Filmstill aus "Das radikal Böse": Ballspiel als Entspannung vom Massenmord.
wfilm / Christoph Rau

"Das radikal Böse": Wie passieren konnte, was nie hätte passieren dürfen

Am 16. Januar kommt der Essay-Film "Das radikal Böse" von Oscar-Gewinner Stefan Ruzowitzky in die deutschen Kinos (Aufführungstermine). Die pädagogisch äußerst wertvolle Film-Kollage geht der Frage nach, wie aus normalen jungen Männern Massenmörder werden können. Regisseur Ruzowitzky wagt sich an eine psychologische Erklärung des "Vergessenen Holocausts" und schafft durch die ungewohnte Kombination verschiedener Erzähl-Ebenen außerdem einen beklemmenden Bezug zur Aktualität.

Von Jakob Rödl

"Das radikal Böse" soll mehr leisten, als nur historische Ereignisse zu vermitteln, sagt Regisseur Stefan Ruzowitzky bei der Diskussionsrunde nach der Filmvorstellung im Kino Babylon in Berlin-Mitte. Vielmehr soll auch ein Bezug zur Aktualität hergestellt werden. Der Österreicher, der für seinen Spielfilm "Die Fälscher" bereits einen Oscar gewann, erwähnt als Beispiel den fast überall in Europa wachsenden Rechtspopulismus.

Für Ruzowitzky geht es bei seinem neuen Essay-Film darum zu erklären und zu analysieren, wie ganz normale junge Männer zu Massenmördern werden können, ohne dabei aber ihre Handlungen zu entschuldigen.

Worum geht es? Im Zweiten Weltkrieg kam es ab 1941 zu massenhaften systematischen Erschießungen jüdischer Zivilist*innen durch deutsche Einsatzgruppen und Polizeibataillone in Osteuropa. Der Priester und Holocaust-Forscher Patrick Desbois bezeichnet den Mord an rund 2 Millionen jüdischen Zivilist*innen, darunter Frauen, Kinder und Babys, als den "vergessenen Holocaust".

Ruzowitzky will erklären, wie es zu dem kam, was nie hätte geschehen dürfen. Auf intelligente Weise verbindet der Regisseur verschiedene Erzähl-Ebenen und Stilmittel zu einem Essay-Film. Er interviewt führende Historiker und Psychologen. Eine junge Journalistin besichtigt mit Zeitzeugen die Tatorte im ukrainischen Bibrka. Zwischenzeitlich werden immer wieder historische Aufnahmen eingespielt, etwa der NS-Wochenschau oder der Nürnberger Prozesse.

Die stärksten Momente des Films aber sind die gespielten Szenen. Ruzowitzky zeigt junge Soldaten beim Ballspielen, beim Baden und beim Feiern. Wenn man diese Szenen unkommentiert zeigen würde, könnte man sicherlich eine gewisse Nähe zu den jungen, sich vergnügenden Männern schaffen. Ruzowitzky aber bedient sich eines Split-Screens und blendet parallel zu den Spielszenen Dokumente mit den Zahlen ermordeter Juden an verschiedenen Orten ein. Außerdem werden Soldaten beim Appell vor Erschießungsaktionen und Soldaten, die sich vor eben diesen "drückten", gezeigt. Aus dem "Off" werden tatsächliche Brief- und Tagebuchaufzeichnungen der Täter vorgelesen. Genau dies ist die große Stärke des Essay-Films. Er verbindet gespielte Szenen, die teilweise die Banalität des Soldatenalltags zeigen, mit Originalzitaten. Diese Kombination schafft Beklemmung. Denn in ihren Briefen versuchen die Soldaten etwa die Tötungsaktionen zu rechtfertigen. Ausflüchte oder das Abschieben von Verantwortung, wie "Einer musste es ja machen" sind oft zu hören. Verstörend sind auch Aussagen, wie "Wir haben uns ehrlich gesagt überhaupt keine Gedanken gemacht" oder Berichte über technische Details der Erschießungen, die im kalten Soldatendeutsch berichtet werden.

Die Zitate aber zeigen auch deutlich, dass man sich verweigern konnte. Wer bei Erschießungen nicht mitmachen wollte oder konnte, hatte zwar Mobbing seitens seiner Kameraden und Vorgesetzten, kaum aber ernsthafte Repression zu befürchten.

Eine weitere Ebene des Films sind nachgespielte, bekannte psychologische Experimente. Das Konformitätsexperiment von Asch, sowie das Stanford- und Milgram-Experiment, kommentiert von den interviewten Experten machen dem Zuschauer klar, dass es sich weniger um einen Film ausschließlich über Nazis, sondern über uns alle handelt. Die Experimente würden wohl auch heute noch funktionieren. Aber auch hier wird gezeigt, dass es etwa im Milgram-Experiment Probanden gab, die sich den Versuchsanweisungen verweigerten.

Auch Bernd Wagner, Leiter der Aussteiger-Organisation EXIT, spannte in der Diskussionsrunde den Bogen zur Aktualität. Er schlug vor, den Film auch heutigen Nazis zu zeigen. Der Film sei aufgrund der Botschaften und der Stilmittel dazu bestens geeignet, da sich Neonazis oft in ähnlichen Situation und Gruppendynamiken befinden.

Gerade in pädagogischen Zusammenhängen ist "Das radikale Böse" aufgrund des intelligenten und passenden Einsatzes der filmischen Stilmittel nahezu perfekt geeignet, die Vermittlung historischer Ereignisse mit einer Annäherung an eine psychologische Erklärung der Taten und einen Bezug zu aktuellen Ereignissen zu verbinden. All dies nämlich schafft der Essay-Film auf beklemmende Art und Weise, ohne aber dabei den moralischen Zeigefinger zu erheben.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

| "Damals wie heute Hitlerleute" - Essay des Aktionskreises ehemaliger Rechtsextremisten / EXIT-Deutschland

Mehr im Internet:

| Website zum Film: www.dasradikalboese.de

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