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V-Leute sind eine Falle im Rechtsstaat

In Zukunft wird alles anders werden! Nie wieder wird so etwas passieren können – Sätze, die nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie immer wieder zu hören waren. Statt großer Reformen gibt es jedoch allenfalls Reförmchen, vor allem am V-Leute-System scheint nicht gerüttelt zu werden. Dabei ist die Kritik daran laut, begründet – und stammt aus berufenem Munde. So plädiert etwa der Ex-Verfassungsschützer Winfried Ridder dafür, auf V-Leute zu verzichten. In einem Gastkommentar für Belltower.news schreibt er, warum.

Gastkommentar von Winfried Ridder

Insbesondere im Rahmen der Aufklärung der Mordserie des NSU hat der Einsatz von V-Personen eine in der Öffentlichkeit bisher einmalige Bedeutung und Aufmerksamkeit erlangt - sowohl in der Medienberichterstattung als auch bei der Aufarbeitung der Rolle der Sicherheitsbehörden. Die "einmalige Bedeutung" liegt in der Tatsache begründet, dass zum ersten Mal seit Ende der 60er Jahre nicht nur über problematische Einzelfälle diskutiert wird, sondern das ganze V-Personen-System steht heute zu Recht zur Disposition.

Es beginnt beim Begrifflichen. V-Personen , die als Teil einer extremistisch-terroristischen Struktur von einem Nachrichtendienst für eine freie Mitarbeit angeworben werden, waren nie eine "Vertrauensperson", sondern eine Verbindungsperson. Trotzdem hält bis zum heutigen Tag die Gesetzgebung an diesem Begriff fest, wie ein Blick in das neue Verfassungsschutzgesetz von NRW zeigt. In diesem "begrifflichen Missverständnis" spiegelt sich ein wesentlicher Irrtum wieder: Im Grunde vertrauen die Sicherheitsbehörden den Verbindungspersonen aus den extremistisch-terroristischen Strukturen. Das hat im Fall rechtsextremistischer Beobachtungsobjekte und Bestrebungen zu der Einschätzung geführt, dass die Verfassungsschutzbehörden der Auffassung waren, sie hätten den Rechtsextremismus aufgrund der angeblich guten Zugangslage "im Griff". Heute müssen wir befürchten, dass es in der Geschichte des Rechtsextremismus – insbesondere im Zusammenhang mit langfristig geführten V-Personen - in nicht wenigen Fällen zu einer Situation gekommen ist, wo V-Leute, z.B. bei der NPD, sich nicht als V-Person des Verfassungsschutzes bei der NPD, sondern als V-Person der NPD beim Verfassungsschutz gesehen haben ...

Trotz der festgestellten Auswüchse beim Einsatz von V-Personen zeigte sich schon bald, dass das traditionelle V-Personen-System im politischen Raum mehrheitlich grundsätzlich nicht in Frage gestellt wurde. Die gilt auch für die zwischenzeitlich vorliegenden "Regierungsgutachten". Stattdessen wird eine "grundlegende Reform" gefordert. Die insbesondere von der SPD in ihrem Sondervotum geforderten Maßnahmen gehen dabei von der Vorstellung aus, dass der aus ihrer Sicht grundsätzlich notwendige Einsatz von V-Personen aus einer rechtlichen und verwaltungsmäßigen "Grauzone" herausgeholt werden könne. Die gesetzliche Verankerung bundesweiter Rahmenbedingungen, interne bundesweite Standards für die Quellenführung und die unabhängige Kontrolle außerhalb der Behörde durch die G-10 Kommission sollen der Kern der grundlegenden Reform sein. Ich stelle fest: Die vorgesehenen einschneidenden Maßnahmen gehen in die richtige Richtung, sind aber nicht geeignet, die grundlegenden Widersprüche im bisherigen V-Personen-System aufzuheben.

Wir müssen davon ausgehen:

  • V-Personen, die einer extremistischen Ideologie verhaftet sind, werden nie auf der Seite des Staates stehen.
  • V-Personen sind grundsätzlich nicht kontrollierbar. Trotz aller vorbereitenden und flankierenden Kontrollmaßnahmen durch die Verfassungsschutzbehörden liegt die letzte Entscheidung bei der V-Person. Auch die zwischen V-Person und V-Mann-Führer bestehende Kooperation entzieht sich letztlich jeder Kontrolle. Daran ändern auch die vorgesehenen Reformmaßnahmen wie z.B. eine stärkere Rotation bei der V-Mann-Führung oder eine stärkere unabhängige Prüfung außerhalb der jeweiligen Behörde und außerhalb der Exekutive nichts.
  • Insbesondere bei herausgehobenen Einsätzen in gewaltbereiten Beobachtungsfeldern hat sich gezeigt, dass die V-Personen in allen Fällen "aus dem Ruder gelaufen" sind. Auch wenn der Forderungskatalog nach bundesweit klaren und verbindlichen Regeln für den Einsatz von V-Personen geregelt werden sollte, ist eine wirkliche Kontrolle des V-Personen-Systems nicht möglich.

Grundsätzliche Kritik an dem bisherigen V-Personen-System ist vor allem Mitte der 80er Jahre von zahlreichen Kritikern formuliert worden: "Die Erfahrung zeigt, dass niemand so wenig Vertrauen verdient, wie der Vertrauensmann und für nichts so wenig Gewähr besteht, wie für das, was der Gewährsmann berichtet" (Schmid, Einwände, Seite 51). In diesem Zitat wird in einer erkennbar sensiblen Art und Weise eine ganz wesentliche Erkenntnis zum Ausdruck gebracht. Für den Publizisten Rolf Gössner sind V-Personen des Verfassungsschutzes seit langem "Kriminelle im Dienste des Staates" und bei dem verstorbenen Horst-Eberhard Richter gehören die Nachrichtendienste durch den Einsatz von V-Personen zur "staatlichen Korruption". V-Personen sind eine Falle im Rechtsstaat und widersprechen auch einer zentralen Leitlinie für die deutsche Politik. Für mich persönlich gilt inzwischen, nachdem ich einen langen Lernprozess in der V-Mann-Frage durchgemacht habe, in Anlehnung an eine Formulierung des Vorsitzenden des Berliner NSU- Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy: "V-Personen sind eines Rechtsstaates unwürdig".

In dem Zusatzvotum der SPD-Mitglieder im NSU-Untersuchungsausschuss wird die Feststellung getroffen: "Die SPD-Mitglieder im Ausschuss kommen zu dem Schluss, dass die Verfassungsschutzbehörden im Bereich verfassungsfeindlicher und terroristischer Bestrebungen letztlich nicht grundsätzlich auf menschliche Quellen für die Erlangung von nicht offen zugänglichen Informationen verzichten können"( S. 39). Die Begründung überzeugt nicht:

  • Wenn ich die Risiken, die mit dem Einsatz von "menschlichen Quellen" auch im NSU-Komplex verbunden waren, in einen Zusammenhang bringe mit deren Erkenntnisgewinn, überwiegen die Risiken eindeutig.
  • Es trifft nicht zu, dass "menschliche Quellen" strukturell ergiebiger sind als der Einsatz "technischer Quellen" und bei weitem nicht so stark in grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrechte eingreifen. Eine langfristig angelegte Überwachungsstrategie aller technischen Quellen ist im Ergebnis risikofreier und nicht weniger effizient. Aktuelle Beispiele für diese Feststellung sind die erfolgreichen Überwachungsmaßnahmen im Fall der sogenannten "Sauerlandgruppe" und der "Düsseldorfer Al Qaida-Zelle", die ohne den Einsatz einer menschlichen Quelle zum Erfolg führten. Übersehen wird auch, dass der zweite Verbotsantrag gegen die NPD nach Erklärungen der Innenministerkonferenz inzwischen "quellenfrei" ist und trotzdem den notwenigen Anforderungen entspricht.

Die stereotype Behauptung, dass V-Personen unverzichtbar seien, negiert im Übrigen eine Entwicklung, die seit Jahrzehnten in eine ganz andere Richtung geht: An die Stelle menschlicher Quellen sind zunehmend Systeme strategischer Kontrollen getreten. Sicherheit wird technokratisiert, stellt die Technikphilosophin Jutta Weber unlängst in einem Beitrag in der SZ fest. Und sie stellt die Frage: Warum überwachen demokratische Gesellschaften ihre eigene Bevölkerung so hautnah?

Zur Person:

Winfried RidderWinfried Ridder, Diplompolitologe, war zunächst Dozent beim Bundesamt für Verfassungschutz für den Rechtsextremismus und dann fast 20 Jahre bis 1995 als Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig für den deutschen linksextremistischen Terrorismus (RAF, Bewegung 2. Juni, Revolutionäre Zellen). Er hat als einer der Ersten 1989 die Unterlagen der Stasi über die RAF gesichtet, trat auch als Zeuge im Prozess gegen Verena Becker auf und verfolgt die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses in Bund und Ländern. Im April 2013 erschien Ridders Buch "Verfassung ohne Schutz".

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