Der Traum von der Querfront

Rechte und linke Globalisierungsgegner sind auf den ersten Blick schwer zu unterscheiden. Nur minimal variieren die Parolen. Was die Linken ärgert, machen die Rechten mit Absicht.

Von Michael Schlieben

Demonstration in Hamburg. Warm-up für Heiligendamm. Rund 5000 Menschen haben sich auf der Reeperbahn zum Protestmarsch versammelt, gegen das Treffen der europäischen und asiatischen Außenminister, Asem genannt. Die Demonstranten tragen Transparente, Palästinenser-Tücher, Trillerpfeifen – typische Demo-Insignien also. Auf einmal meldet sich durch das Megafon die knatternde Stimme eines Veranstalters: "Wir haben Plakate mit der Aufschrift " Gib 8 – G 8 " gesehen. Das ist das Motto der Nazis. Mit euch wollen wir nichts zu tun haben. Haut ab!"

"Ob das wirklich Rechtsradikale waren, weiß man noch nicht einmal", sagt Andreas Beuth. Beuth ist Anwalt, er vertritt unter anderem das autonome Zentrum Rote Flora, das die Demonstration mitveranstaltet hat. Das mutmaßlich rechte Grüppchen habe sich anschließend gerechtfertigt: Es hätte gar nicht gewusst, welch Geistes Kind der Slogan sei, den sie in Hamburg hochhielten.

Nicht nur in Hamburg kennt die Protestszene dieses Problem: Rechte und linke Globalisierungsgegner sind auf den ersten Blick nicht einfach zu unterscheiden. Die Parolen variieren mitunter lediglich um Nuancen: " Fight Capitalism! Fight G8! ", mit diesem Aufruf mobilisieren linke Gruppen bundesweit gegen das Gipfeltreffen. Bei den jungen Nationaldemokraten heißt es: " G8 rocken! " oder eben "Gib 8 – G 8! ". Auch T-Shirts und Aufkleber der rechten Globalisierungsfeinde sehen denen der linken zum Verwechseln ähnlich: Statt Springerstiefeln zählen Palästinenser-Tücher und Kapuzen-Pullis inzwischen zum Standard-Outfit rechter Kreise.

Die Ähnlichkeit ist kein Zufall. Ganz unverblümt räumen NPD-Funktionäre ein, dass sich die Protestformen einander angenähert hätten. Klaus Beier, Bundespressesprecher der NPD, sagt: "Natürlich gibt es inhaltliche Übereinstimmungen mit den linken Globalisierungsgegnern", etwa die antikapitalistische Grundhaltung. Nicht nur Attac, auch die NPD interpretiere sich selbst als "anti-neolioberal". Da sei es doch durchaus sinnvoll, sagt Beier, "dass wir auf die gleiche Optik setzen". Die NPD habe da "keine Berührungsängste".

Seit Jahren schon sucht die NPD einen Weg hinaus aus dem dunklen Hinterzimmer. Die rechte Partei möchte den Protest anführen, an Debatten teilnehmen, argumentativ ernst genommen werden. Der G8-Gipfel in Heiligendamm kommt ihr für dieses Ansinnen gerade recht. NPD-Chef Udo Voigt hatte schon im Jahr 2001 angekündigt: "Wir werden uns an die Spitze einer neuen deutschen Friedensbewegung stellen."

Um dieses Ziel zu verwirklichen, sei eine "Querfront" rechter und linker Systemkritiker nötig, träumen die rechten Strategen. Ein Teilnehmer im rechtsextremen Internetforum Freier Widerstand schreibt dazu: "Wir haben das gemeinsame Ziel, den G8-Gipfel zu zerschlagen oder wenigstens zu behindern." "Bald gibt es kein Links und Rechts mehr", schreibt ein anderer, "dann gibt es nur noch das System und seine Feinde."

Der linken Seite des G8-Protests ist diese unfreiwillige Allianz unangenehm. Allerdings steht sie den rechten Avancen auch etwas hilflos gegenüber. Sabine Klemm vom Schweriner Bürgerbündnis etwa sagt: "Das Infomaterial der NPD ist genial!" Es greife die weit verbreiteten Sorgen auf, ohne "die hässliche NPD-Fratze" zu zeigen. Hinzu kommt, dass die Nationaldemokraten inzwischen auf die Apparate einiger Landtags- und zahlreicher Kreistagsabgeordneter zurückgreifen können. Dadurch seien sie zumindest in der betroffenen Küstengegend mit Infomaterial immer "einen Tick schneller", klagt Klemm.

Die Protestforderungen der Rechten und Linken unterscheiden sich semantisch nur geringfügig. Die NPD erkennt man nach wie vor insofern, als die Vokabeln "Volk" und "Heimat" regelmäßig in ihren Globalisierungskritiken auftauchen. Tatsächlich liegt hier die wesentliche Differenz. Das Ziel, das die linken Gipfelgegner ausgeben, ist eine "gerechte Globalisierung". Die Rechten wollen gar keine, ihr Ansatz ist und bleibt ausschließlich nationalistisch.

Einen Unterschied zu den linken Globalisierungskritikern betonen allerdings auch die Rechten. Rainer Bormann, ein NPD-Abgeordneter aus dem mecklenburgischen Bad Doberan, sagt: Anders als die "Chaoten, die ihre Wut an wehrlosen einheimischen Bürgern auslassen", würde die NPD ganz zivilisiert demonstrieren. Überprüfen könne das jedermann am 2. Juni. An diesem Tag plant die rechte Partei eine eigene Großdemo gegen den G8-Gipfel in Schwerin, bei der die rechten Sympathisanten ordnungsgemäß marschieren werden.

Der Aufmarsch in Schwerin gilt als die wichtigste rechtsextreme Protestveranstaltung des Jahres. Nicht zufällig findet sie am gleichen Tag statt wie in Rostock die linke Großdemonstration, zu der 100.000 Globalisierungsgegner erwartet werden. Dieser Werbeeffekt ist intendiert: Wenn die Weltpresse auf Deutschland schaut, wird sie Schwerin kaum ignorieren.

Erschienen in Zeit.de am 30.05.2007.

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