Hubschrauber in der Luft
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"Es war ein Versehen" - Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz

Man müsse sich den Verfassungsschutz wie einen Hubschrauber vorstellen, so Bernd Palenda, kommissarischer Leiter des Verfassungsschutzes Berlin. Dieser Hubschrauber kreise über die Stadt um nach Falschparkern zu suchen. Diese Informationen würde er dann an die Polizei weitergeben, könne jedoch nie selbst direkt eingreifen, da er viel zu weit weg sei. Um diesen Hubschrauber handlungsfähiger zu machen, müsse man seine Aufgaben neu definieren und ihn mit mehr Instrumenten ausstatten. Genau darüber wurde bei der Veranstaltung "Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz" diskutiert.

Von Alina Valjent

Ein schönes Bild, was Herr Palenda sich da ausgesucht hat. Leider hat der Verfassungsschutz-Hubschrauber, wie sich während der NSU-Ermittlungen herausstellte, gleich an mehreren Stellen gepatzt. In seinem Flug über die Stadt schien er rechtsextreme "Falschparker" einfach überflogen zu haben. Die Weitergabe von Informationen aus dem Cockpit schien darüber hinaus auch nicht wirklich gut gelaufen zu sein. Auf der Veranstaltung "Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz?" diskutierten Bernd Palenda, Eva Högl, SPD-Politikerin und Mitglied des Deutschen Bundestages mit Frank Jansen, Redakteur beim "Tagesspiegel" über die Zukunft des Verfassungsschutzes.

Vertrauensverlust in die Sicherheitsbehörden

"Wie kann es sein, dass die Suche nach drei Neonazis einfach abgebrochen wird?" fragt Jansen. Hinter dieser Frage stehen noch viele andere: Wie kann es sein, dass wichtige Akten geschreddert werden? Wie kann es sein, dass Sicherheitsbehörden nicht in der Lage sind, Informationen richtig einzuschätzen und weiterzuleiten? Und nicht zuletzt: Wie kann es sein, dass ein Netzwerk von Neonazis so lange unerkannt morden kann, wenn der Verfassungsschutz V-Leute in deren unmittelbarer Umgebung hatte?

Eins ist klar: Das Vertrauen der Bevölkerung hat der Verfassungsschutz erst einmal verloren. Vor allem in Migrantenkreisen wächst  das Gefühl von Unsicherheit gegenüber den Sicherheitsbehörden. Und was nutzt eine Behörde, die für innere Sicherheit sorgen soll, aber kein Vertrauen mehr im Inneren der Gesellschaft hat? Bei Grünen und Linken werden nun Stimmen laut, die für die Abschaffung des Verfassungsschutzes plädieren. Högl hingegen sprach sich für "umfassende Reformen" aus.

Spitzel überwachen Spitzel - Das neue Kontrollsystem?

Auch Palenda möchte die "Gesamtarchitektur" des Verfassungsschutzes reformieren. Doch sein Lösungsvorschlag für den Umgang mit V-Leuten überzeugt wenig: weitere V-Leute, die die anderen V-Leute überwachen. Angesichts der Tatsache, dass der Verfassungsschutz es in der Vergangenheit schon nicht geschafft hat, den Überblick über seine Informanten und deren Aktivitäten zu behalten, scheint es kaum sinnvoll, weitere V-Leute einzukaufen, die dann in Stasi-ähnlichen Strukturen andere V-Leute überwachen. Bei dieser Konstellation besteht die Gefahr einer noch stärker handlungsunfähigen Behörde, die sich komplett in Bespitzelungs-Ketten verliert.

Zahlreiche Aktenpannen und Schredderaktionen kommentiert Palenda mit den Worten "Es war ein Versehen. Es ist eben passiert." Was soll er auch anderes sagen. Es ist schlicht unmöglich, die gravierenden Fehler mehrerer Jahre an einem Abend zu erklären. Und dann gibt es da noch etwas, das sich auch durch umfassende Reformen und Umstrukturierungen nicht verändern lässt - Denkmuster und Wahrnehmungskriterien der Verfassungsschützer, Polizisten und Beamten.

Wären Opfer und Täter andere gewesen, wären die Ermittlungen anders gelaufen

Vorbehalte gegenüber Migranten seien flächendeckend in allen Instanzen zu finden, so Frau Högl. Sie sprach von einer "Distanz zu den Opfern", die nicht nur einen sensiblen Umgang mit den Familien der Opfer erschwerten, sondern auch die Aufklärung der Morde behinderte. Dieser Alltagsrassismus führte beispielsweise dazu, dass der Mord an einem türkischen Blumenhändler, der oft nach Holland fuhr, sofort mit organisierter Kriminalität in Zusammenhang gebracht wurde. Er führte auch dazu, dass in den Medien permanent das unsägliche Wort von den "Dönermorden" umging. Wären Opfer und Täter andere gewesen, wären auch die Ermittlungen anders gelaufen, das ist Högl sich sicher.

Für diese Einschätzung spricht einiges. Der "Aufstand der Anständigen" nach dem Anschlag auf die Synagoge im Jahr 2000 mit der Forderung einer stärkeren Bekämpfung von Rechtsextremismus verebbte nahezu vollständig in der Fokussierung auf islamistischen Terror nach dem 11. September des darauffolgenden Jahres. Für die Verharmlosung von Rechtsextremismus gibt es unzählige Beispiele in Presse, Polizei und Politik. Die Überbetonung von Linksextremismus und die politische Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus, die sich vor kurzem unter anderem im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommerns finden ließ, deuten darauf hin, dass die Botschaft immer noch nicht überall angekommen ist: Rechtsextremismus ist und bleibt verfassungsfeindlich.

Verfassungsschutz abgeschafft – Rassismus abgeschafft?

Ob, und wenn ja, wie man den Verfassungsschutz abschaffen oder umstrukturieren sollte, ist zweifelsohne wichtig. Sollte die Frage aber angesichts aktueller Vorkommnisse und der Studien zu rechtsextremen Ressentiments in der Mitte der Gesellschaft nicht eher lauten: Wie kriegen wir den Rassismus aus Behörden, Ämtern und Polizeidienststellen?

"Wir klären jetzt auf", beendete Högl optimistisch die Veranstaltung. Und so endete auch diese Veranstaltung, wie beinahe jede Veranstaltung, die "NSU" im Titel hat. Erst  regen sich alle ein bisschen auf - und dann werden doch die Mittel für das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus gekürzt.

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