Jahresrückblick 2010: Erstarkende Rechtspopulisten und mehr Gewalt in Berlin

Was geschah 2010 in Berlin im Zusammenhang mit Rechtsextremismus? Der Jahresrückblick berichtet von blockierten und ausgefallenen Demonstrationen - doch auch von steigender Gewaltbereitschaft und einer Zunahme des antimuslimischen Rassismus.

Heute antwortet Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Berlin im Jahr 2010, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus?

Auch im Jahr 2010 setzte sich die personelle, strukturelle und inhaltliche Schwäche der rechtsextremen Szene in Berlin fort. Dies lässt sich unseres Erachtens nach an fünf Ereignissen veranschaulichen:

Die Wahl des neuen Landesvorstands hat für die NPD weder szeneintern noch in der Außenwirkung eine große Veränderung zum Guten bewirkt. Die von ihr zu Beginn des Jahres angekündigte „Veranstaltungsoffensive“, also der Versuch, sich zunehmend in den öffentlich-rechtlichen Räumen der Bezirke, wie etwa Rathäusern präsentieren zu wollen, floppte gehörig. Mit den nur zwei schlecht besuchten Infoveranstaltungen gelang es der NPD nicht, sich als „normale“ und damit wählbare Partei zu inszenieren. Vielmehr entfalteten die rechtsextremen Veranstaltungen im letzten Jahr kaum Außenwirkung:

Selbst der 1. Mai, als das zentrale Event der rechtsextremen Szene in Berlin, muss trotz gegenteiliger Beteuerungen als Misserfolg gewertet werden - trotz des absoluten Maximums an Mobilisierungsaufwand und einer mehrere Monate andauernden Kampagne des gesamten rechtsextremen Spektrums in der Stadt. Nach dem Scheitern des Aufmarsches in Dresden im Februar wurde auch der 1. Mai in Berlin zu einem Desaster. Dank tausender Bürger/innen auf den Straßen von Prenzlauer Berg mussten die ca. 700 genervten Kameraden bereits nach ein paar hundert Metern umkehren.
Hinsichtlich der Rekrutierung ihres personellen Nachwuches ist die rechtsextreme Szene auch hier in Berlin auf Events mit Außenwirkungen angewiesen. Weder am 1. Mai noch bei einem Rechtsrockkonzert in Schöneweide ein paar Monate später gelang es ihr jedoch, attraktive Angebote und Aktivitäten mit Eventcharakter, also rechtsextreme Erlebniswelten, anzubieten und Personen über den harten Kern hinaus zu mobilisieren. Ein weiterer Hinweis für die derzeitige Strukturschwäche der Berliner rechtsextremen Aktionszusammenhänge ist der Ausfall der traditionellen Dezember-Demo. Die unseres Erachtens nach wichtigste Kampagne der Freien Kräfte in Berlin wurde 2010 nicht fortgesetzt.

Die organisatorische Schwäche und mangelnde Kampagnenfähigkeit erlaubt jedoch keinen Rückschluss auf die Gefährlichkeit der Szene. Gerade weil sie stark unter Druck geraten ist und zum Teil erheblich Rückschläge in ihrer Aufbauarbeit vor Ort hinnehmen musste, ist eine starke Zunahme von Angriffen gegen vermeintliche politische Gegner und eine Radikalisierung einzelner Zusammenhänge zu verzeichnen. So gab es verschiedene nächtliche Anschlagswellen im Wedding, in Kreuzberg und Neukölln, im Zuge derer alternative Einrichtungen und Privatadressen von vermeintlichen Antifaschist/innen von Rechtsextremen angegriffen wurden. Das Bedrohungspotential gegen engagierte Einzelpersonen hat eindeutig zugenommen und wird 2011 voraussichtlich noch weiter steigen.

Was erwarten Sie darüber hinaus 2011?

Neben dem zu erwartenden zunehmenden radikalen Auftreten mit Drohgebärden und gewalttätigen Aktionen gegen Antifaschist/innen bereitet mir die erschreckende Zunahme des antimuslimischen Rassismus schon jetzt große Sorge. Nicht nur durch Sarrazin ausgelöst stiegen die Zustimmungen zu rassistischen und antidemokratischen Aussagen in Bezug auf Muslime in neue Höhen. Über 58% beispielsweise sprechen sich laut den Rechtsextremismusforschern Oliver Decker und Elmar Brähler für die Einschränkung der Religionsausübung für Muslime aus* und geben damit eines der fundamentalen Prinzipien unserer Demokratie preis. Die Zunahme an rassistischen Positionen und Äußerungen – und das bestätigt sich auch in unserer Beratungsarbeit – zeigt sich quer durch alle Bevölkerungsgruppen. In diesem Kontext lässt sich auch die Gefährlichkeit des Rechtspopulismus am besten beschreiben. Zwar können wir derzeit noch keine Aussagen darüber machen, inwiefern es den Parteien DIE FREIHEIT oder PRO Deutschland gelingt, die momentanen Stimmungen zu bedienen und in langfristige Politik zu übersetzen, doch zeigte die so genannte Integrationsdebatte die politische Brisanz von muslimfeindlichem Populismus und die Gefährlichkeit eben jener Parteien, die soziale und politische Probleme aufgreifen und mit einem antimuslimischen Rassismus besetzen. Der antimuslimische Rassismus bildet anscheinend den Kitt zwischen Rechtsextremisten, Rechtspopulisten und der viel zitierten Mitte der Gesellschaft.

Vor allem im Hinblick auf die Berliner Wahlen 2011 und die zu erwartenden Debatten um die Unterbringung von Flüchtlingen ist sowohl mit einer Zunahme der Aktivitäten der Rechtspopulisten zu rechnen als auch mit einer Erweiterung des Bereich des öffentlich Sagbaren. Rassistische Ressentiments werden solange stark in der Öffentlichkeit vertreten sein, wie sich Politik und Medien nicht darauf besinnen, dass es unser aller Aufgabe ist, demokratische Grundwerte wie das Recht auf Religionsfreiheit und die öffentliche Meinungsbildung vorzuleben und Solidarität mit benachteiligten Gruppen zu zeigen. Diese Solidarität als Grundlage gelebter Demokratie ist die beste Versicherung gegen Rechtspopulismus und je mehr Menschen diese Grundlage teilen, desto erfolgreicher wird der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus 2011 sein.

* siehe beispielsweise die Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung:
Oliver Decker, Marliese Weißmann, Johannes Kiess, Elmar Brähler: Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010. (pdf)

Die Fragen stellte Christine Lang.

Mehr im Internet:

| Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

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