Die Aktivist_innen von "Jugend Rettet" wollen ein Schiff erwerben, um im Mittelmeer eine private Initiative zur Seenotrettung zu starten.

Jugend Rettet: „Wenn Menschen ertrinken, dann schicken wir eben ein Schiff“

Am Zustand der Welt ließe sich hervorragend verzweifeln. Oder man unternimmt etwas, um sie besser zu machen – so wie eine Gruppe junger Aktivist_innen, die eine private Seenotrettungsmission organisieren. „Jugend rettet“ heißt ihre Initiative. Die Gruppe möchte ein Schiff kaufen, es hochseetauglich machen, mit dem nötigen Equipment ausstatten und schließlich im Mittelmeer die Leben der Geflüchteten retten, die auf ihrer Überfahrt nach Europa in Seenot geraten. Netz gegen Nazis hat mit ihnen in Berlin über die Unterstützung gesprochen, die sie erfahren – und über Anfeindungen. 
 

Von Oliver Saal

Eigentlich sind sie klassische Landratten. Acht Berliner Aktivist_innen haben ihre Herzen und Köpfe trotzdem an die See verschenkt. Weil sie es leid waren, dem Sterben im Mittelmeer weiterhin nur zuzuschauen, haben die Student_innen gemeinsam das Projekt „Jugend Rettet“ gegründet. Ihr ambitioniertes Ziel: Mittels eines Crowdfundings wollen sie das tun, was die EU an ihren Außengrenzen versäumt – effektive humanitäre Hilfe für diejenigen leisten, die in Seenot geraten. Menschenleben retten.

„Wir wissen selbstverständlich, dass wir die andauernde Katastrophe im Mittelmeer nicht im Alleingang stoppen können“, sagt Pauline Schmidt, Pressesprecherin und Mitglied des Kernteams von „Jugend Rettet“. Aber sie wollen beweisen: „Wenn ein paar Studenten das schaffen, dann können das die reichen EU-Staaten erst recht. Was hier eigentlich fehlt, ist die politische Handlungsbereitschaft, um das Sterben zu beenden.“

Dürfen Privatleute überhaupt Seenotrettung betreiben, machen sie sich damit nicht der Schlepperei schuldig? Schmidt beantwortet die Frage routiniert, sie gehört scheinbar zu denen, die sie am häufigsten hört. „Wir werden in internationalen Gewässern unterwegs sein, dort gilt seit 1994 das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Dort steht auch, dass wir, wenn ein Boot in Seenot gerät, nicht das Recht, sondern die Pflicht haben, zu helfen.“ Die Geretteten müssen dann in einen sicheren Hafen gebracht werden – „in der aktuellen Situation ist das natürlich nicht Libyen oder Tunesien.“ Die Rettungsoperationen werden aber auch mit dem Seenotkoordinationszentrum MRCC (Maritime Rescue Coordination Center) abgestimmt, einer Behörde des italienischen Innenministeriums, das für diesen Teil des Mittelmeeres zuständig ist.

 

Wenn das Wetter besser wird, dann sterben wieder Menschen

Gerade konzentriert sich die mediale Aufmerksamkeit auf die vielen Tausend Menschen, die im griechischen Idomeni auf eine Weiterreise nach Mitteleuropa hoffen. Doch angesichts der geschlossenen „Balkanroute“, also dem Landweg nach Mitteleuropa ist klar: Sobald das Wetter im Frühjahr besser wird, wird auch die See ruhiger. Dann werden wieder mehr Menschen die gefährliche Überfahrt über die zentrale Mittelmeeroute wagen, von Libyen nach Lampedusa oder Sizilien. Es ist abzusehen, dass sich dann auch die Bilder von ertrunkenen Kindern, Frauen und Männern wieder häufen werden. „Es wird stattfinden, aber dieses Mal wollen wir vorbereitet sein. Und wir wollen politischen Druck erzeugen, damit die Staaten in Zugzwang geraten und ebenfalls vorbereitet sind“, sagt Schmidt. Allein am gestrigen Dienstag sind bei elf Einsätzen der italienischen Küstenwache 1.500 Menschen aus Seenot gerettet worden.

Im April 2015 geschieht in den Gewässern zwischen Tunesien und Sizilien das bislang größte Schiffsunglück von Flüchtlingen im Mittelmeer. Mehr als 800 Menschen ertrinken, wieder ist die Bestürzung groß, auch in den Spitzen der EU-Politik. Und wieder ändert sich nichts. Seitdem wollen sie sich engagieren und deshalb erklärt Pauline Schmidt ihre Motivation auch ganz pragmatisch, als Logik der Humanität: „Wenn Menschen in Not sind, dann hilft man ihnen. Und wenn sie in Seenot sind, dann schickt man eben ein Schiff.“

Und wie reagiert ihr Umfeld auf den verwegenen Plan? „In unserem unmittelbaren, dem privaten Umfeld haben wir viel Unterstützung erfahren. Freunde und Familie akzeptieren unsere Entscheidung, in unsere Organisation sehr viel Zeit und Energie zu investieren.“ Über „Jugend Rettet“ wurde bereits in den bundesweiten Medien berichtet. Unter dem Facebookbeitrag der ZDF-Sendung „Morgenmagazin“, in der die „Jugend Rettet“-Aktivist_innen Jakob Schoen und Lena Waldhoff von Dunja Hayali interviewt wurden, tobt der Mob aus Flüchtlingsfeind_innen. Verunglimpfungen wie  „Wohlstandsbubis“ und „Schlepperkids“ sind da noch harmlos; andere kündigen an, sie mit Klagen zu überziehen. 

 

Die Logik der Humanität

Solche harschen Anfeindungen können natürlich an den Kräften zehren. Warum sie ihre ehrenamtliche Arbeit trotzdem machen? Weil sie von der Notwendigkeit, sich zu engagieren, überzeugt sind. Und weil sie auch Rückenwind spüren. Die wichtigste Hürde auf dem langen Weg ihrer Mission vom Onlinecrowdfunding zum Rettungsschiff im Mittelmeer ist nämlich fast genommen: Mitte März konnten „Jugend Rettet“ stolz auf ihrer Facebook-Seite verkünden, dass das erste Spendenziel von 80.000 € erreicht wurde. Bereits im Februar diesen Jahres hatte der Verein eine Finanzierungszusage von zwei Privatpersonen in Form eines Non-Recourse-Darlehens über 150.000€ für den Schiffskauf erhalten. Die Bedingung hierfür ist, bis zum 31. März 2016 die Kosten für Überführung, den Umbau, sowie den ersten Betriebsmonat des Schiffes zusammenbekommen. Die Planung des für die Rettungsmissionen notwendigen Umbaus wird nun bis Ende März beendet. 

Spenden lohnt sich dennoch weiterhin: Das Geld wird benötigt, um die laufenden Kosten für Equipment, Treibstoff, Hafengebühren, Verpflegung und vielem mehr auf der Mission abzudecken. Was aber neben Geldspenden ebenfalls gefragt ist, das ist ganz konkretes Anpacken. Jede_r kann sich bei „Jugend Rettet“ engagieren: Die Crews werden voraussichtlich in einem Drei-Wochen-Rhythmus das Mittelmeer befahren. Um die jeweiligen Mannschaften zu vervollständigen, werden noch Freiwillige gesucht. Hochseeunerfahrene finden ihren Platz an Bord als Deckhands oder Hilfsabreiter_innen, die im Ernstfall trockene Kleidung, Handtücher und Essen verteilen können. Ebenso dringend sucht „Jugend Rettet“ aber Fachpersonal – Kapitäne, Steuermänner, Matrosen, Ärzte, Psychologen und Rettungssanitäter sind ihnen mehr als willkommen. Handwerker, Schreiner und Schweißer werden außerdem benötigt, um die Umbauarbeiten am Schiff zu unterstützen. 

Interessierte können sich ab jetzt bei dem Verein melden: crew@jugendrettet.org
 

Spenden

betterplace.org/organisations/26895
Empfänger: Jugend Rettet e.V.
Kontonummer: 0190465743
IBAN: DE28 1005 0000 0190 4657 43
BIC: BELADEBEXXX
Kreditinstitut Berliner Sparkasse

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