"Man sollte sich die Mühe machen, Leute im persönlichen Gespräch zu überzeugen"

Seit den "Heimat"-Filmen von Edgar Reitz gilt vielen der Hunsrück als liebenswerter Rückzugsraum mit wenig Infrastruktur und schönen Wanderwegen. Rechtsextremismus schien hier lange Zeit kein Thema zu sein. Ein Interview mit Matthias Marteau.

Matthias Marteau: Im vergangenen Herbst erhielten wir einen Hinweis, es gäbe im Dorf Völkenroth im Vorderhunsrück einen so genannten Naziladen. Also einen Laden, der die regionale und sogar überregionale Szene mit Kleidung und rechtsextremen Accessoires versorgt. Wir haben dann als erstes umfangreiche Recherchen angestellt; also den Laden mehrfach besucht und detailliert aufgeschrieben, was dort verkauft wird. Dann haben wir zu den gefundenen Bekleidungsmarken im Internet recherchiert. Das Ergebnis war, dass in dem Laden tatsächlich sehr viel Bekleidung verkauft wurde, die in der Neonaziszene sehr beliebt ist. Außerdem fanden sich im Verkaufssortiment Schlagstöcke, Reizgas und Fahnen in den Farben des Deutschen Reiches.

Bei unseren Besuchen fiel uns im Schaufenster auch ein Werbebanner mit dem uns bis dahin unbekannten Bekleidungslabel "Erik and Sons" auf. Als wir auch zu dieser Klamottenmarke im Internet recherchierten, stellten wir fest, dass die Marke innerhalb der rechtsextremen Jugendszenen als brandaktueller und stärkster Konkurrent zur bekannten Marke "Thor Steinar" gilt. Für uns völlig überraschend tauchte dabei als Geschäftsführer der GmbH, die das neue Modelabel bundesweit vertreibt, wie auch im Impressum der entsprechenden Internetauftritte eben jener Ladenbetreiber aus dem Hunsrück auf. Wir entschlossen uns, unsere Erkenntnisse öffentlich zu machen und gründeten die "Initiative politische Aufklärung – Hunsrück".

NgN: Welche Schritte haben Sie dann als nächstes unternommen?

Matthias Marteau: Wir wussten, dass der Ladenbetreiber bereits seit mindestens einem Jahrzehnt dieses Geschäft im Dorf hat. Er hatte mit Bundeswehr- Kleidung und Jagdutensilien angefangen; und gemessen daran vertrieb er erst seit relativ kurzer Zeit bei Neonazis beliebte Klamotten.

Also ist der Mann im Gegensatz zur NPD in Morbach-Gonzerath kein Zugezogener?

Matthias Marteau: Er erschien uns als ein im Dorf verwurzelter Mann, was er bei genauerer Betrachtung eigentlich nicht ist. Für uns stellte sich die Frage, wie wir, die wir selbst nicht aus diesem Dorf stammten, den Mann in seiner Gemeinde und der Umgebung isolieren konnten, ohne quasi wie eine Naturkatastrophe über das Dorf hereinzubrechen. Wir versuchten deshalb zunächst, Einwohner des Dorfes zur Zusammenarbeit zu gewinnen.

Waren Sie dabei erfolgreich? Wenn ja, wie sind Sie vorgegangen?

Matthias Marteau: Ich würde sagen, dass es uns zum Teil gelungen ist. Nachdem wir die Gründung unserer Initiative in den regionalen Medien öffentlich gemacht hatten, haben wir im Namen der Initiative einen Brief im Dorf verteilt. In diesem Brief wurde unser Anliegen zunächst nur grob umrissen und die Dorfbevölkerung aufgefordert, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Dazu haben wir auch Vertraulichkeit zugesichert. Daraufhin haben sich etwa zehn Personen bei uns gemeldet, die um weitere Informationen baten. Wir sind jeder dieser Anfragen nachgegangen und haben mit allen anfragenden Personen Einzeltreffen arrangiert. Dort bekamen wir sehr viele Hintergrundinformationen zur Vorgeschichte des Ladenbetreibers und vereinbarten mit einem Teil der Dorfbewohner einen weiteren Informationsaustausch und auch eine weitere Zusammenarbeit.

Das hört sich so an, als wenn es ein Interesse innerhalb der Dorfbevölkerung gab, etwas gegen den Laden zu unternehmen.

Matthias Marteau: Interesse war und ist schon vorhanden, aber keine Idee, was man machen kann. Wir wurden erstmals zu diesem Zeitpunkt, aber auch zu späteren Gelegenheiten mit einer für uns überraschenden Einstellung konfrontiert. Die Menschen sagten häufig, man solle sich an die Polizei wenden. Wenn diese keinen Weg finde gegen Rechtsextremismus vorzugehen, könne man eben nichts machen. Das widersprach unserem Demokratieverständnis völlig. Denn in unseren Augen ist die Polizei eine Strafverfolgungsbehörde und keine politisch-moralisch Institution. Das widerspricht auch allen Aufrufen zur Zivilcourage und zu zivilgesellschaftlichem Engagement.

Die Einstellung, dass Rechtsextremismus ausschließlich ein Problem von Sicherheitsbehörden und Justiz sei, ist ja durchaus weit verbreitet. Wie sind Sie damit umgegangen?

Matthias Marteau: Wir hatten das Gefühl, wenn wir hier nichts unternehmen, würde gar nichts passieren. Und dass dieses Nichtverhalten der Bevölkerung und der politisch Verantwortlichen dazu führen, dass Rechtsextremismus in den Jugendsubkulturen immer stärker Fuß fassen kann. Die einzig wirkungsvolle Strategie dagegen scheint uns, klare Grenzen zu setzen und keinerlei Toleranz gegenüber einem schleichenden Einzug des Rechtsextremismus in den Mainstream zu zeigen. Konkret bedeutete das: wir sind unseren Weg weiter gegangen.

Nachdem wir uns mit Dorfbewohnern abgestimmt hatten und Vorgespräche mit Journalisten geführt hatten, haben wir drei offene Briefe formuliert. Einer richtete sich an den Bürgermeister der übergeordneten Verbandsgemeinde Kastellaun. Diesen Mann forderten wir auf, dafür zu sorgen, dass mit seinem kommunalen Amtsblatt nicht weiterhin Werbung des Ladenbetreibers für die bei den Neonazis beliebten Markenprodukte beigelegt wird. Ein solcher Werbeflyer lag nämlich im Weihnachtsgeschäft im Dezember 2007 dem Amtsblatt bei. Zweiter Adressat eines offenen Briefes war die Waffenbehörde des Landkreises. Wir forderten die Leiterin der Behörde auf, dem Ladenbetreiber den Waffenschein und seine Waffenbesitzkarte zu entziehen. Für uns war es unvorstellbar, dass eine Person mit mutmaßlich rechtsradikaler Intention zugleich legaler Waffenbesitzer sein kann. Gespräche mit Dorfbewohnern, die den Ladenbesitzer als sehr gewalttätigen Menschen beschrieben, bestärkten uns in dieser Haltung. Dritter Adressat eines offenen Briefes war der Vorstandsvorsitzende der örtlichen Kreissparkassen. Ihn forderten wir auf, dem Landebetreiber sämtliche Konten zu kündigen. Für uns war der Gedanke unerträglich, dass ein öffentlich-rechtliches Geldinstitut, das auch Gelder in kommunale Haushalte einspeist, Geld mit den Konten eines Mannes einnimmt, der die rechtsradikale Szene bedient.

Und wie haben die Angeschriebenen darauf reagiert?

Matthias Marteau: Die Waffenbehörde teilte uns nach einigen Wochen mit, es gebe keinen rechtlichen Handlungsspielraum. Der Leiter der Kreissparkasse und der Verbandsgemeindebürgermeister reagierten bis heute uns gegenüber nicht. Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde ließ sich jedoch in einer überregionalen Tageszeitung mit den Worten zitieren: "Ich bin hier nicht der moralische Oberwächter".

Aber der Ladenbetreiber muss doch in irgendeiner Form aktiv geworden sein?

Matthias Marteau: In der Tat! Der Mann schien sich sehr frühzeitig unter Druck zu fühlen. Schon als Reaktion auf unseren Brief an die Einwohner des Dorfes verfasste er eilig einen eigenen offenen Brief an die Dorfbevölkerung. Darin versuchte er panisch zu vermitteln, dass er ohne jede politische Intention sei. In diesem Brief bezichtigte er auch einen vollkommenen unbeteiligten Mann der Urheberschaft unseres Briefes. In den folgenden Wochen bekamen wir über verschiedene Kontaktpersonen mit, dass der Ladenbetreiber überall versuchte zu verhindern, dass unsere Rechercheergebnisse über ihn weiterverbreitet wurden. Als unsere offenen Briefe an den Bürgermeister, die Waffenbehörde und den Vorstandsvorsitzenden der Kreissparkasse dann auf verschiedenen Internetseiten auftauchten, erreichte uns nur wenige Tage später ein Brief der ihn vertretenden Anwaltskanzlei. Das war Mitte März.

Was schrieb der Anwalt?

Matthias Marteau: Der Ladenbetreiber ließ darin tatsächlich erklären, er habe alle Bekleidungsmarken mit hoher Affinität zur rechtsextremen Szene aus dem Sortiment genommen und hätte sich von seinem aus der Szene in Brandenburg stammenden Geschäftspartner bei "Erik and Sons" getrennt. Wir halten das, sofern er seine Ankündigungen wahr macht, für einen eindeutigen Erfolg unserer Arbeit.

Geben Sie sich mit diesem Erfolg zufrieden?

Matthias Marteau: Wir werden das Verhalten des Ladenbetreibers weiterhin genau beobachten und überprüfen, ob er sein Versprechen einhält. Nachdem wir allerdings verblüfft feststellen mussten, dass der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kastellaun sich bis heute nicht konstruktiv zu der Frage einer weiteren Verteilung rechtsextremer Werbung in seinem Amtsblatt geäußert hat, werden wir da natürlich weitermachen und als nächsten Schritt alle Verbandsgemeinderatsmitglieder mit diesem Anliegen persönlich anschreiben. Wir hoffen, auf diesem Weg etwas in Bewegung zu setzen. Sollte auch das nicht erfolgreich sein, werden wir Mittel und Wege suchen, die Bevölkerung über das Nichtverhalten ihrer gewählten Vertreter aufzuklären. An diesem Punkt werden wir sicherlich sehr hartnäckig sein. Das geht einfach nicht, dass mit einem kommunalen Amtsblatt Werbung für Nazikleidung verteilt wird.

Rückblickend auf die letzten Monate und Ihre Kampagne: Was ist aus Ihrer Erfahrung absolut notwendig, um im ländlichen Raum zu agieren?

Matthias Marteau: Nicht gut wäre es mit Sicherheit gewesen - ohne zuvor zu versuchen Kontakt zu Dorfbewohnern aufzubauen - beispielsweise eine Kundgebung oder Demonstration vor dem Laden abzuhalten. Das hätte in diesem Fall dazu geführt, dass sich die Dorfbevölkerung mit dem Ladenbetreiber solidarisiert hätte. Man sollte sich wirklich die Mühe machen, Leute im persönlichen Gespräch zu überzeugen, aber dennoch auch die Möglichkeit wahrnehmen, sich an eine breitere Öffentlichkeit zu wenden. Man muss die Leute in gewissem Maße auch zwingen Stellung zu beziehen. Im Fall des Ladenbetreibers war das zentral. Die meisten Leute im Dorf haben sich jahrelang nicht für seine Machenschaften interessiert. Die haben nur gemerkt, da läuft was Komisches. Als wir dann Konsequenzen einforderten, gab es einerseits diejenigen, die das nicht gerne wollten und die, denen es egal war. Aber eben auch die anderen, die sich freuen, dass endlich was passiert. Sie sehen sich hilflos und sind ganz froh, dass Leute von außen die Initiative ergriffen haben – weil wir den richtigen Ton getroffen haben und nicht das ganze Dorf pauschal als rechtes Nest abgestempelt haben. Wir wollen die Menschen im Dorf ja nicht unbegründet an den Pranger stellen. Es geht uns um die Sache.

NgN: Danke für das Gespräch.

Matthias Marteau (40) gehört zu den Gründungsmitgliedern der Initiative politische Aufklärung – Hunsrück (ipah).

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