Rechte Gewalt als Alltagsphänomen

Rechtsextreme Gewalt gibt es in Ost- und Westdeutschland. Doch nicht überall existieren professionelle Beratungsprojekte.

Von Judith Porath, Opferperspektive e.V.

Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Brandenburg: Überall in Deutschland werden Menschen Opfer rechter und rassistischer Gewalt. Sie werden geschlagen, getreten, bedroht, angepöbelt, und beschimpft. Der Hass der Täter richtet sich besonders gegen nicht-rechte Jugendliche gezielt gegen Alternative, politische Aktive, Schwule und Lesben, Punks und Obdachlose. Besonders stark betroffen sind Jugendliche, Migranten und Migrantinnen.

Gezielte Auswahl der Opfer

Auch wenn rechte Gewalt häufig spontan passiert, ist die Auswahl der Opfer selten zufällig: Rechte greifen junge Erwachsene und Jugendliche an, weil sie lange Haare haben, die „falschen“ Aufnäher tragen oder einfach nicht ins Weltbild der Täter passen. Oder sie wählen ihre Opfer nach rassistischen Gesichtspunkten aus. Flüchtlinge, Migranten, Afrodeutsche oder Deutsche mit Migrationshintergrund werden aufgrund äußerer Merkmale wie Hautfarbe und Herkunft für minderwertig erklärt. Dies dient den Schlägern als Tatlegitimation. Weil der Auslöser für einen rechten Angriff lediglich eine bestimmte Hautfarbe oder Haarfarbe ist, haben die Betroffenen keine Möglichkeit derartige Angriffe zukünftig zu meiden. Die Botschaft, die mit dem Angriff transportiert werden soll, ist für alle Betroffenen von rechter Gewalt klar: Leute wie du sind hier nicht erwünscht. So wirkt ein Angriff über die Verletzungen des Einzelnen hinaus. Denn die Betroffenen werden stellvertretend für eine ganze Personengruppe angegriffen. Meist gehören sie zu gesellschaftlichen Randgruppen wie Punks, Flüchtlinge, Obdachlose, die auch von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt und sozial ausgegrenzt werden. Noch heute fühlen sich die rechten Schläger oft als „Vollstrecker des gesunden Volksempfindens“.
Was tun nach einem rechten Angriff?

Viele Angriffe werden der Öffentlichkeit nicht bekannt. Die Gründe sind vielfältig: Die Betroffenen stellen keine Anzeige, aus Angst vor Rache oder weil bereits eine Art 'Gewöhnungseffekt' eingetreten ist. Die Ermittlungsbehörden qualifizieren die Straftat als 'Rangelei unter Jugendlichen' ab oder die Medien stufen den Fall als uninteressant ein. Häufig verfügen die Betroffenen und ihre Umgebung nicht über Informationen zu vorhandenen Beratungsangeboten oder haben Hemmungen, diese in Anspruch zu nehmen.

Professionelle Beratungsstellen

Die Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten, die in den fünf neuen Bundesländern sowie in Berlin arbeiten, versuchen dem mit ihrem aufsuchenden Ansatz entgegen zu wirken.

Sie recherchieren täglich in Zeitungen, Presseverteilern, im Internet oder erfahren über ein breites Netz an Kooperationspartnern von rechten oder rassistischen Angriffen. Zu den betroffenen Menschen nehmen sie Kontakt auf und unterbreiten ihnen ein Hilfsangebot.
Die wesentlichen Prinzipien der Beratungsarbeit sind Freiwilligkeit, Vertraulichkeit und Anonymität. Das Beratungsangebot ist kostenlos, ergebnisoffen und findet an einem frei wählbaren Ort statt. Die Beratung kann einmalig sein oder zu einer längeren Begleitung werden. Unterstützungsleistungen, die in der Regel angeboten werden, sind:

• Rechtliche Hinweise
• Vermittlung juristischer Unterstützung
• Begleitung und Unterstützung im Rahmen von Straf- und Zivilverfahren
• Hilfe bei der Beantragung von (Entschädigungs-)Leistungen
• Psychosoziale Beratung nach systemischen Gesichtpunkten
• Psychologische Krisenintervention
• Vermittlung psychotherapeutischer Unterstützung
• Öffentlichkeitsarbeit

Die Unterstützung der Einzelnen ist eine wichtige Form, um rechte Gewalt nicht unkommentiert stehen zu lassen und die Geschädigten nicht alleine zu lassen. Darüber hinaus ist es ein Ziel der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt, die Sichtweise von Betroffenen und potenziell Betroffenen, ihren Blick auf die Verhältnisse an ihren Wohnorten mehr Gehör zu verschaffen und in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen.

Notwendige Unterstützung

Sind Sie Opfer einer rechte Gewalttat geworden, haben Sie Anspruch auf Hilfe und Unterstützung.
Die körperlichen Schäden verheilen möglicherweise schnell, die seelischen Probleme aber wirken oftmals länger nach. Die erlittenen Schläge oder Tritte entziehen vielen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen, erschüttern sie. Vielen geht die Fragen nicht mehr aus dem Kopf: „Warum ich? Was habe ich falsch gemacht?“ Die Antwort kann nur lauten: Nicht Sie sind verantwortlich für das, was Ihnen widerfahren ist. Verantwortlich sind die Täter!

Reden Sie mit vertrauten Menschen über ihre Erfahrungen und ihre, vielleicht widersprüchlichen Gefühle. Die Gespräche können Ihnen helfen, das Geschehene zu verarbeiten. Gefühle von Hilflosigkeit, Angst, Einsamkeit oder Wut kennen viele Betroffene. Vielleicht gehen Sie bei Einbruch der Dunkelheit nicht mehr alleine aus dem Haus, vielleicht schlafen Sie schlechter als vorher und machen sich mehr Sorgen. Das ist eine ganz normale, spontane Reaktion auf das Erleben von Gewalt. Wenn diese Reaktion aber zum Dauerzustand wird und auch die Gespräche mit Angehörigen, Freunden und Freundinnen daran nichts ändern, wird es Zeit, sich dafür – wie für andere Verletzungen auch – Hilfe zu suchen.

Staatliche Unterstützung

Für medizinisch notwendige Leistungen und Behandlungen haben Opfer Anspruch auf staatliche Unterstützung. Von den Tätern können Betroffene auf zivilrechtlichem Weg Schmerzensgeld oder Schadensersatz einklagen. Konnten die Täter ermittelt werden, ist es ratsam als Nebenkläger im Gerichtsverfahren aktiv teilzunehmen. Ein erfahrener Fachanwalt oder eine Fachanwältin können kompetent beraten und die eigenen Interessen gegenüber den Tätern vertreten. Lassen sie sich von vertrauten Personen und Unterstützern zur Zeugenaussage im Prozess begleiten. So müssen Sie den Tätern im Gerichtssaal nicht alleine gegenübertreten und können die Stimmung positiv beeinflussen.

Beraten Sie mit anderen, ob der Angriff gegen Sie öffentlich machen werden sollte und so über Aktivitäten der rechtsextremen Szene ihrer Region informiert wird. Oft bekommt man darüber Kontakt zu anderen Betroffenen und erfährt von weiteren Bedrohungen, Pöbeleien und Gewalttaten. Solidarität ist wichtig!

Scheuen Sie sich nicht professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen. In der Beratung geht es um ihre Stabilisierung. Gemeinsam werden eigene Ressourcen zur Verarbeitung aufgedeckt und gestärkt.
Gibt es in ihrer Region eine spezialisierte Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, wenden Sie sich dahin. Die Kollegen haben fundierte Kenntnisse in den Bereichen Rechtsextremismus, Rassismus, Opferberatung und in rechtlichen Fragen. Sie arbeiten in einem breiten Netzwerk mit Initiativen, Fachkräften sowie anderen Institutionen zusammen und können neue Kontakte vermitteln.

Zeugen können aktiv werden

Wenn Sie Zeuge eines Angriffs wurden, mussten sie vermutlich spontan und unerwartet entscheiden: Hinsehen? Wegsehen? Eingreifen? Diese Entscheidung ist oft nicht einfach und fällt vielen Menschen schwer. Nur wenige haben bereits ähnliche Situationen erlebt.

Für die Opfer ist das Verhalten von Passanten oder anderen Zeugen von zentraler Bedeutung. Greift niemand ein, wird dies als Desinteresse an der Tat oder als Zustimmung für das Verhalten der Täter gewertet. Dadurch kann ein Stück unseres „Urvertrauens“ in unsere Umwelt, nämlich Hilfe von Mitmenschen in ausweglosen Situationen zu erhalten, zerstört werden.

Täter werten das Schweigen oder Wegsehen von Zeugen häufig als Bestätigung ihres Handelns und fühlen sich ermuntert weiterzumachen. Mischen sich Zeugen in das Tatgeschehen durch rufen oder direkte Ansprache ein, werden Täter jedoch oft verunsichert. So kann eine bedrohliche Situation mitunter unterbrochen werden.

Für die jeweilige Situation können an dieser Stelle keine allgemeingültigen Verhaltensmaßgaben vorgeschrieben werden. Gewaltsituationen sind unterschiedlich; die psychischen und physischen Handlungsmöglichkeiten von Zeugen sind individuell verschieden. Trotzdem gibt es Schritte, die jede und jeder unternehmen kann, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Dazu gehört, die Polizei und gegebenenfalls einen Krankenwagen zu rufen und sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen.

Unterstützung durch Angehörige, Freunde und Initiativen

Es gibt vielfältige Möglichkeiten Betroffene dabei zu unterstützen, mit den Folgen eines Angriffs umzugehen. Zunächst einmal ist wichtig, die Betroffenen nicht allein zu lassen. Wichtig sind jetzt ein stabiles und verständnisvolles soziales Umfeld und vertrauensvolle Beziehungen (intakte Familie oder Freundeskreis). Gesprächsangebote, uneingeschränktes Interesse und Aufmerksamkeit schaffen Sicherheit und Stabilität. Dadurch kann das Erlebte erfasst, sortiert und später verarbeitet werden. Zentraler Baustein ist dabei die selbst bestimmte Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen. Für Unterstützer bedeutet es eigene Sichtweisen zurück zu stellen und stattdessen die Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen unbedingt ernst nehmen und zum Leitfaden des eigenen Handels machen. Solidarische Unterstützungsmöglichkeiten können sein:
− als Gesprächspartner zu Verfügung stehen
− Hilfe bei der Suche professioneller Hilfe beispielsweise Beratungsstellen, Ärzte, Psychologen
− Begleitung zum Arzt, zur Anzeigenstellung bei der Polizei oder zur Zeugenaussage bei Gericht.
− öffentliches Thematisieren des Angriffs in der Gemeinde/Stadt
− Aufmerksamkeit schaffen für rechtsextreme Aktivitäten und Strukturen
− Unterstützer für Betroffene rechter Gewalt in der Gemeinde/Stadt zu gewinnen.

In jedem Fall ist es wichtig, genau hinzuschauen und mit den Betroffenen über ihre Wünsche und Vorstellungen zu sprechen. Gemeinsam können Sie rechtsextremer Gewalt entgegen treten und ein Zeichen der Hoffnung setzen.

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