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Schule macht Rassismus. Rassismus macht Schule.

Herr W. ist tot. Als er noch lebte, war er zwei Jahre lang mein Lehrer. Ich erinnere dunkelrote und gelbe Pullunder auf karierten Oberhemden und kaffeeschwangeren Atem. Schütteres Haar. Eine feste Stimme. Zu Beginn meines dritten Schuljahres betrat er an einem Sommermorgen den Klassenraum. Er setzte seine lederne Tasche auf das Pult und sagte mit schwäbischer Beflissenheit: „Kind’r heut mache m’r ebbes zum  „Lied der Deutschen“, also zur Nationalhymne. Emra, Devran, Sami, ihr geht derweil auf‘n Hof naus. Des isch ja net eu‘r Sach.“

 

Von Sami Omar 

 

Das ist eine der wenigen Erinnerungen, die ich an Herrn W. habe und eine der ersten von vielen rassistischen Verletzungen, die mir in meiner Schulzeit widerfuhren. Da ist die Geschichtsstunde in der an meiner Person erklärt wurde, was die Nationalsozialisten im Dritten Reich als „unwertes Leben“ definierten. Da ist die Sportstunde, in der meinen Mitschülern erklärt wurde, ich müsse ihnen, aufgrund  der besonderen genetischen Eignung zum Rennen, eigentlich allen davon laufen können. Da sind die Spendenaufrufe zugunsten von Kindern „wie Sami“, die in ihrer Reduktion meiner Person zum geretteten ostafrikanischen Hungerbauch wie eine Einladung zum Mobbing wirkten. Da ist der Schriftzug „Scheiß Ni**er“ an einer Wand des Schulhofes, an der ich ein ganzes Schuljahr lang jeden Morgen vorbei ging. Da sind Einladungen von Lehrern, von meiner Heimat zu erzählen. Reih um mit Devran, Igor und Mo‘, während die „deutschen Kinder“ schlicht zuhören sollten.

Als mich in der 10. Klasse ein Lehrer fragte, was ich beruflich später machen wolle, sagte ich: Ich werde Logopäde. Er neigte seinen Kopf sorgenvoll zur Seite und riet mir, ich solle etwas machen wo man „net so viel lernen muss“. Nach meiner Prüfung zum Logopäden fuhr ich mit einer Kopie meiner Urkunde zu meiner alten Schule und legte sie ihm kommentarlos in sein Fach. Heute denke ich, ich hätte zum Spaß noch eine Beleidigung dazuschreiben sollen. Etwas Vulgäres über seine Mutter vielleicht.

Schule macht Rassismus und Rassismus macht Schule. Vornehmlich deshalb, weil Rassismus als Phänomen gilt, dass Schule und Gesellschaft von außen bedroht. Dabei sind es die Menschen in den Institutionen, ihre Prägungen und ihre Sozialisationen, die sie für Teile der Schülerschaft zu gefährlichen Orten machen. Die offene und verdeckte Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens ist systematisch, weil sie in vielen von denen angelegt ist, die das System ausmachen. Seine Bekämpfung ist abhängig von einem schmerzvollen Selbsterkenntnisprozess, für den die, die nicht von Rassismus betroffen sind, gar keinen Anlass sehen. In gewisser Weise zu recht! Denn innerhalb der weißen Blase, einer Welt, in der Rassismus „ein Problem darstellt –aber nicht meines!“, glaubt man, seinem Weltbild mit dem Hinterfragen des eigenen Handelns im Bezug auf Rassismus zu schaden. Doch die weiße Blase ist eine Illusion. Das haben auch viele Lehrer*innen inzwischen erkannt. Zumindest insofern, als dass die ethnische Pluralität an den meisten Schulen des Landes nicht geleugnet werden kann.

Schon in den neunziger Jahren war das so. Und damals wie heute wird viel zu oft versucht, die Unterschiede zwischen den Schülern positiv zu besetzten, womit ihre vermeintliche Besonderheit, ihre Exotik erst recht betont wird – auch ihre Bedrohlichkeit. Pluralität wird so als Realität anerkannt, aber nicht als Normalität.

Ich kann kaum zählen, wie oft ich in der Schule mit der Frage fremd gemacht wurde, ob ich mal etwas von zu Hause zu essen mitbringen würde. Zum Tag der offenen Tür, zum Beispiel. Der Frage lag die Annahme zugrunde, es gäbe in meinem Zuhause etwas besonders exotisches zu essen. Es war der Versuch aus dem Fremden, etwas Vertrautes zu machen und so Gemeinschaft zu gestalten.  Frau Dr. Weber, eine äußerst hübsche Biologielehrerin, schlug vor, ich solle einfach mein Lieblingsessen mitbringen – doch das sind bis heute Königsberger Klopse.

Ernsthaft über Rassismus zu sprechen, bedeutet seine Existenz in und um uns an zu erkennen. Schule muss das heute leisten. Dazu gehören unbequeme Fragen: Welche Benotung der Leistungen meiner schwarzen Kinder habe ich von Lehrer*innen zu erwarten, die der AfD angehören? Welches Regelwerk tritt zum Schutz von Opfern rassistischer Beleidigungen an Schulen in Kraft? Gibt es Lehrer an der Schule,  die rassismus-kritisch geschult sind und entsprechend beraten und Hilfe vermitteln können? Wer steht den Lehrer*innen bei, die verstanden haben, dass Rassismus in Schule relevant ist und etwas tun wollen?

An den Fragen sieht man, dass wir in Sachen Rassismus heute schon weiter sind, als noch zu meiner Schulzeit. An den Antworten kann man die Zukunft unserer Gesellschaft ablesen.

 

Der Autor und Moderator Sami Omar schreibt und arbeitet zu den Themen Migration, Integration, Rassismus und Diskriminierung für Print und Online-Medien. Er tritt als Referent zu diesen Themen auf und moderiert Veranstaltungen aus Politik und Kultur. Sami Omar ist Kampagnenreferent und Mitarbeiter eines Fachdienstes für Integration und Migration bei einem deutschen Wohlfahrtsverband. 2016 erschien sein zweites literarisches Werk "Geht schon, danke". Seine Kurzgeschichten erscheinen in Literaturzeitschriften, Anthologien und sind Teil seines abendfüllenden Bühnenprogramms, mit dem er deutschlandweit auftritt. Sami Omar wurde 1978 als Sohn eritreischer Eltern im Sudan geboren und wuchs als Kind deutscher Eltern im schwäbischen Ulm auf. sami-omar.de

Gerade ist "Sami und die liebe Heimat" erschienen

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