Foto von einer antirassistischen Demonstration im Januar 2015 in Berlin.
flickr / Creative Commons / Angela Schlafmütze

"Polizisten kommen zum NSU-Prozess und sind sich nicht im Klaren, dass sie etwas falsch gemacht haben"

Schwerpunkt Mai 2015: Rassismus. In Genf hat die UN vergangene Woche geprüft, ob Deutschland die Antirassismus-Konvention der UN erfüllt. NGOs hatten die Möglichkeit, kritische Parallelberichte einzureichen. Von dieser Möglichkeit hat unter anderem eine Initiative aus Anwält_innen der Nebenklage des NSU-Prozesses, NGOs und WissenschaftlerInnen Gebrauch gemacht. Netz gegen Nazis hat mit Dr. Britta Schellenberg gesprochen. Sie ist Sachverständige  im  „NSU“-Untersuchungsausschuss  des Deutschen Bundestages, Wissenschaftlerin an der Ludwig Maximilan Universität München und nahm im Rahmen dieser Initiative an den Gesprächen in Genf teil.

Sie kritisieren den Staatenbericht der deutschen Bundesregierung. Können Sie die größten Mängel des Berichtes für uns zusammenfassen?

Zuallererst muss kritisiert werden, dass Rassismus in dem Staatenbericht an die Antirassismus-Kommission der Vereinten Nationen zu wenig Thema ist. Gerade in dem Kapitel zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), das Ausgangspunkt unserer Kritik ist, werden Ausweichbegriffe wie Rechtsextremismus und Terrorismus verwendet. So gerät das eigentliche Problem aus dem Fokus. Dem NSU-Komplex und den damit verbundenen Ermittlungen liegen grundlegende strukturelle Probleme von Rassismus zugrunde. Diese werden in dem Bericht nicht thematisiert. Weiterhin kritisieren wir die Lösungsansätze der Bundesregierung für mangelhafte Ermittlungen im Zusammenhang mit dem NSU. Die Bundesregierung findet, dass die fehlende Ermittlungszusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz dazu geführt hätte, dass die Behörden den NSU nicht identifizieren und strafrechtlich verfolgen konnten. Sie hat die Zusammenarbeit dieser Behörden und auch ihre technischen Möglichkeiten nun verbessert. Doch inhaltlich ist nicht viel geschehen. Wir gehen davon aus, dass vor allem der institutionelle Rassismus innerhalb der Polizei zielführenden Ermittlungen im Wege stand. Die Polizei hat nicht nur das rechtsextreme Motiv der Täter nicht erkannt, sondern ausnahmslos gegen die Opfer und ihre Angehörigen ermittelt.

Sie sprechen über strukturelle Missstände und institutionellen Rassismus innerhalb des Sicherheitsapparats die zu rassistischer Diskriminierung führen. Können Sie einige Beispiele nennen?

Nach dem Hearing in Genf hat mich ein Unterabteilungsleiter des Innenministeriums angesprochen. Er hat mich gefragt, was institutioneller Rassismus denn genau meint und ob ich ein eingängiges Beispiel hätte. Da habe ich darauf verwiesen, dass die Behörden bei allen neun Morden an Migranten die Opfer zu Tätern gemacht haben. Es wurde durchgehend davon ausgegangen, dass die Täter Migranten sind und  dass die Opfer der organisierten Kriminalität angehörten. Ihnen wurde eine Verbindung zu Drogen und der Mafia unterstellt. Hieran sieht man, dass die Ermittler rassistische Zuordnungen übernommen haben. Es bestanden also Routinen innerhalb der Polizei, die zu Diskriminierung und Fehlermittlungen führten. Die Menschen wurden aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder der ihnen zugeschriebenen Kultur nicht angemessen und professionell behandelt. Das ist institutioneller Rassismus. Dazu kommt, dass die Behörden ihre Fehler in der Ermittlung selbst bislang nicht kritisch reflektieren. Polizisten kommen vor den parlamentarischen Untersuchungsausschuss oder den NSU-Prozess in München und sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie etwas falsch gemacht haben. Wenn die Polizei ihre rassistischen Ermittlungsmechanismen nicht anfängt zu reflektieren, dann wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Sie sagen in ihrem Bericht, dass „Rassismus auch als solcher benannt und öffentlich angeklagt werden muss, ohne ihn auf politisch organisierten Rechtsextremismus zu reduzieren.“  Können sie das näher erläutern?

Wie schon erwähnt, wurde im Zusammenhang mit den Verbrechen des NSU nicht der Rassismus thematisiert, sondern von Rechtsextremismus gesprochen. Mit dem Begriff „Rechtsextremismus“ wird jedoch davon abgelenkt, dass strukturelle Probleme in der Mitte unserer Gesellschaft bestehen. „Rechtsextremismus“ klingt nach Neonazis und NPD, also radikalen Phänomenen am Rande unserer Gesellschaft. Der Gebrauch dieser Terminologie gibt uns das Gefühl, dass es um etwas geht, dass uns nicht betrifft, womit wir uns nicht beschäftigen müssen. Jedoch ist Rassismus innerhalb unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Dies anzuerkennen, tut weh und erfordert Maßnahmen. Es müssen Gesetze verabschiedet und Reglungen in Institutionen festgelegt werden, die Diskriminierung verhindern. Es muss eine Debatte geführt werden, die sich diesen Themen stellt, nur so kann ein zielführender gesellschaftlicher Prozess eingeleitet werden.

Erstmals wurde auch NGOs Rederecht vor dem Fachausschuss gegen rassistische Diskriminierung der UN (CERD) und Vertretern der Bundesregierung eingeräumt. Welchen Einfluss hat ihre Stimme?

Die Vertreter des Fachausschusses waren sehr dankbar für die Parallelberichte der NGOs. Die UN  kann den Bericht der Bundesregierung nicht bis ins Detail überprüfen, sie braucht Anhaltspunkte für Kritik. Deshalb wurde unsere Arbeit mit offenen Armen aufgenommen. Die Bundesregierung wollte in ihrem Bericht natürlich davon überzeugen, dass sie sich ihren Problemen stellt. Jedoch erfordern die Parallelberichte nun eine Rechtfertigung seitens der Bundesregierung. Der Fachausschuss wird dann Empfehlungen für ein weiteres Handeln aussprechen, die dann wiederum Druck ausüben. Das ist alles noch im Prozess und wird sich dann in der nächsten Zeit zeigen. 

Das Gespräch führte Johanna Voß.

Der Bericht des Breiten Bürgerbündnisses wurde auch von der Amadeu Antonio Stiftung unterstützt und ist hier als pdf zu finden:
www.amadeu-antonio-stiftung.de

Die Parallel-Berichte der NGOs gibt es als PDFs auf:
www.institut-fuer-menschenrechte.de

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