Rechtsextreme in Hessen: Unangenehm selbstbewusst

Bei der hessischen Landtagswahl am Sonntag, den 18. Januar 2009, spielten die rechtsextremen Parteien eine marginale Rolle: Die NPD kam auf magere 0,9 Prozent der Stimmen (exakt wie bei der Vorjahreswahl im Januar 2008), die Republikaner sogar nur auf 0,6 Prozent der Stimmen (2008: 1,0 Prozent). Das heißt aber nicht, dass es in Hessen keine Rechtsextremen gäbe. Die „Freien Kräfte“ sind im ländlichen Raum selbstbewusst und gewaltbereit.

Simone Rafael sprach mit Kirsten Neumann und Christopher Vogel vom Mobilen Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus für demokratische Kultur in Hessen e.V. und Sabine Diederich von der Jugendbildungsstätte Anne Frank.

Wie sieht Rechtsextremismus in Hessen derzeit aus?
Die hessische Neonazi-Szene befindet sich im Moment im Umbruch. Marcel Wöll war jahrelang die bestimmende Figur der Szene. Er war einerseits Landes-Vorsitzender der NPD und saß für die NPD im Wetterauer Kreistag, andererseits stand er an der Spitze der Freien Nationalisten Rhein-Main. Entsprechend stand er für eine Zusammenarbeit und Vernetzung von NPD und freier Szene. Nach dem peinlichen Landtagswahlkampf 2008 mit dem selbstdemontierenden „Zwergenvideo“ (siehe Bild) und einer Verurteilung wegen Holocaustleugnung und Volksverhetzung ist Marcel Wöll in Hessen politisch erledigt Er ist nach Thüringen gezogen. Durch Wölls Demontage hat die NPD enorm an Bedeutung verloren. Der neue Vorsitzende Jörg Krebs ist ein relativ unbeschriebenes Blatt. Jetzt ist die NPD für die „Freien Kräfte“ Hessens als Sammelbecken nicht mehr interessant. „Freie Kräfte“ wie die „Autonomen Nationalisten“ profitieren davon und gewinnen mehr Anhänger. Entsprechend hören die rechtsextremen Aktivitäten auch nicht auf. So gab es im Oktober 2008 etwa eine größere Demo in Wetzlar, die die Todesstrafe für Kinderschänder forderte, mit rund 320 Teilnehmenden. Die hatte Nicole Becker vom Verein „Ersthelfer“ angemeldet, einer Demo-Hilfe-Initiative der Neonazis.

Die nordhessische Neonaziszene orientiert sich zurzeit nach Nord – und Westdeutschland. Auch hier findet sich eine Vernetzung der Kameradschaftsszene mit dem Spektrum der Jungen Nationaldemokraten statt. Allerdings sind die Kameradschafts- und freie Szene inzwischen die attraktiveren.

Wie zeigt er sich hauptsächlich? Gibt es Schwerpunkt-Regionen?
Überall in Hessen finden sich Kameradschaftsstrukturen, die zum Teil sehr aktiv sind und dauerhaft agieren, zum Teil haben sie sich offiziell aufgelöst, agieren aber weiter und gehen auf in NPD- oder Aktionsbüro-Strukturen. Wichtig sind in Südhessen die genannten Freien Nationalisten Rhein-Main oder die Berserker aus dem Vogelsberg. Zum Teil sind Gruppierungen aber auch wenig oder vor allem punktuell auf Aufmärschen aktiv und basieren auf wenigen Personen. Verbindungen über die Landesgrenzen hinaus, wie etwa beim Aktionsbüro Rhein-Neckar, ergänzen das Bild.

Mitglieder der rechten Szene zeigen sich häufig auf örtlichen Festen wie etwa auf der Dorfkirmes. Dort gibt es nicht selten Schlägereien. Die Musikszene spielt eine wichtige Rolle. Ein Beispiel für die regen Aktivitäten im Bereich der rechten Musik ist die rechtsextreme Band HKL (Hauptkampflinie) aus dem nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis. Dort finden regelmäßig als Geburtstagsfeiern oder ähnliches getarnte rechtsextreme Konzerte statt. Im Sommer 2008 überfielen Neonazis im Schwalm-Eder-Kreis am Neuenhainer See ein Zeltlager linker Jugendlicher, wobei ein Wortführer der lokalen Szene, Kevin Sch., ein 13-jähriges Mädchen mit einem Spaten krankenhausreif zusammenschlug, wofür er unlängst zu über zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Im Sportbereich sind die Fußball-Ligen betroffen. So wird von einem Vorfall berichtet, bei dem ein Torwart mit der Rückennummer 88 auftrat. Die Folgen dieser strukturellen Veränderungen und Anwerbeaktivitäten zeigen sich in unserer täglichen Arbeit. So berichten immer mehr Jugendliche über Berührungspunkte mit rechtem Gedankengut oder Gruppierungen. Eine rechte (nicht nur Jugend)-Szene hat sich in vielen Orten entwickeln können.

Nicht nur in den ländlichen Regionen finden sich diese Aktivitäten. So wurden etwa in Frankfurt alternative Jugendliche von Neonazis überfallen. In Kassel wurde eine Schülervertreterin bedroht, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Hier ist auch inzwischen damit zu rechnen, dass dort, wo Veranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus stattfinden, auch Personen aus dem Spektrum auftauchen und sich selbstbewusst in Diskussionen einmischen.

Schwerpunkt-Regionen sind in Südhessen die Region Bergstraße und Odenwald, in Mittelhessen Vogelsberg und Lahn-Dill, in Nordhessen der Schwalm-Eder-Kreis. Einen wichtigen Rückzugsort hat die rechten Szene in Butzbach Hoch-Weisel im Wetteraukreis verloren: Dort scheiterte ein so genanntes „nationales Wohnprojekt“ von Marcel Wöll.

Welche sind die wichtigsten Organisationen?
Freie Nationalisten Rhein-Main, Berserker, die NPD mit siebzehn Kreisverbänden (auch vertreten durch Mandate in Kommunen und Kreisen) und die JN, Aktionsbüro Rhein-Neckar.

Gibt es „lokale Spezialitäten“ der Szene?
Hessen liegt am unteren Ende der bundesweiten Statistiken zum Thema, was oft genug dazu einlädt, das Thema und die Aktivitäten der Szene klein zu reden. Der hessische Verfassungsschutz weist jedoch darauf hin, dass z.B. die vergleichsweise kleineren Personenzahlen im Kontext ihres hohen Mobilisierungs- und Gewaltpotentials zu sehen sind und daher Anlass zur Sorge bieten. Der Strukturwandel innerhalb der Szene hin zur NPD hat sich erledigt, auch wenn die Freien Kräfte zum Teil noch für gemeinsame Aktionen wie Infostände zu begeistern sind.

Allgemein ist zu sagen, dass auch hier Aktive der rechten Szene häufig nicht etwa aus sozial schwachen Hintergründen stammen, sondern dass sie aus durchaus gesicherten Verhältnissen kommen und in die Gesellschaft integriert sind. Hervorzuheben sind hier die Verbindungen der rechten Szene zu Burschenschaften. Es wird ganz allgemein und durchaus erfolgreich der Anschluss an konservative Kreise gesucht.

Welche aktuellen Trends, Strategien beobachten Sie?
In Hessen gibt es nach der Selbstdemontage der NPD eine starke Hinwendung zu „Autonomen Nationalisten“ und anderen „Freien Kräften“, die stärker eine Erlebniskultur als tiefschürfende politische Inhalte anbieten und sich insgesamt cooler, hipper und unauffälliger auftreten. Dass „Autonome Nationalisten“ mit Basecaps und Piercings besser aussehen, ändert aber nichts an der Gefahr, die von ihnen ausgeht. Der „Kampf um die Dörfer“ ist in vollem Gange. Ein Beispiel ist der Schwalm-Eder-Kreis, wo es einer dominanten Führungsfigur, nämlich dem jüngst verurteilten Kevin Schnippkoweit, innerhalb kürzester Zeit gelang, eine sehr aktionsbereite rechtsextreme Szene zu organisieren, die nicht nur Aufkleber verteilte und Präsenz bei Veranstaltungen von politisch Andersdenkenden zeigte, sondern vor allem nicht-rechte Jugendliche verfolgte, was von Stalking und Bedrohung bis zu Körperverletzungen ging. Die Rechtsextremen dort sind erstaunlich selbstbewusst. Sie kommen zu jeder Veranstaltung des Bündnisses „Schwalmstadt ist bunt“, das nach dem Überfall am Neuenhainer See gegründet wurde, saßen an jedem Prozesstag im Gericht.
Außerdem ist in Hessen die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) verortet, die „familienorientierte“, in die Szene gerichtete Angebote macht und auf Heimabenden und in Zeltlagern werden hier die Kinder und Jugendlichen der rechten Szene früh geschult.

Ein weiteres Feld ist die Nutzung des Internets: Eine internetbasierte Nachrichtensendung, die „Kritischen Nachrichten der Woche“, werden von der NPD ins Netz gestellt.

Als wie bedrohlich schätzen Sie Rechtsextremismus in Hessen derzeit ein und warum?
Durch den Weggang Marcel Wölls und die Haftstrafe für Kevin Sch. ist die hessische rechtsextreme Szene derzeit im Umbruch mit noch unklarem Ausgang. Deutlich sind der Einflussverlust der NPD und die Hinwendung zu „Freien Kräften“. Bei der Landtagswahl 2009 tritt die NPD für die Landesliste und mit 34 Direktkandidaten an. Damit wird sie in 55 Wahlkreisen mit Erststimme wählbar sein, die Republikaner dagegen nur in 14 Wahlkreisen. Bei der Wahl 2008 war das Kräfteverhältnis noch umgekehrt. Trotzdem dürfte sie eine nebensächliche Rolle spielen.
Der Umgang mit rechtsextremen Aktivitäten ist auch in Hessen häufig von Unsicherheiten geprägt. Erfreulicherweise hat seit dem letzten Jahr eine selbst organisierte Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure in Hessen stattgefunden. Die Einrichtung eines landesweiten Beratungsnetzwerks aus Mitteln des Bundesprogramms „Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ bietet jetzt Unterstützung für Opfer von Bedrohungen und Gewalttaten wie für Menschen, die aktiv werden wollen. Aus dem Vogelsbergkreis wurde z.B. berichtet, dass Jugendliche sich nicht trauen, gegen rechts einzutreten, weil sie bedroht und eingeschüchtert wurden. Wichtig ist auch, dass bei Aktivitäten gegen rechte Gruppierungen nicht gleich gewalttätige Auseinandersetzungen angenommen oder fast herbeigeredet werden, wie es etwa im Vorfeld von Demonstrationen zu beobachten war. Flankiert werden müssten diese Aktivitäten allerdings landesweit durch vielfältige präventive Maßnahmen.

| Mobiles Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus für demokratische Kultur in Hessen e.V.

| Jugendbildungsstätte Anne Frank

| Initiativen in Hessen

Wahlergebnisse der hessischen Landtagswahl 2009

Die REP erhielten 0,6 Prozent (2008: 1 Prozent) der Zweitstimmen ("Landesstimmen"), die NPD kam auf 0,9 Prozent wie im Vorjahr. Nur in 20 von den insgesamt 55 hessischen Wahlkreisen konnte die NPD um jeweils wenige Wählerstimmen zulegen. Die REP verloren durchweg in jedem einzelnen Wahlkreis. In absoluten Zahlen sackten die REP von unter 28.000 auf unter 16.000 Stimmen, die NPD von etwa 24.000 auf gut 22.000 Zweitstimmen (alle aktuellen Angaben laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis).

Wie schon zuvor erzielte die NPD ihr bestes Zweitstimmen-Ergebnis mit 2,4 Prozent im Wahlkreis Wetterau II (2008: 3 Prozent). Das beste REP-Ergebnis kam mit 1,5 Prozent im Wahlkreis Odenwald zustande. Bei den Erststimmen ("Wahlkreisstimmen") erzielte Klaus Opitz mit 2 Prozent im Wahlkreis Rheingau-Taunus I das beste Ergebnis der REP-Kandidaten, unter den NPD-Kandidaten bekam Daniel Lachmann im Wahlkreis Wetterau II mit 2,6 Prozent den höchsten Anteil. (Quelle: redok)

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