Die „Identitären“ in Österreich haben Ärger. Bei sechs Aktivisten und in vier „Geschäfts- und Vereinslokalen“ gab es Hausdurchsuchungen. Dabei wurde den IBlern, darunter die prominenten Köpfe Martin Sellner und Patrick Lenart, das Wichtigste genommen: Ihre technischen Geräte. Sellner sendet auf „Exil-Kanälen“ trotzdem weiter – und verrät, wie schwer die Aktion die islamfeindlichen Rechtsextremen trifft.
Von Simone Rafael
In der nicht-virtuellen Öffentlichkeit fallen Aktivist_innen der rechtsextremen Jugendbewegung, die sich die „Identitären“ nennt, vor allem mit Aktionen auf, die eher merkwürdig sind: Im letzten Sommer etwa, als die „Identitären“ unter dem Motto „Defend Europe“ ein Boot charterten, um damit NGOs daran zu hindern, Geflüchtete zu retten, die in Seenot geraten waren. Nicht nur, das hier als „Verteidigung Europas“ verstanden wird, Menschen in Seenot im Meer sterben zu lassen. Die Aktion war zudem von Pleiten, Pech und Pannen begleitet, von der angeheuerten Mannschaft aus Sri Lanka, die in Athen selbst Asyl suchte (vgl. BTN), bis zur Havarie auf hoher See, bei der sie aber die Hilfe eines nahen NGO-Bootes trotzig nicht annahmen. Betrachtet man die Aktion auf den unzähligen YouTube-, Facebook-, Twitter- und Instagram-Kanälen der „IB“ (= „Identitäre Bewegung“, aber die wollen sie bisher nur sein), klingt sie allerdings wie ein sensationeller Erfolg. Denn das ist Teil des „identitären“ Erfolges in ganz Europa, aber vor allem auch in Deutschland und Österreich: Die Verdrehung von Tatsachen, von Täter und Opfer, von anständig und unanständig, am liebsten breit, ausführlich und ohne Pause über Social Media.
Rechtsextremismus als YouTube-Soap
Zentral ist hier YouTube, wo „identitäre“ Aktivist_innen unzählige Kanäle betreiben und Islamfeindlichkeit, Hass gegen Vielfalt und krude Weltverschwörungstheorien („Der große Austausch“) als „Heimatliebe“ und „Traditionspflege“ verniedlichen. Und zentral auf YouTube ist für den deutschsprachigen Raum der Wiener IB-Kopf Martin Sellner, der selbst diverse Kanäle unterhält (der größte mit rund 39.000 Fans) und seine Anhänger_innen quasi rund um die Uhr an seinem Leben und seiner Weltsicht teilhaben lässt, in die Handy-Kamera plaudert, wenn er von einer Veranstaltung zur nächsten fährt oder sonntags abends aus seinem Wohnzimmer streamt. Und wenn er, wie vor rund vier Wochen, an der Einreise nach Großbritannien gehindert wird, weil die Behörden ihn, der doch nur über „Meinungsfreiheit“ sprechen wollte, als rechtsextremen Scharfmacher nicht einreisen lassen, dann ist das erst Recht Grund für zahlreich Videos. Die verbotene Einreise und die Nächte im Gefängnis sind übrigens in diesen Videos ein Erfolg, weil Beleg für die mangelnde Meinungsfreiheit, um die es gehen sollte. Ist klar.
Nun ist noch viel Skandalöseres geschehen, und Martin Sellner kann nicht einmal in angemessener Form davon berichten, denn seine Zugangsdaten sind weg – also, nicht wirklich, aber Sellner hat bei YouTube ein zweistufiges Verifizierungsverfahren eingestellt, dass er jetzt nicht mehr nutzen kann, denn sein Handy ist weg: „Ich bin von meiner digitalen Existenz abgeschnitten!“ Und das ist umso schlimmer, wenn die doch sehr viel von dem ist, was man zu haben meint.
Islamfeindliche Hetze als Krimi um die Meinungsfreiheit erzählt
Was passiert ist? Nach einer IB-Aktion in den französischen Alpen (Seile an der französisch-italienischen Grenze aufspannen und das ‚den Pass einnehmen‘ nennen, Plakate gegen Geflüchtete, mit Helikoptern herumfliegen…) war Sellner im Urlaub mit seiner amerikanischen Freundin und IB-Aktivistin Britanny Pettibone und der gemeinsamen IB-Freundin Lauren Southern in einer Berghütte bei Lienz, als das Telefon klingelte und die Polizei in Wien ihm eine Hausdurchsuchung ankündigte ("mit Schlüsseldienst"), die dann auch passierte, bei Sellner und fünf anderen Privatpersonen, dazu in vier „Geschäfts- und Vereinsräumen“ in Graz, Wien, Linz und Griffen, die der IB zugerechnet werden. Empört hat Sellner der Vorwurf, die „Identitären“ wären eine „kriminelle Vereinigung“ und der „Verhetzung“ schuldig ebenso wie die Tatsache, dass die Polizei alle seine elektronischen Geräte und „Dokumentenmappen“ aus der Wohnung beschlagnahmte. Sellner war sogar so empört, dass er darüber sogleich ein Handy-Video drehen wollte, aber als er das im Café in Lienz editieren und hochladen wollte, stand plötzlich die Polizei neben ihm, die sein Handy geortet hatte, und nahm ihm dieses Handy und diesen Laptop auch noch ab.
Das wird erzählt wie in einem Krimi, und natürlich von keinem anderen als Sellner selbst, der Rechtsextremismus wie eine suchttreibende Soap inszeniert und im Internet die perfekte Bühne hat. Er dreht natürlich weiter, Staatsmacht hin oder her, mit Handys von Freunden und neu gekauften Geräten, und veröffentlicht das Ergebnis auf IB-Kanälen oder bei ähnlich gesinnten Freunden – für das Video über die Razzia ist das der ebenfalls islamfeindliche YouTuber Hagen Grell (53.000 Fans). Was Sellner kann, das ist die Täter-Opfer-Umkehr, und so geht es im Video viel darum, wie unschuldig und friedlich die IB sei, eigentlich die wahren Verfassungsschützer, und in schönstem Whataboutsim, wie mies, gemein und gewalttätig dagegen Linksextreme und Islamist_innen sind, die aber alle frei rumlaufen dürften. Während „friedliche Patrioten“ nur den Islam kritisierten, würde ihnen unfairerweise Aufruf zum Hass vorgeworfen. Sellner hadert: „Warum werde ich in Österreich, meinem Heimatland, für das ich mich seit Jahren einsetze, behandelt wie ein Terrorist?“ Ein weiteres schwieriges Thema, dass Sellner umschiffen muss: Die Tatsache, dass Österreich derzeit eine ÖVP-FPÖ-Regierung hat, deren Wahl auch von der „IB“ als „patriotische Wende“ gefeiert wurde – und die nun die „Identitären“ als rechtsextrem verfolgt. Schuld daran, so Sellner, sei aber gar nicht die aktuelle Regierung, sondern die davor (SPÖ-ÖVP): Denn die haben den Strafparagraphen zur „kriminellen Vereinigung“ (bis zu 3 Jahre Haft) um „Verhetzung“ erweitert. Es ist nicht leicht, „identitär“ und als „Heimatschützer“ zu argumentieren, wenn man dabei eigentlich die selbst favorisierte „patriotische“ Regierung angreifen muss. Müsste.
Die Hausdurchsuchungen treffen die Szene
Die „Identitären“ veröffentlichen im Internet alles und sprechen über alles, weil sie damit auch zeigen wollen, wie überaus „sympathisch“ und „rechtschaffen“ sie sind bzw. erscheinen können. Was allerdings die Folge dieser „identitären“ Personality-Show ist: Auch reale Informationen werden mitgeliefert. Lässt sich in konspirativeren Szenen nur mutmaßen, welchen Einfluss staatliche Repressionen auf Akteure haben, hier wird es explizit ausgebreitet. Sellner beklagt: „Es geht um die totale wirtschaftliche und persönliche Vernichtung von Patrioten, um Eindringen in den Privatraum – es ist gefährlich, wenn ein Staat totalitär wird“. Sellner kann nicht mehr an sein Bankkonto, alle seine Kontaktdaten sind weg. Auch der „IB Österreich“ wurde das bereits in Ungarn befindliche Bankkonto gesperrt. Der „identitären“ T-Shirt-Shop „Phalanx Europa“, den Sellner mit IB-Mitstreiter Patrick Lenart betreibt, wurde als Teil des „kriminellen Netzwerks“ gleich mit durchsucht und geschlossen. Sellner spricht von einem „Radikalisierungsversuch von oben“, auf dem würde man aber „nicht so reagieren, das wir zu einer kriminellen Vereinigung werden, dass überlassen wir Islamisten und Linken, wir gehen an die Öffentlichkeit.“ Konspirativ endet sein Video: „Ich möchte bald den Ort wechseln, weil ich nicht weiß, ob man mir auf den Fersen ist oder meinen neuen Computer auch beschlagnahmen will.“ Ui.
Noch mehr Informationen gibt es beim zweiten IB-Österreich Kopf Patrick Lenart, der natürlich auch schon ein Video gedreht hat. Er spricht nämlich über Vorwürfe über die Verhetzung hinaus – natürlich aus seiner Sicht alle „erlogen“: Sachbeschädigung – war er nicht; IB-Aufkleber mit Rasierklingen darunter – waren „die Linken“ (was für eine Logik); islamfeindliche IB-Aufkleber auf einem Lokal türkischer Betreiber – war inhaltlich kein Problem, denn die Lokalbetreiber seien selbst Erdogan-kritisch (sic!). Lenart führt auch die Realitätsverdrehung auf ein neues Level: Befragt, ob die IB-Aktionen und –Produkte nicht zu Hass aufstacheln könnten, meint er: „Wir sind doch sogar gewaltpräventiv und zeigen friedliche Lösungen auf, Kritik zu äußern.“ „Friedliche“ „Kritik“ gegen Migrant_innen wie „Remove Kebab from Europe“, so auf Phalanx-Europa-Shirts.
Dass sieht die Staatsanwaltschaft offenkundig anders. Auf die IB kommt ein Prozess zu. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, zu Hass gegen die Religionsgesellschaft des Islam, gegen die nach den Kriterien der Religion definierten Gruppe der Muslime, gegen die nach dem fehlenden Kriterium der Staatsbürgerschaft definierten Gruppen der Ausländer und Flüchtlinge und gegen die nach den Kriterien der Staatsangehörigkeit und nationalen Herkunft definierten Gruppen der türkischen Staatsangehörigen aufzustacheln und diese Gruppen dabei in ihrer Menschenwürde verletzt zu haben, sie verächtlich zu machen und herabzusetzen. Es wird ohne Zweifel interessant zu sehen, ob dies für eine Verurteilung als „kriminelle Vereinigung“ reicht – oder was die Staatsanwaltschaft noch ermittelt.