Geschichtsklittung und handfeste Tipps für braune Kameraden: Was es früher nur an einschlägigen Büchertischen und über entsprechende Versandhäusern zu kaufen gab, ist heute bei etablierten Online-Buchhändlern bequem erhältlich. Wie selbstverständlich nutzen Rechtsextreme Plattformen wie Amazon.
Von Christoph Schulze
Für Eric Kaden war der 9. Oktober vermutlich alles andere als ein schöner Tag. Im Zuge der bundesweiten Razzien gegen die "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) führte die Polizei bei dem sächsischen Neonazi eine Hausdurchsuchung durch. Kaden selbst, der nebenberuflich auch schon Mitarbeiter der Schweriner Landtagsfraktion der NPD war, wurde im Berliner Präsidium vorgeführt. Von dieser Maßnahme unberührt blieb allerdings ein anderer Aspekt seiner politischen Arbeit: Sein Versandbuchhandel im Internet lief technisch automatisiert auch während der Durchsuchung weiter.
Der Neonazi betreibt den "Buchdienst Kaden" und den "Winkelried Verlag". Große Teile des Sortiments der beiden Unternehmen bringt Kaden über den Onlineversandhändler Amazon per Internet an seine Kunden. Mehr als 500 Bücher hat er derzeit auf Amazon gelistet, über 2000 gingen insgesamt laut öffentlich einsehbarer Verkaufsstatistik schon über den virtuellen Ladentisch. Unter den Titeln findet sich zu Hauf harte Kost wie "Volk, Nation, Rasse" dessen Autor der ehemalige französischen SSler Jacques de Mahieu ist und den Nationalsozialismus verherrlichende Schriften wie "Mythos Waffen-SS", dessen Verfasser Herbert Schweiger selbst bei der Waffen-SS war. Auch ein "Handbuch für Patrioten und nationale Aktivisten" namens "Funkenflug", das ebenfalls in Deutschland wegen Volksverhetzung verboten war, wird bei Amazon beworben. Unter anderen Anbietern ist es auch über den Buchdienst Kaden erhältlich.
Amazon ist für rechtsextreme Buchhändler attraktiv
Für rechtsextreme Publizisten und Buchhändler sind die Möglichkeiten, die Onlineplattformen wie Amazon bieten finanziell attraktiv, erreichen sie doch ein weitaus größeres Publikum. Darüberhinaus erfüllt das Einstellen der Bücher auch eine politische Funktion: Wenn ein Medienprodukt nicht nur über szenenahe Vertriebswege zu kaufen ist, sondern auch über seriöse Anbieter wie Amazon, dann verliert die Veröffentlichung den Nimbus der brauen Schmuddelecke, der sie entstammt und in die sie gehört. Dies trägt dazu bei, die Hemmschwelle in gewissen Leserschichten zu senken. Buch für Buch, Tröpfchen um Tröpfchen kann so rechtsextremes Gedankengut leichter in die Gesellschaft hineinsickern.
Auch die Neue Rechte ist auf Amazon vertreten: Von ihrem französischen Vordenker Alain de Benoist sind Bände wie "Kritik der Menschenrechte" und "Demokratie: Das Problem" erhältlich. Gleich dutzendweise bekommt man auf Amazon Bücher des britischen Revisionisten und Antisemiten David Irving. Der Auschwitzleugner hat nicht nur in Deutschland unbefristetes Einreiseverbot.
Selbst die ganz heiße Ware ist über Amazon zu bekommen. Die Verbreitung des "Leuchter Report" – eine der bekanntesten Schriften aus der Holocaustleugner-Szenerie – ist in Deutschland als Volksverhetzung verboten. Nichtsdestotrotz wird das Heft auf den deutschen Amazonseiten angeboten – versehen mit dem dezenten Hinweis, dass der Versand nach Deutschland von den USA aus erfolge.
"Amazon vertreibt weder indizierte noch verbotene Titel" sagt Christine Höger, Pressesprecherin bei Amazon. "Unser Ziel ist es, unseren Kunden die größtmögliche Auswahl an verschiedenen Titeln bereitzustellen. Das bedeutet nicht, dass wir mit Meinungen, die z.B. auf bei uns erhältlichen Tonträgern oder in Büchern geäußert werden, sympathisieren oder solche Aussagen unterstützen." Ein Buch werde lediglich entfernt, wenn die Bundesprüfstelle jugendgefährdender Medien (BPjM) ein Buch als jugendgefährdent einstufe.
Rechtsextreme Titel sind allerdings nicht nur über braune Händler zu beziehen. Auch vielen nicht-rechten Antiquaren ist es egal, welchen Inhalts die Schrifen sind, an deren Verbreitung sie ihren Anteil haben.
Kritisiert wird selten
Kritisiert wird rechtsextreme Literatur auf Amazon nur selten. Auf die Selbstregulierung über die viel beachteten "Kundenrezensionen" zu setzen, nützt daher nicht. Beispielsweise wurden zu einem Band von David Irving über die Nürnberger Prozesse zwei Besprechungen gepostet: Die an erste Stelle gesetzte lobt das "Geschichtswerk erster Klasse" überschwenglich und wird dafür von anderen Lesern in großer Mehrheit als "hilfreich" bewertet. Erst danach kritisiert ein zweiter Rezensent die zweifelhafte Methodik des Hobbyhistorikers Irving mit recht treffenden Worten und ordnet das Buch als "furchtbares Machwerk eines Holocaustleugners" ein. Für dieser Kritik wird er jedoch abgestraft: Drei Viertel der Leser bewerteten seine Rezension als "nicht hilfreich".
All das zeigt, dass sich Rechtsextreme auch bei Amazon ihr Eckchen gesucht haben, in dem sie weitgehend ungestört ihre Geschäfte machen können und untereinander Buchtipps und publizistische Neuigkeiten austauschen. Dennoch - etwas abseits der Verkaufshits, aber unter ihrem Firmenlogo stellt Amazon den Rechtsextremen die Plattform für diese Tätigkeiten zur Verfügung. Aus der Schmuddelecke heraus – hinein in eine legitim scheinende Marktnische.
Der HDJ-Aktive und Buchhändler Eric Kaden ist nur ein Beispiel dafür, wie Rechtsextreme auf Amazon Geschäfte treiben – und Amazon ist ebenfalls nicht mehr als ein Beispiel für einen eigentlich unverdächtigen Kanal, über den einschlägiges Material vertrieben wird. So wird die Taktikfibel "Werwolf – Winke für Jagdeinheiten", die in der Endphase des zweiten Weltkrieges in Nazideutschland produziert wurde, um Terrorismus und Sabotage in von den Alliierten eingenommenen Gebieten anzuleiten, im Nachdruck nicht nur bei Amazon, sondern unter anderem auch bei E-Bay, bei buch24.de und beim Onlineversand des Weltbild-Verlags angeboten. Dieses Buch bietet Amazon übrigens auch selbst an und nicht nur über andere Händler. Und ganz kundenorientiert empfiehlt Amazon: “Kunden kaufen diesen Artikel zusammen mit: Die Nahkampfschule: Grundlagen der militärischen Nahkampfausbildung“.