Samnang Chan betreibt den Hot-Wok-Imbiss in Cottbus. Er lebt als einziger Kambodschaner in Brandenburg und wird tagtäglich mit Rassismus konfrontiert.
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Herrn Chans Kampf in Cottbus

Viele Migranten in Deutschland erleben Vorurteile und Rassismus. Wie gehen sie damit um? Mit diesen Blicken, Worten, Rangeleien oder sogar Gewalttaten? In Themenwoche der Wochenzeitung "Die ZEIT" zum Thema Leben mit Rassismus berichten ganz unterschiedliche Menschen, welche Rolle Rassismus in ihrem Leben in Deutschland spielt – und wie sie sich dagegen wappnen. Ihre Erfahrungen und ihre Sichten auf die Deutschen sind so individuell wie sie selbst.

Von Markus Horeld

Samnang Chan träumte von den USA und landete in Cottbus. Als einziger Kambodschaner Brandenburgs war er dort nicht gewollt. Aber er blieb. Und wie.

Normalerweise schläft Herr Chan früh und gut. Aber in dieser Nacht vor elf Jahren schaut er in seinem Bett immer wieder auf die Uhr. Die Aufregung. Er steht auf, läuft barfuß zum Kühlschrank und setzt sich mit zwei Flaschen Becks an den Küchentisch des Wohnheimes. Er ist allein, lehnt sich zurück. Genau um Mitternacht stößt Herr Chan mit sich an; darauf, dass er nun Deutscher ist.

Samnang Chan, in Cottbus überall Herr Chan genannt, ist der einzige Deutsche, der aus Kambodscha kam und in Brandenburg blieb. In jener Nacht im April 2001 erlangte seine deutsche Staatsbürgerschaft Rechtskraft. Dafür hatte er zehn Jahre gekämpft.

Herrn Chans Reise beginnt 1988 in Phnom Penh, seiner Geburtsstadt. Die Militärregierung verlangt, dass er Soldat wird. Aber er will im Bürgerkrieg nicht gegen seine Mitbürger kämpfen. Herr Chan ist mutig. Er läuft weg.

Tagsüber versteckt er sich in den Wäldern Kambodschas. Nachts schleicht er zur Grenze nach Thailand. Hinter jedem Baum fürchtet er einen Soldaten. Als Kind hatte er Reis gegessen, den seine Eltern für den kommunistischen Staat anbauen sollten, und war dafür im Gefängnis gelandet. Zwei Monate musste er jeden Morgen mit einem Tuch um die Augen und einer Eisenkugel am Fuß vor den Soldaten der Roten Khmer stehen. Damit sie mit einem Holzknüppel auf seinen Rücken einschlagen konnten.

Er wollte nie hierher

Als Herr Chan das Flüchtlingslager an der Grenze zu Thailand erreicht, träumt er von einem Leben in den USA. Ein Jahr wartet er. Dann entdeckt er seine Nummer auf einer Liste. Er darf nach Deutschland fliegen. Ein weiteres Jahr wohnt er in Asylbewerberheimen in Frankfurt, Karlsruhe, Schöndorf bei Stuttgart und Eisenhüttenstadt. Im Sommer 1991 betritt Herr Chan das erste Mal das Wohnheim für Asylbewerber in Cottbus. Er weiß wenig von Ostdeutschland, gar nichts von dieser Stadt, er wollte nie hierher.

Herr Chan nennt es nicht Zufall, dass er zufällig nach Deutschland ausgeliefert, dass er von deutschen Behörden zufällig nach Cottbus verteilt wurde. Er spricht von Fügung. Cottbus sei nun sein Zuhause, egal was die Neonazis getan haben.

Der Mob hat keine Chance

Es ist einige Monate nach seiner Ankunft im Sommer 1992. Ein sonniger Tag. Herr Chan lebt mit anderen Asylbewerbern in einer WG im Wohnheim. Er steht jeden Morgen um vier Uhr auf, läuft zum Einkaufszentrum in Cottbus Sachsendorf und putzt zwei Stunden für einen Stundenlohn von zehn Mark. Weil kein Deutscher seinen Job machen will, bekommt Herr Chan jedes halbe Jahr eine Arbeitserlaubnis. Weil er als politisch verfolgt gilt, wird er in Cottbus geduldet. An diesem Abend sitzt er in seiner WG vor dem Fernseher.

Unten vor dem Wohnheim stehen Rechtsradikale. Sie brüllen, werfen brennende Flaschen. Ausländer-raus-Schreie hallen vom Grundstückszaun bis ans offene Fenster. Vor einigen Tagen jagten in Rostock Lichtenhagen Dutzende Nazis Asylbewerber, etwa 2.000 Bürger standen klatschend daneben. Auch in Cottbus hört es sich an, als stünden Hunderte da unten. Aber der Mob hat keine Chance. Die Polizei in Cottbus zögert nicht und hat die Situation unter Kontrolle.

Herr Chan sagt, dass er häufig als Fidschi oder Kanake beschimpft wurde. Oft, wenn er mit der Straßenbahn durch Cottbus fuhr, knallten aggressive Jugendliche mit ihren Fäusten gegen die Tür. Durch das Einkaufszentrum, in dem er jahrelang putzte, liefen regelmäßig Nazis. Mal hätten sie ihn provoziert, mal missachtet. Jahre später kamen einige von ihnen in seine Imbissbude Nudeln essen.

Dieser Text erschien zuerst am 24.05.2012 auf ZEIT Online. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Mehr im Internet:

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