Die rechtsextreme Bedrohung muss von Staat und Gesellschaft entschieden erkannt, benannt und bekämpft werden. Doch die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU in Berlin zeigt, dass dem neuen Berliner Senat das Interesse und der Wille dazu fehlen. Ein Kommentar der grünen Rechtsextremismus-Expertin Clara Hermann.
Von Clara Hermann*
Ganz Deutschland spricht über die menschenverachtenden Gewalttaten, die mit rechtsextremistischen Hintergründen in Deutschland verübt wurde. Die Morde, Anschläge und Gewaltaktionen, die der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" zugeordnet werden, zeigen die Existenz rechtsterroristischer Strukturen. Das Versagen der Sicherheitsbehörden ist allzu deutlich! Es braucht eine umfassende und lückenlose öffentliche Aufklärung. Die rechtsextreme Bedrohung muss von Staat und Gesellschaft entschieden erkannt, benannt und bekämpft werden. Doch die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU in Berlin zeigt, dass dem neuen Berliner Senat das Interesse und der Wille dazu fehlen.
Auch in Berlin ist rechte Gewalt und Gewaltbereitschaft alltäglich spürbar und erfahrbar. So zählen beispielsweise die „Autonomen Nationalisten“ zum gewalttätigen rechten Spektrum in der Hauptstadt und machen mit Hetzlisten im Internet regelrecht Jagd auf Menschen und Einrichtungen, die nicht in ihr Weltbild passen. Die links-alternative Einrichtungen, auf die im vergangenen Jahr Brandanschläge verübt wurden, standen auf dieser Liste. Gegen Rechts aktive Personen wurden gezielt bedroht. Wer könnte das nicht Ernst nehmen, wenn seit 1990 sind in Berlin zehn Menschen Todesopfer rechter Gewalt geworden sind?!
Aber nun konkret zur Koalitionsvereinbarung. Klar, „schlimmer geht es immer“ könnte man sagen, aber in den Vereinbarungen für die Regierungszusammenarbeit in Berlin machen Sozial- und Christdemokraten einen Rückschritt in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in Berlin. Selbst andere Vereinbarungen zwischen SPD und CDU, z. B. in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern gehen deutlich weiter, obwohl diese vor dem Bekanntwerden der Morde und Anschläge der Rechten Terrorgruppe getroffen wurden.
Rechtsextremismus taucht im Kapitel „Extremismus“ auf und wird in nur vier Zeilen als Problemfeld benannt. Der „Linksextremismus“ wird vergleichsweise umfangreicher behandelt. Damit stellt rot-schwarz die Phänomene Rechtsextremismus und Linksextremismus nicht nur gleich, sondern erweckt den Eindruck, dass Linksextremismus das größere Problem sei.
Zur Anwendung kommt ein fragwürdiger Extremismusbegriff. Nach diesem gibt es eine demokratische Mitte der Gesellschaft und an den Rändern den Rechts- und Linksextremismus. Zahlreiche Studien zeigen, dass Rassismus, Antisemitismus, Islamhass, Homophobie, Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind.
Es gibt zwar eine Landeskonzeption gegen Rechtsextremismus in Berlin, aber auf diese wird im Koalitionsvertrag gar nicht eingegangen. Notwendig wäre zudem eine gemeinsame Strategieentwicklung mit den Berliner Bezirken im Kampf gegen Rechts. Auch eine Berücksichtigung des neu aufkommenden Rechtspopulismus wäre dringend notwendig. Mit der Gefahr des Rechtspopulismus wird sich gar nicht befasst obwohl in Berlin mit Pro Deutschland und Freiheit gleich zwei rechtspopulistische Parteien auf der Bildfläche erschienen sind! Aber eigentlich ist es wenig überraschend, dass die Buschkowsky-Sarrazin-SPD Alltagsrassismus nicht als solchen erkennen kann und will.
Am Landesprogramm gegen Rechtsextremismus wird festgehalten, aber es gibt kein Bekenntnis zu den Mobilen Beratungsstellen, -Teams und Opferberatungsstellen. Das ist in den bereits erwähnten Koalitionsvereinbarungen in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen anders. Leider erfolgt auch keine Aussage zur Finanzierung der Träger und ihrer Projekte. Heißt das, wir haben es in Zukunft mit Kürzungen zu tun? Steht und fällt das Landesprogramm ab jetzt mit den Bundesprogrammen?
Folgenden Satz haben SPD und CDU aufgeschrieben: „Gruppierungen, die nach ihrer Satzung verfassungsfeindliche Ziele verfolgen oder sich verfassungsfeindlich betätigen, können keine staatliche Förderung erhalten.“ Ist das die Einführung der Extremismusklausel durch die Hintertür? Es bleibt unklar, was damit konkret gemeint ist. Wer nimmt erwähnte Beurteilung vor, der Verfassungsschutz, die Senatsverwaltung für Inneres?
Damit stellt rot-schwarz die zivilgesellschaftlichen Akteure, die sich gegen Rechtsextremismus und damit gegen die Feinde der Demokratie engagieren, unter den pauschalen Verdacht der Demokratiefeindlichkeit. Ob damit auch eine Bespitzelung der PartnerInnen einhergeht, bleibt abzuwarten.
Rechtsextreme Gewalt und rechtsextremer Terror werden gar nicht behandelt! Gibt es das in Berlin nicht? Konsequenzen aus den schrecklichen Morden, Anschlägen und Gewalttaten der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ werden gar nicht gezogen. Nichts zu Verstrickungen und Fehlern der Sicherheitsbehörden oder die Unterschätzung rechtsextremer Gewalt. Hier wären nachdenkliche Worte mit dem Eingeständnis der Überprüfung der Arbeit des Verfassungsschutzes und der Strafverfolgungsbehörden angemessen gewesen!
Das NPD-Verbot bleibt die einzig konkrete Forderung. Aber es wird nicht ernsthaft darauf eingegangen, Maßnahmen einzuleiten, die ein rechtssicheres Verfahren ermöglichen würden. Hier scheint eher der reflexhafte Ruf nach einem Parteienverbot dazu zu dienen, von Versagen und Fehleinschätzungen ablenken zu wollen.
* Clara Hermann ist Mitglied des Abgeordnetenhauses für die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen in Berlin. Hermann ist Mitglied im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie, im Hauptausschuss und im Ausschuss für Verfassungsschutz. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Arbeit gegen Rechtsextremismus.
Mehr im Internet: