Neonaziszene mobilisiert für den 1. Mai 2010

Auch in diesem Jahr sind für den 1. Mai insbesondere in Berlin, Schweinfurt, Rostock und Erfurt Neonaziaufmärsche zu erwarten. Angemeldet sind außerdem Demonstrationen in Zwickau, Hoyerswerda und Solingen - und jetzt auch noch in Dortmund. Für Unmut unter den „Kameraden“ sorgt, dass es keine einheitliche Demonstrationsstrategie gibt. Entschiedenes Gegenengagement ist trotzdem wichtig.

Von Sebastian Heidebrecht

Auch dieses Jahr versucht die Neonaziszene den 1. Mai als „Tag der deutschen Arbeit“ zu zelebrieren. Dass sich dahinter fremdenfeindliche Forderungen nach etwa „Arbeit den Deutschen, Ausländer raus“ verbergen, ist unschwer erkennbar. Die Nazis versuchen gezielt, die angespannte Arbeitsmarktsituation auszunutzen und so den gesetzlichen Maifeiertag für ihr menschenverachtendes Gedankengut zu instrumentalisieren. Die begriffliche Anlehnung an die NSDAP, die den 1. Mai zum „Feiertag der nationalen Arbeit“ umbenannte, verdeutlicht umso mehr die Gesinnung der neonazistischen Initiatoren.

Zu erwarten sind für den 1. Mai Aufmärsche insbesondere in Berlin, Schweinfurt, Rostock und Erfurt, sowie auch in Zwickau, Hoyerswerda und Solingen. Am größten dürften wohl Berlin und Schweinfurt werden, doch auch in Rostock, wo am selben Wochenende das Ost-Derby gegen den Energie Cottbus stattfindet, dürfte die Lage angespannt sein.

Innerhalb der Neonaziszene sorgt die Tatsache für Unmut, dass sich verschiedenste Gruppierungen von teils Parteizugehörigen und parteifreien Neonazis auf kein einheitliches Aufmarschkonzept für Demonstrationen am 1. Mai einigen können. Die Neonaziszene erscheint zerstritten und aufgesplittert, bleibt jedoch als Gefahr für Meinungsfreiheit und Demokratie nicht zu unterschätzen. So werden von den Behörden beispielsweise für den Aufmarsch in Berlin 3.000 Neonazis erwartet, auch wenn diese Zahl eher den Fantasien der Veranstalter entsprechen dürfte. In Schweinfurt werden 1.500 Neonazis erwartet.

Abgesehen davon, ob zwischen NPD und „Freien Kräften“ Einheit herrscht oder nicht, ist es wichtig, menschenverachtendem Gedankengut keinen öffentlichen Raum zur Verfügung zu stellen. Was im Wesentlichen in den einzelnen Städten von den Neonazis und an Gegenreaktionen geplant ist, ist im Folgenden aufgelistet:

Berlin

Das Rätselraten um den Ort der Neonazidemo am 1. Mai hat ein Ende. Nach wochenlangem Verwirrspiel seitens Behörden und der Veranstalter wird die Demonstrationsroute der Neonazis in der Hauptstadt immer ersichtlicher. Die Neonazis werden offenbar durch den Szenekiez Prenzlauer Berg marschieren. Der Aufmarsch soll voraussichtlich um 11 Uhr am S-Bahnhof Bornholmer Straße starten, über die den genauen Verlauf der Route ist aber bisher wenig bekannt. NPD und „freie Kameradschaften“ marschieren gemeinsam unter dem Motto „Unserm Volk eine Zukunft“. Die Polizei will sich zur genauen Strecke des Demonstrationszuges nicht äußern. So sollen gewalttätige Konfrontationen mit Gegendemonstranten weitestgehend verhindert werden. Problematisch ist allerdings, dass so auch das demokratische Engagement der Bürgerinnen und Bürger behindert wird, die mit friedlichem Protest ein Zeichen gegen menschenfeindliche Bestrebungen setzen wollen.

Insbesondere vier Organisationen planen Widerstand. Das von Gewerkschaften, Verbänden, Kirchen sowie Vertretern von Jugendclubs, Ortsbeiräten, von Attac bis hin zur Antifa unterstützte Bündnis „1. Mai – Nazifrei“ plant Aktionen des zivilen Ungehorsams und die Blockade des Neonazizuges. Zu diesem Zweck findet am Samstag, dem 24. April um 12.00 Uhr ein Blockadetraining auf dem Bebelsplatz statt. Zu diesem „öffentlichen Probesitzen“ sind alle Gegner menschenverachtendem Gedankengut eingeladen. Zusätzlich will das Bündnis Berliner Antifa-Gruppen „Jeder Aufmarsch hat seinen Preis“ eigene inhaltliche Akzente über die Kritik an den Neonazis hinaus setzen. Eigenständig mobilisiert wird unter dem Motto „Los jetzt hier“ von antifaschistischen Jugendgruppen. Prominentes Engagement gegen den Neonazisaufmarsch findet sich im „Berliner Ratschlag für Demokratie“, in dessen Papier zu lesen ist: „Wenn Neonazis aus Deutschland und Europa am 1. Mai auf den Straßen und Plätzen Berlins Angst verbreiten wollen, werden wir dies nicht dulden und nicht tatenlos zusehen“. Vertreten wird die Initiative unter anderem von Moderatorin Mo Asumang und Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung.

Schweinfurt

Zwar wurde der zentrale Naziaufmarsch der süddeutschen Neonazis in Schweinfurt vorerst verboten, allerdings lehrt die Erfahrung, dass eine diesbezügliche Klage vor dem Verwaltungsgericht Würzburg erfolgreich sein dürfte und die erwarteten 1.500 Neonazis schließlich legal in Schweinfurt marschieren können. Als Redner werden u.a. der österreichische Neonazi Gottfried Küssel erwartet, der wegen „NS-Wiederbetätigung“ und Waffenbesitzes mehrmals verurteilt wurde und in Haft saß, sowie Jürgen Schwab, der mit Publikationen wie „Volksstaat statt Weltherrschaft“ dem Motto des süddeutschen Naziaufmarsches „Kapitalismus bedeutet Krieg“ völkisch gerecht werden dürfte.
Für eine demokratische Antwort ruft zum einen das Bündnis „Schweinfurt ist Bunt“, dem über 60 Organisationen, Parteien und Verbände angehören, zu einer Gegendemonstration von den Wehranlagen bis zum Zeughaus auf. Dort wird ein „Fest der Demokratie und Toleranz“ veranstaltet, mit internationalen Kulturbeiträgen, politischen Informationsständen, Kinderangebot sowie Speise- und Getränkemöglichkeiten. Weiterhin hat die Antifa-Gruppe Schweinfurt mit Unterstützung diverser regionaler Antifa-Gruppen unter dem Titel „Frei statt Netz Süd“ zu einem „antikapitalistischen Block“ innerhalb der Bündnisdemo aufgerufen und lädt um 10:30 zu einer Kundgebung am „Grünen Markt“ ein. Hier veranstaltet außerdem der „AK Maifeuer“ seine Kundgebungen, der zur Verhinderung des Naziaufmarsches außerdem zu verschiedenen dezentralen Aktionen aufruft.

Rostock

Im Nordwesten der Hansestadt im Stadtteil Lütten-Klein hat die NPD einen Aufmarsch unter dem Motto „Freiheit statt BRD“ angemeldet, und will dort mit rund 400 Teilnehmern marschieren. Dabei versucht sie mit völkischem Antikapitalismus und bekannten Motiven auf Stimmenfang zu gehen. Sie propagiert Arbeit als Grundrecht aller „Volksgenossen“, und betont zusätzlich, dass es auch eine Pflicht zur Arbeit gebe. Gerechtigkeit will sie in einem starken Nationalstaat gewährleisten, dessen Träger die „völkische Gemeinschaft“ sein soll. Unschwer zu erkennen ist der rassistische Hintergrund der Forderungen, Toleranz und individuelle Freiheit spielen offensichtlich keine Rolle. Hinter der NPD-Kritik am Wirtschaftssystem stecken also Rassismus und Antisemitismus. Verschärft wird die Lage durch das Zweitligaspiel gegen den Energie Cottbus am 2. Mai, dessen Anhänger in der Vergangenheit ebenfalls durch antisemitische und ausländerfeindliche Parolen aufgefallen sind.

Zu einem bunten Protest ruft deshalb das Bündnis „1. Mai – nazifrei“ auf und fordert „Vielfalt statt NPD“, um mit bürgerschaftlichem Engagement den Nazis entgegenzutreten und den Naziaufmarsch zu verhindern. „Es ist keine Gegendemonstration, sondern eine friedliche Blockade“, verdeutlichte Julian Barlen von der Initiative „Endstation Rechts“ gegenüber den „Norddeutschen Neusten Nachrichten“ sein Engagement. Ein Naziaufmarsch in Rostock soll so nicht ohne eine breit getragene demokratische Antwort bleiben. Geplant ist außerdem ein friedliches Fest am Rande der Demonstration, zu dem jeder Rostocker eingeladen wird, um Stellung gegen rechtes Gedankengut zu beziehen. Dort wird zusätzlich ein kulturelles und musikalisches Bühnenprogramm zu sehen sein. Die Organisatoren wollen in der kommenden Woche täglich mit Infoständen und Protestaktionen aufmerksam machen, um für eine große Beteiligung und friedliche Blockade zu werben.

Erfurt, Zwickau und Hoyerswerda

In Erfurt mobilisieren für den 1. Mai die sogenannten „Freien Kräfte“ gemeinsam mit dem Thüringer Landesverband der NPD unter dem vielsagenden Motto „Arbeit statt Abwanderung“ und erwarten bis zu 500 Teilnehmer. Auch hier gibt es Zwist unter den Organisatoren, da viele „Freien Kräfte“ lieber nach Berlin fahren würden. Erwartet wird der NPD-Vorsitzende Udo Voigt, der zur dortigen Demonstration eine Rede halten soll. Die Neonazis marschieren vom Erfurter Hauptbahnhof und versammeln sich dort um 11:30.

Als Reaktion ist von einem breiten Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, verschiedenen kleineren Bündnissen und einzelnen Bürgerinnen und Bürgern eine Gegendemonstration geplant, sowie eine Blockade der Naziveranstaltung. Die Gegenaktivisten verpflichten sich in einem Aktionskonsens zur Gewaltfreiheit. Ein Mitglied des Koordinierungskreises des Blockadebündnisses sagte zu den geplanten Gegenreaktionen, dass sie „mit verschiedenen Blockadekonzepten und vielfältigen Aktionen an diesem Tag flexibel auf unterschiedliche Situationen reagieren können, um am Ende den Nazis keinen Raum zur Verbreitung ihrer Ideologien in Erfurt zu lassen“. Zur Vorbereitung wird es in den nächsten Tagen auf öffentlichen Plätzen mehrere „Probesitzen“ geben, woran sich auch Mitglieder des Thüringer Landtags beteiligen werden. Am 1. Mai ist um 8 Uhr Treffpunkt auf dem Anger. Auch die lokalen Antifa rufen zu einer Demonstration zur Verhinderung des Neonaziaufmarschs auf.

In Zwickau marschieren Neonazis unter dem offen rassistischen Motto „Arbeit für Deutsche! Fremdarbeiter-Invasion stoppen!“. Die Demonstration dient wahrscheinlich zusätzlich den Erfurter Neonazis als Ausweichort. „Entschlossen, Neonaziaufmärsche in Zwickau zu verhindern“, zeigt sich das Zwickauer Bündnis „Zwickau nimmt Platz“, das dazu aufruft, sich „wieder zu setzen“ um sich mit gewaltfreien Aktionen dem Naziaufmarsch zu widersetzen. So werden die Neonazis wohl auch am Ausweichsort von engagierten Gegendemonstranten empfangen.

Die in Hoyerswerda angemeldete Nazidemo heißt „Generationen der Feigheit müssen vergehen“. Die Nazis marschieren ab 14:00 Uhr vom Bahnhof Neustadt. Veranstalter ist die Gruppe „,Wir wollen leben’, im außerparlamentarischen Widerstand“, deren Mitglieder sich offen dazu bekennen, „keine Demokraten“ zu sein. Um hier dem Naziaufmarsch eine entsprechende Antwort entgegenzusetzen, fordert der Oberbürgermeister der Stadt, Stefan Skora, Bürgerinnen und Bürger dazu auf, am „1. Mai ein Zeichen zu setzen“. Zusätzlich bemüht sich die Initiative Zivilcourage in Hoyerswerda um Gegenproteste.

Solingen

In der Endphase der Landtagswahl in Nordrheinwestfalen versucht die rechtspopulistische Partei „Pro NRW“ unter dem Motto „NRW ohne Minarette“ mit Kundgebungen in Solingen den Schlussspurt des Wahlkampfs einzuleiten. In der Klingenstadt, in der traditionell am 1. Mai eine Gewerkschaftskundgebung zum „Tag der Arbeit“ stattfindet, wird deshalb ein breit angelegter Bürgerwiderstand organisiert. Warum „Pro NRW“ sich trotzdem für Solingen entschieden hat, geht aus einer Pressemitteilung deren Mitglieds Markus Wiener hervor: „Solingen hat sich in jüngerer Vergangenheit unter dem Kreisvorsitzenden Tobias Nass zu einer regelrechten Pro-NRW-Hochburg entwickelt.“ Nass ist ehemaliges NPD-Mitglied und tritt für die Rechtspopulisten bei der Landtagswahl am 9. Mai an. So wird erneut die oft vertuschte Nähe von „Pro-NRW“ zur NPD deutlich.
Seitens der Stadt wird versucht, sich „mit allen demokratischen Kräften friedlich dagegen zu stellen“, so Oberbürgermeister Norbert Feith. Das Bündnis „Bunt statt Braun“ veranstaltet aus diesem Grund in Sicht- und Hörweite zu den Neonazis ein buntes Bühnenprogramm ab 9:00 Uhr auf der Hauptstraße. So wird deutlich zu gemacht, dass Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in Solingen keinen Platz haben.

Dortmund

Auch Dortmund muss sich erneut mit »Autonomen Nationalisten« auseinandersetzen. Unter dem Motto »Arbeitsplätze und gerechte Löhne für alle Deutschen« wollen sie am 30.04. ab 18.30 Uhr vom Dortmunder Hauptbahnhof aus in den Stadtteil Dorstfeld ziehen. Das soll mittels »massiver Proteste« verhindern, werden, zu denen die Bündnisse »Dortmund stellt sich quer!« und »Dortmund gegen rechts« (www.dortmundquer.blogsport.de) aufrufen.

Engagement lohnt sich

Dass ein breit angelegter Protest erfolgreich Neonazimärsche verhindern kann, zeigt dass Beispiel Dresden 2009. Dort gelang es einem breiten Bündnis vor einem halben Jahr durch Blockade die Neonazidemo letztlich zu verhindern.

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