Das Durban-Syndrom

So wird Arbeit für Menschenrechte schwierig: Die UN-Konferenz gegen Rassismus in Genf ist vorbei. Die Welt ist erstaunt, wie viele Länder es ernst meinen mit ihrem Antisemitismus. Dagegen nehmen viele Regierungen den Kampf gegen den Rassismus nach wie vor nicht ernst - auch nicht im eigenen Land.

Von Anetta Kahane

Die Durban Review Conference in Genf ist vorbei. Nach allem, was dort geschehen ist, war es auch im Nachhinein gesehen richtig, dass Deutschland an dieser Veranstaltung der Vereinten Nationen gegen Rassismus nicht teilgenommen hat. Es gab viele Argumente für einen Boykott und etliche dagegen, doch im Grunde drehten sich die meisten Streitfragen in dieser Angelegenheit um die Symptome einer internationalen Auseinandersetzung und nicht um deren Kern.

Was symbolisiert der Streit um Israel?

Das Symptom: ist es richtig oder falsch, antisemitisch oder legitim, Israel und seine jüdische Lobby weltweit als das Symbol von Menschenrechtsverletzungen schlechthin hervorzuheben? Und rechtfertigt die entsprechende Antwort, an der Konferenz teilzunehmen oder fernzubleiben? Dient oder schadet die Entscheidung am Ende den Opfern von Rassismus und Diskriminierung überall auf der Welt? Die UN-Hochkommissarin der Menschenrechte, Navi Pillay, fragte enttäuscht, ob denn wegen der Interessen eines Landes (Israel) das gesamte, weltweite Bemühen, gegen Rassismus vorzugehen, behindert werden sollte, wo doch das Abschlussdokument vergleichsweise harmlos sei. Damit kommen wir auch direkt auf die Frage des Verhältnisses von Universalismus zu Partikularismus – gerade und besonders, wenn es um antisemitische Stimmungen geht.

Verschieden Verfolgte?

Die Antwort darauf ist wichtig, um auf den Kern der Auseinandersetzung rund um die Durban-Konferenzen zu kommen. Heute ernsthaft Rassismus zu bekämpfen zu wollen ist unmöglich, ohne gleichzeitig Antisemitismus ebenso entschieden abzulehnen. Umgekehrt gilt das übrigens als Selbstverständlichkeit. Es wäre ein Widerspruch in sich, die Bedrohung, Verfolgung und Diskriminierung der einen moralisch zu verurteilen und politisch zu bekämpfen, die der anderen aber billigend in Kauf zu nehmen, so wie es neben Ahmadinedschad auch viele andere tun. So gesehen steht den Juden der gleiche Schutz zu wie anderen Minderheiten auch; in dem Fall ist Antisemitismus sehr wohl eine Form von Rassismus.

Anti-westliche Ideologie für viele Gegner

Aber eben nicht nur. Antisemitismus war und ist sehr viel mehr als das: er ist eine Gesellschaftstheorie, die sich gegen die Moderne richtet; eine Pathologie, die dämonisiert und personalisiert, was bedrohlich komplex erscheint. Und was kann bedrohlicher und komplexer sein als die Freiheit der Individuen in einer offenen und womöglich noch globalisierten Gesellschaft? Antisemitismus heute bedroht nicht nur konkret Personen rund um den Globus oder gar die Bevölkerung eines ganzen Landes, selbst wenn es „nur“ Israel ist – er stellt Hass und Zweifel dar, der sich mit den westlichen Demokratien in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit verbindet. Eine anti-westliche Ideologie also, die Gruppen miteinander vereint, die unterschiedlicher nicht sein können: emanzipatorische Kritikerinnen am westlichen System und die miesesten religiös motivierten Frauenschlächter, Nationalisten und Internationalisten, Friedenskämpfer und Kriegstreiber, ja sogar Rassisten und Antirassisten, um nur einige zu nennen. Das ist das Durban-Syndrom - hervorgegangen aus eben jener Melange von antirassistischen, antiwestlichen und israelfeindlichen Haltungen.

Auf die Weise lässt sich die Vieldeutigkeit einer Stimmung beschreiben, die international – also auch in der UNO - im Begriff ist, sich eine neue Welterklärung zu basteln.

Die Welt ist nicht mehr eindeutig

Eine neue Welterklärung? Der Antisemitismus ist natürlich nicht neu. Doch neu sind das Erstaunen und der Schreck, den 2001 die Ereignisse von Durban auslösten. Wieso eigentlich? Bereits in den 70er und 80er Jahren hatte es ähnliche Debatten im Rahmen der UN-Antirassismuskonferenzen gegeben. Doch damals war die Welt noch in Ordnung. Es gab den Ostblock und die Nicht-Paktgebundenen Staaten auf der einen und die westlichen Demokratien auf der anderen Seite und allen war klar, dass dies eine ideologische Schlacht ist, deren Gehalt man nicht zu ernst nehmen dürfe. Die wenigsten konnten sich vorstellen, dass die sozialistischen Länder nicht nur pro-forma, sondern ganz wirklich antisemitisch ticken. Zwar war der linke Antisemitismus schon bekannt, aber dem moralisch hehren Sozialismus sollte das nicht unterstellt werden. Im Jahr 2001 war der Ostblock gerade zehn Jahre verschwunden. Und wahrscheinlich gingen alle davon aus, dass damit auch das alles überstrahlende Blockdenken und der ideologisch aufgeladene Antizionismus irgendwie verschwunden wären. Nun, die Mauer war weg und mit ihr die Orientierung, die sie bot. Nicht aber der Antisemitismus in seiner ganzen Hässlichkeit. Die Überraschung von Durban war, dass dies eine Überraschung war. Und auch sie gehört zum Durban-Syndrom.

Um Rassismus ging es bisher nicht wirklich

Die universalen Menschenrechte sind ohne den Kampf gegen Rassismus nicht vorstellbar. Der Sozialismus und die Linke haben zwar immer wieder versucht, beides voneinander zu trennen und so zu tun, als gäbe es ein Leben ohne Rassismus in einer Gesellschaft ohne individuelle Freiheit und demokratischer Alltagskultur, doch blieb dies immer hohl, verlogen und deklamatorisch. Die Auseinandersetzungen der Blöcke um Menschenrechtsfragen hatte deshalb eine immense Bedeutung. Erinnern wir uns: die KSZE mit dem Prozess von Helsinki hat es möglich gemacht, dass Menschenrechtsgruppen in den Ostblockländern überhaupt entstehen konnten. Über Menschenrechte zu reden war die Aufgabe jedes westlichen Politikers, der in den Osten reiste. Im sozialistischen Sprachgebrauch hieß das „imperialistische Menschenrechtsdemagogie“. Gewiss ging es damals vor dem Fall der Mauer von westlicher Seite mehr um Presse- und Meinungsfreiheit und um Freizügigkeit als um Rassismus. Doch mit dem Rassismusvorwurf gegen den Westen wurde von östlicher Seite immer wieder gekontert. Die Synonyme dafür waren die Diskriminierung der Schwarzen in den USA, Südafrikas Apartheid und natürlich Israel. Doch im Grunde blieb die echte Rassismusbekämpfung in der Auseinandersetzung der politischen Blöcke eher unwichtig.

Chancen vertan

In Durban schien es anfangs ganz anders zu sein. Befreit von Pathos und Demagogie des Ost-West-Konflikts hätte es zum ersten Mal tatsächlich um Rassismus gehen können, denn kein Land auf der Welt ist frei davon. Doch es stellte sich schnell heraus: der kalte Krieg mochte vorbei sein, die Abwehr demokratischer Freiheitsrechte, der Hass auf den Westen jedoch keineswegs. Natürlich ist der Westen daran nicht unschuldig. Selbstverständlich treffen auf ihn die Vorwürfe des Missbrauchs seiner Macht zu. Gewiss steckt Rassismus im Umgang des Westens mit anderen Staaten oder eigenen Minderheiten . Zweifelsohne klaffen zwischen seinem Anspruch und der Wirklichkeit schreckliche Lücken. Doch weshalb musste es ausgerechnet Antisemitismus sein, durch den jede Zumutung beantwortet wird? Vermutlich, weil es schon immer so war und es keinen Grund gibt, eine so gut eingeführte und über Jahrhunderte bewährte Tradition zu verändern.

Menschenrechte und die Bekämpfung von Rassismus lassen sich nicht trennen

Nach dem Schock von Durban und dem des 11. September aber sollte sich der Westen besinnen. Spätestens jetzt, bei der Antirassismuskonferenz in Genf, ist es höchste Zeit, den Kampf gegen Rassismus als einen Kampf um Gleichwertigkeit und Menschenrechte ernst zu nehmen. Der Westen hat im Grunde den Rassismus als eine Art „Gedöns“ betrachtet, mit dem man sich am Rande auch mal beschäftigen muss, wenn Opfer und ihre NGO`s zu viel Theater machen. Das ist nicht nur moralisch verwerflich – es ist auch politisch falsch. Rassismus und Menschenrechte kann man nicht trennen. Im Angesicht neuer und alter Ideologien, die den Individuen jede Gleichwertigkeit absprechen, ist der Kampf um Menschenrechte das einzig übriggebliebene Instrument des Westens, in dem es gegen Mullahregimes, Despotien oder Diktaturen noch überzeugend sein kann. Wirtschaftlich haben auch die anderen Kraft und Macht entwickelt. Wenn Demokratien ein positives Beispiel bleiben sollen, müssen sie Rassismus bekämpfen. Und Menschenrechte einfordern.

Der Westen muss sich an die eigenen Spielregeln halten

Das aber geht nur, wenn die Forderungen vom Westen selbst eingehalten werden. Ein lascher Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, wie ihn die Bundesregierung anlässlich der Genfer Konferenz vorgelegt hatte, reicht in keiner Weise aus. Die Forderung nach Menschenrechten hat zum Fall der Mauer beigetragen. Wer heute überzeugen will, muss sich mit Rassismus auseinandersetzen. Nicht zufällig, weil da eine UNO-Konferenz ist, sondern weil es politisch gewollt, praktisch gelebt und strategisch vorgebracht wird. Und das an vorderster Stelle und nicht als Nebenproblem. Dann lohnt es auch, in der UN entsprechend aufzutreten.

Manche mögen spotten über die Genfer Konferenz und dafür gibt es jede Menge Gründe, andere bedauern, dass Deutschland nicht teilnahm, wegen verpasster Chancen, mehr gegen Rassismus tun zu können. Beides hat irgendwie eine Berechtigung. Doch solange Menschenrechte und Anti-Rassismus nicht zur Chefsache des Westens werden, ändert sich nicht viel und das Durban-Syndrom wird immer wieder zu anti-westlichem und anti-semitischem Schluckauf führen. Und wir können nur hoffen, dass die Welt mit ihrem atomaren Potenzial daran nicht erstickt.

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