Die einen hetzen, die anderen schlagen zu

Der diesjährige 1. Mai hat die neue Qualität des Rechtsextremismus deutlich gezeigt: militante Neonazis überraschen mit offenen Krawallen in Hamburg sogar die Polizei, derweil zeigt die NPD in Nürnberg ein eher biederes Gesicht.

Von Johannes Radke und Robert Andreasch

Auch noch am Wochenende nach dem 1. Mai herrschte in der Neonazi-Szene blanke Begeisterung: „Endlich kommt Bewegung in das Spiel“, hieß es auf einschlägigen Internetseiten. „Wir diktieren dem Staat und dem politischen Gegner, wann und wo wir auftreten.“

NPD und freie Neonazi-„Kameradschaften“ werten ihren Auftritt am vergangenen Donnerstag als Erfolg – obwohl sie zu den beiden Aufmärschen in Hamburg und Nürnberg mit 2200 Teilnehmern weniger Anhänger mobilisieren konnten als im Vorjahr. Der Grund für den Jubel: Die Arbeitsteilung zwischen NPD und ihrem militanten Umfeld hat beim diesjährigen 1. Mai perfekt funktioniert. In Nürnberg, wo die Partei als offizieller Veranstalter auftrat, wurde kaum verhüllt nationalsozialistische Propaganda verbreitet, doch außer aggressiven Reden gab es dort keine Gewalt. In Hamburg dagegen – dorthin hatten die noch radikaleren Neonazi-„Kameradschaften“ mobilisiert – kam es zu bisher ungekannten Krawallen, dort wurden Journalisten, Gegendemonstranten und Polizeibeamte offen von Rechtsextremisten angegriffen. Damit unterscheidet sich der 1. Mai 2008 von allen bisherigen Nazi-Aktivitäten zum Tag der Arbeit in den vergangenen Jahren.

Zuvor hatten mehrere tausend Menschen friedlich gegen die Rechtsextremen demonstriert, dann schlug der Protest jedoch in Gewalt um. Wie bei mittlerweile fast jedem rechtsextremistischen Aufmarsch, hatten auch in Hamburg militante Antifa-Gruppen versucht, den Marsch zu stören, Autos wurden angezündet, die Reisebusse der Neonazis demoliert und Steine auf die Sicherheitskräfte geworfen. Wirklich überrascht aber war die Polizei von den Neonazis: „Die Aggression und nackte Gewalt ging von den Rechten aus“, sagte hinterher Polizei-Einsatzleiter Peter Born. Bisher hatten sie bei Demonstrationen in der Regel brav die Anweisungen der Ordnungshüter befolgt. Schon zu Beginn des Aufmarsches seien rund 100 so genannte „Autonome Nationalisten“ auf eine Gruppe Nazi-Gegner losgestürmt und hätten eine Schlägerei mit ihnen begonnen. Wäre die Polizei nicht dazwischengegangen, hieß es, wären möglicherweise sogar Tote zu beklagen gewesen. Nach Angaben des Einsatzleiters hatten sich innerhalb des Demonstrationszuges 400 „Autonome Nationalisten“ befunden – noch in seinem letzten Jahresbericht hatte der Bundesverfassungsschutz geschrieben, dass dieser Strömung des Rechtsextremismus bundesweit nur 200 Personen angehörten.

„Deutsche Intifada“ stand auf dem Fronttransparent der Neonazis. So wünschen sich die „Autonomen Nationalisten“ ihre politische Agitation: Straßenkämpfe wie in der Weimarer Republik im Stil der nationalsozialistischen SA. „Die letzten Demos haben gezeigt, dass die Autonomen Nationalisten die Waffen-SS der Neuzeit sind“, lobt ein Rechtsextremist seine Kameraden in einem Internetforum. Vor allem Angriffe auf Journalisten werden auf den Webseiten bejubelt: „Bravo, mehr davon!“ Ein Video auf dem Internetportal YouTube zeigte am Wochenende, wie ein Fotograf von rund 20 Neonazis zusammengeschlagen und seine Kamera geraubt wurde. „Der hat das echt mal verdient“, lautet einer der Kommentare unter dem Clip. „War eine geile Aktion, vor allem weil die Bullen erstmal gar nicht kamen.“ In dem Film ist ein Polizist in Kampfmontur zu sehen, der einige Meter entfernt steht, aber nicht eingreift.

Mehrfach hatte es in den vergangenen Monaten Streit gegeben zwischen der NPD und den „Kameradschaften“. Im letzten Jahr verabschiedete die Parteispitze sogar ein Papier, in dem man sich explizit von den „Freien Kräften“ distanzierte – deren zur Schau getragene Aggressivität und deren an linken Autonomen angelehnter Kleidungsstil („Schwarzer Block“) passt der NPD nicht ins Konzept. Nach Hamburg aber verweigerte der Parteisprecher jeden Kommentar, man habe den Aufmarsch nicht selbst angemeldet, so die wenig überzeugende Begründung. Denn natürlich war die NPD auch in Hamburg vertreten. Der Landesvorsitzende und Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger trat ebenso als Redner auf wie NPD-Bundesvorstandsmitglied Thomas Wulff.

Ganz offensichtlich akzeptiert die NPD inzwischen das gewalttätige Selbstverständnis der erlebnisorientierten Nachwuchsnazis, die den Erfolg ihrer Aufmärsche an der Anzahl verletzter Gegendemonstranten und Polizisten messen. Der Partei ist bewusst, wie anziehend neben Rechtsrockkonzerten und „Kameradschafts“-Abenden derartige Ereignisse auf Jugendliche wirken. Regelmäßig mokiert sich die „Kameradschafts“-Szene über die „langweiligen Latschdemos“ der NPD. Das für Wahlen wichtige bürgerliche Gesicht stellte die Partei im fernen Nürnberg zur Schau.

Im September wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt, die NPD verstand den 1. Mai als offiziellen Wahlkampfauftakt. „Sozial geht nur national!“ hieß es auf dem Fronttransparent, hinter dem sich der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt und der bayerische NPD-Landesvorsitzende Ralf Ollert aufstellten. Am unteren Rand des Transparents bediente sich die NPD nationalsozialistischer Symbolik: das Zahnrad der Deutschen Arbeitsfront und das Logo des SA-„Kampfverlags“. „Nationaler Sozialismus - jetzt, jetzt, jetzt“, rief der mittelfränkische NPD-Bezirksvorsitzende Matthias Fischer ins Megafon, und niemand der vielen NPD-Führungskader störte sich daran.

Gibt sich bürgernah: Die NPD am 1. Mai in Nürnberg

Diszipliniert marschierten Partei und „Autonome Nationalisten“ in Nürnberg nebeneinander. Gemeinsam rief man: „1. Mai – seit ´33 arbeitsfrei!“ NPD-Ordnungsdienstleiter Manfred Börm sorgte in autoritärem Ton per Megafon für Ordnung – und die „Kameradschaften“ folgten. Noch vor einer Woche bei einem NPD-Aufmarsch im nordrheinwestfälischen Stolberg hatten sich Ordner der Partei handgreifliche Auseinandersetzungen mit „Autonomen Nationalisten“ geliefert.

Gegenproteste hielt die bayerische Polizei meist außer Sicht- und Hörweite. Während des Aufmarsches sparte die NPD nicht mit Bezügen zum Nationalsozialismus: „Unser Ideal ist die deutsche Volksgemeinschaft“, sagte Michael Schäfer, aus Sachsen-Anhalt angereister Bundesvorsitzende der NPD-Jugendorgansisation JN. Seine Rede beendet er mit der Formel „Nichts für uns!“ – das zur vollständigen SA-Parole gehörende „Alles für Deutschland“ verschwieg er. NPD-Chef Udo Voigt beschimpfte in seiner Rede den Zentralrat der Juden als „eine Ansammlung von Verbrechern“. „Deutsche wacht auf“, rief Voigt anschließend, „schickt die Politiker dorthin, wo sie hingehören: in die Arbeitslager!“

Während die Demonstranten aus Nürnberg diszipliniert heimreisten, randalierten aus Hamburg heimkehrende Neonazis in den Bahnhöfen von Bremen und Dortmund. In Bad Kleinen stürmten Neonazis einen Zug und verprügelten eine Gruppe von Gegendemonstranten. Wenig später wurden am Rostocker Hauptbahnhof mehrere Jugendliche von Neonazis mit Knüppeln bedroht und über die Gleise gejagt. Dort ging das Spiel mit verteilten Rollen am Ende doch noch daneben: Im Bahnhofsgebäude wurde der Neonazi David Petereit festgenommen. Er ist Wahlkreismitarbeiter des Rostocker NPD-Landtagsabgeordneten Birger Lüssow.

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