Zur Kugelschreiberlegende

Von Thomas Heppener

Ursprung der Kugelschreiberlegende ist ein vier Seiten umfassendes Gutachten, dass das Bundeskriminalamt (BKA) 1980 veröffentlichte. In dieser Untersuchung der für Anne Franks Tagebücher benutzten Papier- und Tintensorten steht, dass auf einigen losen Blättern mit Kugelschreiber Korrekturen angebracht worden seien. Das Magazin „Der Spiegel“ fühlte sich daraufhinzu der Aussage berufen: „Im Tagebuch der Anne Frank ist nachträglich redigiert worden. Die Echtheit des Dokuments wurde dadurch in Zweifel gezogen“ (Nr. 41 vom 6.Oktober 1980). Der Autor machte dabei den Fehler, dass er nicht von „Korrekturen“ schrieb, sondern von „ins Original geschriebenen Einfügungen“. Insbesondere dieser Artikel bewirkte, dass Zweifel an der Echtheit aufkamen und deren Leugner sich bestätigt sahen. Das BKA räumte erst im Jahr 2006 durch eine Pressemitteilung diese Zweifel aus.

Aber schon die niederländische Untersuchung des Gerechtelijk Laboratorium hatte Mitte der 1980er Jahre gezeigt, dass die Kugelschreiberschrift lediglich auf zwei losen Notizzetteln früherer Gutachter vorgefunden wurde und dass diese Notizen in keinerlei Zusammenhang mit dem Inhalt des Tagebuchs stehen. Sie sind zweifelsfrei später hineingeraten. Zugleich konstatieren die Wissenschaftler des forensischen Labors, dass die Handschrift auf diesen beiden Notizzetteln "in weitgehendem Maße" von der Handschrift des Tagebuchs abweicht. Fotos der Zettel wurden in die wissenschaftliche Tagebuchausgabe des NIOD aufgenommen (siehe: Die Tagebücher der Anne Frank, Vollständige, textkritische, kommentierte Ausgabe, 1988, S. 196 ff.). Herr Hans Ockelmann aus Hamburg teilte dem Anne Frank Haus, das das Erbe Anne Franks bewahrt (o.ä.), 1987 mit, dass die mit Kugelschreiber verfassten Notizen von der Hand seiner Mutter stammten. Dorothea Ockelmann war Mitarbeiterin des Teams gewesen, das Anne Franks Schriften im Jahr 1960 graphologisch untersucht hatte.

Der Autor ist Direktor des Anne Frank Zentrums Berlin

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