Leben zwischen Grauen und Glamour

Die Biographie der Schauspielerin Asli Bayram ist so einzigartig, dass sie fast wie ein Drehbuch klingt: Ihr Vater wurde in Darmstadt von Neonazis ermordet, sie selbst 2005 zur „Miss Deutschland“ gewählt. Mit Belltower.news sprach die Schauspielerin, deren neuer Film „Short cut to Hollywood“ Sonntag auf der Berlinale zu sehen ist, über Rassismus, Integration, Heimatgefühle und Hass.

Von Moritz Müller-Wirth

Asli Bayram wurde 1981 in Darmstadt geboren. Ihre Eltern stammen aus der Türkei. Als sie 12 Jahre alt war, wurde ihr Vater von einem Neonazi erschossen, sie selbst wurde durch eine Schusswunde schwer verletzt. 2005 wurde sie zur „Miss Deutschland“ gewählt. Nach Schauspielunterricht in Wien und Los Angeles folgten erste Filmrollen. 2007 gab sie in Luxemburg ihr Bühnendebüt in der Rolle der Anne Frank. Ihr Film „Short cut to Hollywood“ läuft am Sonntag auf der Berlinale im Panorama.

Asli, Sie sind Schauspielerin, Charakterdarstellerin, haben bei Eric Morris in Los Angeles studiert. Was ist Ihr aktuelles Projekt?

Ich habe eine Rolle in dem durchgeknallten Road-Movie „Short cut to Hollywood“, eine deutsche Produktion der Bavaria, aber fast komplett in den USA gedreht, in New York, Miami, Las Vegas, Los Angeles

Der Film läuft auf der Berlinale im Panorama. Was ist die Story?

Der Film ist eine total schräge Tragik-Komödie über die Gier, um jeden Preis berühmt zu werden, und sei der Preis das eigene Leben. In so einer Zeit leben wir. Ich verkörpere in meiner Rolle die Gegenposition zu diesem Irrsinn: dass nämlich nur Leistung zu Ruhm und Erfolg im Showbusiness führen kann. Man muss den Menschen einmal mehr klar sagen, dass mehr Schein als Sein nicht das richtige Rezept für Erfolg ist. Der Film wird sicherlich Kontroversen auslösen, weil er bewusst Grenzen überschreitet, um aufzurütteln.

Sie sind 27 Jahre alt und leben seit Ihrer Geburt in Deutschland. Hat sich im Lauf der Jahre die Art und Weise geändert, wie man Ihnen als Deutsch-Türkin begegnet?

Nein, eigentlich nicht. Mir geht es gut hier, ich fühle mich zu Hause. Aber im Alltag gibt es eigentlich Tag für Tag Situationen, in denen man mich spüren lässt, dass ich nicht wirklich dazu gehöre.

Ein Beispiel?

Kürzlich saß ich im Flugzeug, das Boarding war noch nicht abgeschlossen, und musste noch kurz jemanden anrufen. Ich sprach Türkisch. Da fährt mich mein Sitznachbar plötzlich von der Seite an und sagt: „Nicht telefonieren, wir sind hier doch nicht in einem arabischen Flugzeug!“ So wird man in Deutschland manchmal angesprochen. Das passiert in anderen Ländern nicht.

Und wie reagieren Sie dann?

Entweder ignoriere ich das oder ich lasse meine Wut heraus und entgegne scharf: „Was willst Du denn?!“ Aber meistens versuche ich, es zu ignorieren, weil man eh’ nichts machen kann.

Haben Sie das Gefühl, solche Sprüche sind aggressiv gemeint oder eher locker daher gesagtes, dummes Gerede?

Es kommt von innen heraus, manchmal erkenne ich Hass, mindestens aber so eine Genervtheit.

Sie sagen, das erleben Sie sonst nirgendwo?

Ich bin keine, die sagt: ‚Das gibt es nur in Deutschland, es sind alle Deutschen so.’ Auf keinen Fall! Ich habe viele deutsche Freunde und viele Deutsche haben mich sehr unterstützt, Ihnen haben ich viel zu verdanken. Ich verallgemeinere auf keinen Fall, aber es gibt eben, wie ich glaube, zu viele Menschen in Deutschland, die offenbar Schwierigkeiten damit haben, dass auch Menschen anderer Herkunft gleichberechtigter Teil dieses wunderbaren Landes sind.

Würden Sie sagen: "Deutschland ist mein Land"?

Es ist mein Land. Hier bin ich geboren und aufgewachsen. Aber ich habe auch ein anderes Land, die Türkei, das Land meiner Eltern. Und da fühle ich mich auch wohl, aber gelebt habe ich da noch nie. Ich war nur im Urlaub dort. Trotzdem ist auch die Türkei mein Land. Aber was heißt schon: ‚Mein Land’? Ich versuche mir immer, die ganze Welt als ein einziges Land vorzustellen. Wir leben ja alle auf einer Welt. Und wenn jeder so denken würde, dass es unsere gemeinsame Welt ist, würde es auch diesen Hass auf das Fremde nicht geben.

Es ist auffällig, wie häufig Sie das Wort ‚Hass’ benutzen. Ein Neonazi Ihren Vater aus blankem Hass umgebracht hat. Welchen Hass meinen Sie persönlich, wenn Sie das Wort benutzen?

Ja, das hat gewiss mit meiner Biographie zu tun, aber nicht nur mit dem schrecklichen Tod meines Vaters., Wenn ich Hass sage, meine ich die Empathie von Menschen, die ihren negativen Gefühlen freien Lauf lassen. Natürlich hasst der Mensch in dem Flugzeug nicht mich als Person, aber in ihm, tief in ihm drin sitzt etwas, was dann heraus bricht, Wut, Vorurteile, irgend etwas, vielleicht auch Hass.

Viele Türken sind bestens integriert, andere aber haben daran kein Interesse. Könnte das ein Grund für die Aggressionen sein?

Darüber kann ich wirklich aus Erfahrung sprechen. Einerseits, wenn ich unsere Familie anschaue: wir sind wirklich so eine gute Beispielfamilie. Meine Eltern haben Deutsch gelernt, mein Vater hat sein Abitur hier nachgeholt, meine Geschwister und ich sind alle hier in die Schule gegangen, wir haben sehr viel Wert auf unsere Bildung gelegt. Wir haben keine Kopftücher getragen, wir waren nicht extrem religiös, wir haben viele deutsche Freunde. Unsere Familie war so gut integriert, dass es idealer kaum sein konnte. Und trotzdem haben wir offensichtlich so viel Aggressionen geweckt, dass mein Vater dafür mit seinem Leben bezahlt hat. Aber natürlich heißt das nicht, dass man sich nicht integrieren soll, im Gegenteil: das Bildungssystem überhaupt das gesellschaftliche System ist hier wirklich hervorragend, es gibt keinen Grund, sich hier nicht zurecht zu finden.

Wie ist es mit der Sprache?

Ich finde es gut, dass ich zweisprachig aufgewachsen bin. Das ist ein Vorteil. Aber man sollte die Sprache können, wenn man hier lebt. Bei der ersten Generation, die gekommen ist, habe ich noch ein gewisses Verständnis, dass das nicht im Vordergrund stand. Manche haben gedacht, dass sie bald zurück gehen in die Heimat. Die Deutschen haben gedacht, die gehen zurück; die Türken haben gedacht, sie gehen irgendwann demnächst zurück. Aber wenn dann Kinder da sind, wird die Sprache richtig wichtig. Sobald man weiß, dass man in diesem Land leben will, muss man die Sprache lernen.

Auch, um Missverständnissen vor zu beugen?

Klar. Für mich ist das selbstverständlich. Ich kann nicht nach Spanien gehen und mir dort ein Leben aufbauen und dann kein Spanisch lernen. Ich habe dann ja auch ein Interesse, Spanisch zu lernen.

Sie sind in Deutschland sehr prominent, wie gehen die türkischen Medien damit um?

Die sind sehr stolz auf mich (lacht), das lassen sie mich spüren. Die sehen und beschreiben meinen Weg als Vorbild für die anderen türkisch stämmigen Mädchen.

Zwei Momente in Ihrer Biographie sind gar nicht beispielhaft, sondern, jeder auf seine Weise, auf schöne und bedrückende Weise: einzigartig. Sie wurden hier zur „Miss Deutschland“ gewählt und Ihr Vater, wir sprachen es bereits an, wurde von einem Neonazi erschossen. Wie haben diese beiden Ereignisse Ihr Leben in Deutschland beeinflusst?

Was die Wahl zur „Miss Deutschland“ betrifft, so wurde das vor allem in den türkischen Medien sehr aufgebauscht. Ich habe von mir aus darüber gar nicht gesprochen, plötzlich, als es bekannt wurde, gab es ein riesiges Theater. Ich hatte keine Erfahrung im Umgang mit der Boulevardpresse. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Was den Tod meines Vaters betrifft, so stand ich sehr lange auf dem Standpunkt: das ist zu intim, um in der Öffentlichkeit breit getreten zu werden. Oft kamen die Leute einfach nur, um zu fragen: ‚Wie war das eigentlich mit Deinem Vater?’. Das ist unwürdig, das hat mich genervt. Die wollten nur Auflage oder Quote machen. Das war ein Schock für mich.

Inzwischen haben Sie, jedenfalls ansatzweise, darüber gesprochen, warum?

Um die Trauer zu verarbeiten und das, was passiert ist. Vor allem danach. Der Täter hat mildernde Umstände bekommen, weil er angetrunken war. Die Wahrheit ist, er hat sich erst nach der Tat betrunken um besser davonzukommen. Das hat aber niemanden interessiert. Wir haben uns gewundert, dass jemand, der einen Mann totschießt und ein Kind niederschießt, so billig davonkommt. Das hat uns alle damals tief verletzt. Das Urteil mag nach den Gesetzen korrekt gewesen sein, für uns war es fast unerträglich. Aber das ist Vergangenheit. Ich möchte darüber nicht mehr sagen.

Was tun Sie, um die Erfahrungen, die Sie gerade geschildert haben, auch anderen, möglicherweise nicht so im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Menschen, weiter zu geben?

Wir waren alle bei der Opferhilfe tätig. Aber ich versuche, wie jetzt gerade mit Ihnen, immer, wenn sich die Gelegenheit bietet, über meine Erfahrungen zu sprechen. Als Schauspielerin bin ich am Theater mit meinem „Anne Frank“-Projekt gegen Intoleranz, Ausgrenzung und Rassenwahn aufgetreten. Das Simon-Wiesenthal-Center hat mich, eine Muslima, auf eine Tournee in Kanada eingeladen. Das ist einfach wunderbar! Und ich unterstütze gerne Projekte wie „Netz-gegen-Nazis.de“, die sich dafür einsetzen, dass diejenigen, die den Hass gegen Andersdenkende schüren, eine Minderheit bleiben.

Auch die nächsten Monate werde für Asli Bayram arbeitssam: Bayrams neuester Film „Body Complete“, in dem sie die Hauptrolle spielt, handelt vom Massenmord an den Bosniern während des Balkankrieges. Er soll 2010 in die Kinos kommen. Im Frühjahr 2009 steht sie außerdem für "AMOK" von Regisseur Cihan Inan in der Schweiz vor der Kamera. Im September 2009 erscheint im Gütersloher Verlagshaus ihr Buch: "Grenzgänge. Ein Leben zwischen den Welten."

Zum Thema:

|www.asli-bayram.com

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