
"Dělnická strana", die "Arbeiterpartei", gegründet im Jahre 2003, hat sich im Laufe ihres sechsjährigen Bestehens von einem deutsch-feindlichen Mauerblümchen zum Sammelbecken für Neonazis, Ethno-Nationalisten und Protestwähler gemausert. Hatte sie anfangs gegen Sudetendeutsche und tschechisches Duckmäusertum gegenüber deutschem Imperialismus gewettert, arbeitet sie seit zwei Jahren eng mit der NPD zusammen und schreibt heute den Kampf gegen das System auf ihre Fahnen.
Die Regierung setzt bei dem Verfahren auf den tschechischen Staranwalt Tomáš Sokol, einen ehemaligen Innenminister der tschechischen Regierung. Angesichts der schwach besetzten juristischen Abteilung der Regierung hatte er sich bereit erklärt, einen Verbotsantrag für ein symbolisches Honorar auszuarbeiten. Schon 2008 hatte die Mitte-Rechts-Regierung von Mírek Topolánek ein Verbotsverfahren gegen die Partei eingeleitet. Das Gericht fegte jedoch im Frühjahr 2009 die Beweisführung der Regierung wegen Stümperhaftigkeit als „leider unzureichend“ vom Tisch.
Die beklagte Partei vertritt auch beim zweiten Verfahren der Parteivorsitzende selbst, am zweiten Verhandlungstag gesellte sich der Vorsitzende des der Partei angeschlossenen Verbands „Arbeiterjugend“ hinzu. Gegen diese ist kürzlich ebenfalls ein Verbotsverfahren eingeleitet worden.
Vor Verhandlungsbeginn bezeichnete der Parteivorstand das Verbotsverfahren als „politischen Prozess“ und die vorgelegten Beweise als „nichtig“. Die Regierung gründet ihre Argumentation vor allem auf die angebliche enge Verknüpfung der Parteipolitik mit der schon vor Jahren vom Staat verbotenen Gruppierung „Národní odpor“ (Nationaler Widerstand). Die beklagte Partei wandte am ersten Verhandlungstag ein, dass eine derartige Organisation nicht existiere und forderte die Regierung auf zu beweisen, wer den „Widerstand“ anführe, und die behauptete Vereinbarung über Zusammenarbeit mit der Partei in schriftlicher Form vorzulegen.
Laut Verbotsantrag der Regierung ist das „menschliche Substrat“ von Partei und „Widerstand“ oft identisch. Es habe sich mit Unterstützung der Partei an den pogromähnlichen Unruhen im nordböhmischen Litvínov (2008) and im mährischen Přerov (2009) beteiligt. Die Partei versuche durch ähnliche Aktionen an sozialen Brennpunkten „Kettenreaktionen“ hervorzurufen und vor Ort bestehende Spannungen zu „eskalieren“.
Laut Kläger gehe es ihr nicht um die Beteiligung am Wettbewerb politischer Parteien, sondern, darum gewaltsam eine Änderung des politischen Systems herbeizuführen. Die Partei unterstütze Personen, die wegen Nazipropaganda verurteilt wurden. Sie distanziere sich nicht von Neonazis, die sich an ihren Aktionen beteiligen.
Was vor Jahren noch unglaublich erschien, ist heute Realität. Der Parteivorsitzende Tomáš Vandas hatte sich bei seiner Rede auf dem „Fest der Völker“ in Thüringen im September 2008 vor Konterfeis deutscher Wehrmachtsoldaten ablichten lassen. Dennoch konnte die Partei bei den folgenden Wahlen zum Europaparlament mehr als ein Prozent der tschechischen Wählerstimmen einfahren. Dafür gestand ihr der Staat kürzlich rund 30.000 Euro als Erstattung der Wahlkampfkosten zu. Mit diesem Salär finanziert sie heute nicht nur den bevorstehenden Wahlkampf im tschechischen Superwahljahr 2010, sondern auch renommierte Rechtsanwälte für den Prozess über ihr eventuelles Verbot.
Jahrelang waren die tschechischen Ethno-Nationalisten und Neonazis in Splittergrüppchen aufgeteilt, die sich wegen ideologischer und strategischer Meinungsverschiedenheiten lieber untereinander stritten, als an einem Strang zu ziehen. Dies änderte sich vor zwei Jahren, als die Parteiideologen erkannten, dass ihnen für einen Marsch durch die Institutionen die schlagkräftige Basis fehlt.
Nur eine Zusammenarbeit mit den Straßenkämpfern der amtlich nicht registrierten, dafür aber umso aktiveren Neonazi-Kameradschaften des „Národní odpor“ (Nationaler Widerstand) bot der Partei eine langfristige Perspektive. Deren Führung scheute zwar anfangs den persönlichen Kontakt, um sich vor einer Unterwanderung der eigenen Reihen durch Polizeispitzel zu schützen.
Erst als die Parteiführung auf die Forderung der Neonazis nach einer Übernahme nationalsozialistischen „Gedankenguts“ und einer Absage tschechischen „Revisionismus“ einging, willigten die Kameradschaften ein, ihre Leute für Märsche und Kundgebungen der Partei zur Verfügung zu stellen. Condition sine qua non war allerdings, dass die „Legalen“ über die Namen der zum großen Teil einschlägig vorbestraften Untergrundkämpfer Verschwiegenheit wahrte und deren Gesichter auf der Web-Seite der Partei unkenntlich macht.
Wie befürchtet, haben die beiden Verbotsverfahren der Partei bislang eher Wind in die Segel geblasen. Belastend für den Mitgliederzuwachs und die Gründung neuer Ortsgruppen Anwerbung neuer Parteimitglieder wirken allerdings Nachrichten über die Beteiligung von Angehörigen der Kameradschaften an Gewaltverbrechen.
So haben laut Anklage vier Neonazis im April letzten Jahres kurz vor Mitternacht Molotow-Cocktails auf ein von einer Roma-Familie in der tschechisch-schlesischen Stadt Vítkov geworfen. Ein kaum zwei Jahre altes Mädchen wurde dabei schwer verletzt und überlebte nur dank hervorragender ärztlicher Behandlung. Das Haus brannte völlig aus. Vorher waren die Tatverdächtigen bei zahlreichen von der Partei organisierten Demonstrationen teils sogar mit Ordnerbinde gesehen worden. Innenminister Martin Pecina sagte nach der Verhaftung der Tatverdächtigen im August 2009: „Der Fall Vítkov wird uns dabei helfen, die Partei aufzulösen.“
Vandas bekräftigte schon Anfang Januar seine Zuversicht, den Prozess zu gewinnen. „Doch auch ein Verbot kann uns nicht aufhalten. Für diesen Fall haben wir bereits die entsprechenden Vorbereitungen getroffen.“ Am Sitz der Parteizentrale ist kürzlich eine bereits amtlich registrierte Partei unter anderem Namen ansässig worden.