Störenfriede aus der Provinz

Die Feuerwehr aus dem hessischen Vogelsberg macht bei der bundesweiten Kampagne „Unsere Welt ist bunt.de“ mit. In der Gegend leben nur wenige Migranten. Die Auseinandersetzung mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist für viele Feuerwehrleute Neuland.

Von Marie von Mallinckrodt

Vogelsberg - Fremdenfeindlichkeit kennt Willi Donath nur von einem Besuch an der Wolga. Dort nämlich wurde er, Feuerwehrmitglied, von einem Russen für einen Amerikaner gehalten und laut angepöbelt – wegen seiner vermeintlichen Nationalität. "Die Russen mögen die Amerikaner nicht“, erzählt er. Daheim in Hessen, sagt er, habe er so etwas noch nie erlebt.

Mit weit geöffneten Fenstern fährt der 54-jährige, der seit mehr als vier Jahrzehnten Feuerwehrmitglied und nebenher in der SPD aktiv ist, durch die Mittagshitze zur Feuerwehr-Jugendgruppe nach Schlitz. In dem kleinen Ort zwischen Fulda und Gießen wird er heute die Kampagne "Unsere Welt ist bunt.de" vorstellen. Einsam gelegene Bauernhöfe und dichte Baumkronen ziehen am Straßenrand vorbei. Das Mauerwerk der Fachwerkhäuser strahlt im frischen Weiß. Die Arbeitslosenquote ist mit sechs Prozent niedrig, und es gibt im Landkreis 125 Jugendfeuerwehren mit 1700 Mitgliedern.

Viele braune Flecken

"Wir wollen zeigen“, schreit Willi Donath gegen den Fahrtwind an, „dass jeder bei uns Platz hat. Gleich ob Männlein oder Weiblein, gesund oder körperlich behindert, Deutscher oder nicht.“ Aber nur in vier Jugendfeuerwehren gebe es überhaupt ausländische Mitglieder. Es gehe ihm um Toleranz und Offenheit, und deshalb sei die Aufklärungsarbeit enorm wichtig.

Der 54-Jährige ist froh, dass sein Landkreis, in dem er bis vor kurzem Landesjugendwart für die Feuerwehr war, die bundesweite Kampagne "Unsere Welt ist bunt!“ mitmachen kann. "Sicher gibt es hier im Landkreis auch Rassismus", erklärt Donath. Nur persönlich habe er einschlägige Vorfälle eben noch nie miterlebt. Migrantische Familien dagegen könnten jedenfalls einiges berichten. Und der Rechtsextremismus-Experte und Pädagoge Benno Hafeneger sagt, es gäbe "viele braune Flecken“ in der Gegend. "Der Vogelsbergkreis gehört zu den regionalen Zentren der rechtsextremen Jugendkultur in Hessen.“

Kirtorf ist ein Nachbarort von Schlitz, den man aus dem Fernsehen kennt. Vor ein paar Jahren trafen sich dort in ehemaligen Schweinestall regelmäßig organisierte Neonazis und rechtsextreme Jugendliche, veranstalteten Konzerte und Partys. Erst als die ARD unter dem Titel "Volksverhetzung mit Musik – Neonazi-Treffen in der Provinz“ darüber berichtete, wurden die Zusammenkünfte verboten. Die Neonazis haben ihre Treffen mittlerweile angeblich auf die umliegenden Dörfer verlagert: "Die rechtsextreme Jugendszene ist weiterhin sehr stark vertreten im Vogelsbergkreis. Es gibt mehrere Cliquen und Kameradschaften,“ sagt Benno Hafeneger.


Argumentationstraining gegen Stammtischparolen

Willi Donath erklärt fünfzehn Kindern der Jugendgruppe und ein paar Jugendgruppenleitern im Feuerwehrhaus Schlitz die Kampagne. Er spricht von Sensibilisierung, und was das praktisch bedeute: "Erst einmal werden überall im Landkreis Plakate aufgehängt, auf denen steht 'Unsere Welt ist bunt!'" Dann stellt er die geplanten Seminare für die Jugendgruppenleiter vor. "Umgang mit Gewalt und Argumentationstraining gegen Stammtischparolen." Am Ende soll die Feuerwehr-Jugend ein Papier mit ihren Zukunftsideen für den Vogelsbergkreis erarbeiten, das beim Abschluss der Kampagne im Frühjahr 2009 Landrat Rudolf Marx (CDU) von den Jugendlichen überreicht werden soll.

Die Kampagne, die im Vogelsbergkreis von der Bundesregierung mit mehr als 17 000 Euro gefördert wird, richtet sich vor allem an Jugendgruppenleiter. Sie sollen lernen, schwierige Situationen zu meistern: Wie geht man mit aggressiven Teenagern und jungen Männern um? Und wie kann man auch Menschen mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung in die Feuerwehr integrieren?

"Die pöbeln rum und lassen rassistische Parolen ab"

Im Landkreis Vogelsberg wählte bei der letzten Landtagswahl nur ein Prozent der Bürger die NPD. Benno Hafeneger analysiert die rechtsextreme Szene in Vogelsberg als eine eher eingeschworene Gemeinschaft, die wenig dafür tue, Verbände und Vereine zu unterwandern. Als eine Szene, die wenig mit dem parteimäßig organisierten Rechtsextremismus zu tun hat. "Sie pflegen ihre Kontakte mehr nach Innen. Im Gegensatz zum Osten Deutschlands", wie Hafeneger sagt, "dort ist die Strategie der Rechtsextremen, wirklich in die Verbände rein zu gehen.“

Aber die Vogelsberger Neonazis treten gerne als Störenfriede in Jugendclubs auf - das weiß Alexander, 26, Feuerwehr-Jugendgruppenleiter aus einem Nachbarort von Schlitz. Er ist nach dem Mauerfall mit seinen Eltern aus Weißrussland nach Hessen gekommen. Über seine Erlebnisse mit den einheimischen Neonazis redet er Klartext: "Die kommen am Freitagabend in einen Jugendclub, übertönen die Musik, die läuft, lautstark mit ihren rechtsextremen Liedtexten. Die pöbeln rum und lassen ihre rassistischen Parolen ab.“ Alexander hat die Störenfriede angesprochen, und er wünscht sich, noch mehr Leute würden das tun. Aber er sieht auch einen weiteren Aspekt: Migranten müssten sich besser integrieren. "Viele Weißrussen, die hier leben, würden nie auf die Idee kommen, in einem Verein mitzumachen“, sagt der 26-Jährige.

Nadine, 28, Jugendgruppenleiterin in Schlitz, findet das Projekt "ganz spannend“, sagt aber, dass sie mit der bunten Welt, mit Ausländern nichts zu tun habe. Versuche von Rechtsextremen in die Feuerwehr einzutreten habe sie auch nie erlebt und davon auch noch nie gehört. Im Vogelsbergkreis stellen Migranten dreieinhalb Prozent der Gesamtbevölkerung, in Hessen insgesamt zwölf Prozent.

Unsicher und unpolitisch

Benno Hafeneger hat bei einer Studie über Jugendverbände herausgefunden, dass es zwei Typen von Jugendgruppenleitern gäbe, auch bei der Feuerwehr in Vogelsberg: Die einen setzten sich aktiv mit ihrer Arbeit auseinander und sehen die Feuerwehr als "Träger der Zivilgesellschaft". Die anderen hätten ein gänzlich unpolitisches Verständnis von ihrer Arbeit, mit Problemen wollten sie nichts zu tun haben. "Oft wurde in den Interviews deutlich, dass sich die Jugendlichen als unpolitisch sehen. Gleichzeitig wollen sie keine rechtsextremen Tendenzen zulassen“, sagt Hafeneger. Sein Resümee: "Es gibt eine große Unsicherheit, wie man mit Rechtsextremismus umgehen kann, wenn er einen erreichen würde.“

Der Pädagoge Hafeneger fordert Aufklärung und klare Standpunkte, denn: "Die rechtsextreme Szene bleibt stabil, und sie zieht immer wieder neue Leute, das ist in den letzten zwanzig Jahren sehr deutlich geworden." Daher sei es allerhöchste Zeit, dass auch die Verbände und Vereine sich positionierten und öffentlich klar machten, dass sie gegen Rassismus und Extremismus sind.

Der Konkurrenzkampf um den Nachwuchs

Für Willi Donath ist völlig klar: "Wir als Feuerwehr haben eine politische Verantwortung.“ Und, so fügt er hinzu, "wir können durch das Integrationsprojekt den Betreuern Appetit machen, sich in dem ein oder anderen Bereich zu engagieren“. Nachdem er fertig ist mit der Vorstellung im Feuerwehrhaus Schlitz, erklärt er seine Liebe zur Feuerwehr und sagt dann auch, das Projekt sei eine gute Kampagne für die Feuerwehr: "Immerhin gibt es einen Konkurrenzkampf um Nachwuchs zwischen den Jugendverbänden.“

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