Counter Narrative-Videos: Lieber pro Toleranz als anti Extremismus

Weil Nazis und Islamisten mit Online-Videos viele Jugendliche zu erreichen drohen, gibt es auch viele Video-Kampagnen gegen Rechtsextremismus oder Islamismus. Aber nützt das etwas? Und wenn ja: Was genau nützt denn?

 

Von Jakob Guhl

 

Rechtsextremismus und Islamismus im Internet

Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs haben sich mehrere hundert, zumeist junge Menschen aus Deutschland dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen, der seine Gegnerschaft zu einer freien, offenen und pluralistischen Gesellschaft so deutlich gemacht hat wie kaum eine zweite Gruppe in jüngerer Zeit. Dabei bediente sich der IS eines umfangreichen Propagandaapparats, der zum Teil hochwertig produzierte Videos, Artikel und Magazine veröffentlicht, um die eigene Botschaft zu verbreiten. Auch wenn die Internetpräsenz des IS nicht die alleinige Erklärung für die Radikalisierungprozesse ist, erreichte das dystopische Narrativ der Terrorgruppe online Menschen aus dutzenden Ländern, die sich auf den Weg in die Bürgerkriegsgebiete in Syrien und im Irak machten.

Gleichzeitig erleben wir in Europa, wie verschiedene rechtsextreme Gruppen mit Hetze gegen Flüchtlinge, Muslime, Juden, sexuelle Minderheiten, die „Lügenpresse“ und „liberale Eliten“ gezielt Ressentiments schüren. Zu diesem Zwecke sind rechstextreme Gruppen wie die antimuslimische PEGIDA-Bewegung, die ethnonationalistische Identitäre „Bewegung“ und die flüchtlingsfeindliche AfD besonders aktiv in den Sozialen Medien. Die AfD hat beispielsweise mehr Follower auf Facebook als alle anderen Bundestagsparteien. Und die Hetze schlägt immer häufiger in Gewalt um: Laut einer im Dezember 2017 veröffentlichten Studie von Forschern an der University of Warwick lässt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Stärke der Social Media-Präsenz der AfD und Gewalt gegen Flüchtlinge auf lokaler Ebene feststellen.

 

Counter-Narrative als Mittel gegen Hass und Extremismus?

In einem solchen gesellschaftlichen Klima, in dem Rechtsextremismus und Islamismus trotz ihrer offen kommunizierten, düsteren Gesellschaftsvisionen immer stärker zu werden scheinen, stellt sich die Frage, wie den menschenfeindlichen Ideen dieser beiden Strömungen begegnet werden kann. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder vorgeschlagen, die Narrative der Islamist_innen und Rechtsextremen durch sogenannte „Counter-Narratives“ zu hinterfragen, um ihre Rekrutuierungsstrategien zu durchkreuzen. Dazu sollen vor allem online passgenaue Botschaften entwickelt und in Posts oder Videos schmackhaft aufbereitet werden, um Radikaliserungprozessen vorzubeugen oder sie sogar rückgängig zu machen. In den letzten Jahren sind zu diesem Zweck unzählige Kampagnen und Initiativen mit mehr oder weniger präzise definierten Zielsetzungen und Zielgruppen ins Leben gerufen worden, die Extremismus und Hassrede im Internet etwas entgegensetzen sollen.

Aber wie wirksam sind solche Initiativen? Reduzieren sie tatsächlich die Verbreitung extremistischer Ideen? Oder sind sie möglicherweise reine Zeitverschwendung oder wirken gar kontraproduktiv? Aufgrund eines Mangels an entsprechenden Forschungsarbeiten ist diese Frage immer noch umstritten. Dies hält im Moment viele zivilgesellschaftlichen Organisationen (NGOs) davon ab, Zeit und Ressourcen in die Entwicklung, Durchführung und Evaluation solcher Kampagnen zu investieren.

 

Neue Studie über die Wirksamkeit von Counter-Narrative Videos

Um diesen Forschungslücke ein Stück weit zu schließen, ist Anfang Januar eine umfangreiche Studie über die Wirksamkeit von Counter-Narrativen erschienen. In “Videos gegen Extremismus? Counter-Narrative auf dem Prüfstand“ gehen die Heraugeber Lena Frischlich, Diana Rieger, Anna Morten und Gary Bente der Frage auf den Grund, inwiefern Counter-Narrative in Videoform die Verbreitung von islamistischem oder rechtextermen Gedankengut verhindern können.

In der aktuellen Landschaft von Videos gegen Rechstextremismus und Islamismus finden sich laut der Studie sowohl informative Videos, die durch Expertenvorträge und Faktenvermittlung extremistische Narrative zu hinterfragen versuchen als auch eher unterhaltsame Formate wie filmischen Inszenierungen, Musikvideos und Comedy.  Zudem gibt es persönliche Formate, die beispielsweise die Geschichten von Aussteigern, Familien und Opfern von Extremismus erzählen. Ein weiteres Genre bilden Videos von Gruppen, die ihr Engagement gegen Islamismus oder Rechtsextremismus porträtieren.

 

Resultate der Studie

Die Ergebnisse der Studie basieren auf Interviews mit 330 Studierenden und Auszubildenden sowie einer Online-Studie mit 155 Teilnehmern, denen solche Videos vorgespielt wurden. Sie sind höchst relevant für Aktivist_innen und Organisationen, die an der Entwicklung von Counter-Narrativen interessiert sind. Einiges ist ermutigend, anderes hilfreich und bestimmte Fragen bleiben unklar und bedürfen weiterer Forschung.

So überprüft die experimentelle Studie lediglich die Wirkung von Counter-Narrative-Videos gegen Rechtsextremismus und Islamismus auf nicht-radikaliserte Individuen. Die Ergebnisse sagen daher wenig über die Möglichkeit aus, ideologisch gefestigte Personen durch solche Videos zu beeinflussen und zur Umkehr zu bewegen (wenngleich einige der Studienteilnehmer_innen dies bei der Befragung durchaus für möglich hielten).

Dabei stellte sich heraus, dass Videos die Zuschauer besonders dann in ihren Bann schlagen, zur weiteren Reflektion anregen und dass im Gedächtnis bleiben, wenn sie eine Geschichte erzählen (besonders „narrativ“ sind), wie zum Beispiel persönliche Erzählungen ehemaliger Islamist_innen oder Neonazis, die aus der Szene ausgestiegen sind.

Die Studie bestätigte die wichtige Rolle, die glaubwürdigen Botschaftern von Counter-Narrative- Kampagnen zugemessen wird. So wurde der Rapper Blumio, dessen Musikvideo zu dem Song „Hey Mr. Nazi“ im Rahmen der Studie verwendet wurde, als besonders glaubwürdig und „cool“ bewertet. In diesem und in ähnlichen Videos, vor allem aber  in Aussteigergeschichten wurde zudem das ehrliche Eingeständnis eigener Fehler als besonders authentisch empfunden.

Die gezeigten Counter-Narrative Videos kamen bei den Probanden umso besser an, je verständlicher und klarer die Botschaft war. Während es im künstlerischen Sinne natürlich sinnvoll sein kann, Inhalte zweideutig und geheimnisvoll zu präsentieren, ist ein solches Vorgehen für die Effektivität von Counter-Narrative Videos eher abträglich.

Ein weiteres Resultat der Studie ist, dass Videos gegen Radikalisierung und Hass die Zuschauer_innen direkt ansprechen sollten. Durch eine direkte Handlungsaufforderung wirken Videos stärkernder und befähigender, als wenn lediglich ein moralisches Urteil gefällt wird, ohne die Zuschauer mit einzubeziehen.

Häufig wird in Counter-Narrative-Videos auch auf Humor und Satire gesetzt. Die befragten Teilnehmer_innen empfanden solche Videos jedoch häufig als beleidigend und unnötig provokativ, sebst wenn sie nicht der Gruppe angehörten, über die sich lustig gemacht wurde. Die Herausgeber_innen der Studie halten es jedoch für möglich, dass Kampagnen wie zum Beispiel die „Datteltäter“, die sich sowohl über Eigen- und Fremdgruppen lustig machen, einen positiven Effekt haben können. Faktenvideos wurde ähnlich wie Satire von den Teilnehmer_innen der Studie kritisch gesehen.

Videos gegen Islamismus und Rechtsextremismus wurden von den Probanden im Vergleich positiver bewertet als die extremistische Propaganda – ein Effekt, der sich noch verstärkte, wen Sie direkt im Anschluss an rechtsextreme oder islamistische Propganda angesehen wurden.  Versuchsteilnehmer_innen identifizierten sich stärker mit Counter-Narrative-Videos und waren eher bereit, sich weitere ähnliche Videos anzusehen oder online weiterzuverbreiten als das bei den islamistischen oder rechtsextremen Videos der Fall war. Dies bedeutet auch, dass extremistische Propaganda auf die breite Masse hin betrachtet längst nicht so wirkungsmächtig ist, wie dies häufig angenommen oder zumindest befürchtet wird.

 

Was bedeutet die Studie für Aktivist_innen und Organisationen im Bereich „Counter-Speech“?

Die Studie macht gleich im Vorwort klar, dass solche Videos sicherlich kein Allheilmittel gegen Islamismus, Rechtsextremismus und Hass sind, sondern vielmehr eine Ergänzung zu bestehen Angeboten  in der Präventions- und Ausstiegsarbeit darstellen sollten. Dennoch lassen die Ergebnisse drauf schließen, dass Counter-Narrative zur Stärkung der Resilienz gegenüber extremistischen Botschaften im Internet beitragen können. Gut durchdachte Kampagnen mit eindeutiger Strategie, Zielsetzung und Zielgruppe können hierzu beizutragen. Organisationen, die Projekte und Kampagnen in diesem Bereich durchführen wollen, sind dazu eingeladen, sich mit der Online Civil Courage Initiative (OCCI), einem von dem Institut for Strategic Dialogue (ISD) in Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung und Facebook durchgeführten Projekt, in Verbindung zu setzen, um Beratung und Training für Counter-Narrative Kampagnen zu erhalten und deren Reichweite zu erhöhen.

Eine der interessantesten Thesen für die Praxis von Organisationen, die Counter-Narrative-Kampagnen planen, ist, dass Counter-Narrative-Videos ihre positive Wirkung gegen radikalisierende Propaganda nicht auf direktem, sondern auf indirektem Wege entfalten. Dies bedeutet, dass die Wirkung von Propaganda-Videos nicht direkt durch das Ansehen von Counter-Narrative Videos verringert wurde, sondern dadurch, dass die Vorzüge einer offenen, toleranten, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft in den Vordergrund gestellt wurden. Durch die Bewerbung dieses inklusiven Narrativs wird die Resilienz gegen demokratiefeindliche Botschaften gestärkt. Dies bedeutet für Aktivist_innen und Organisationen, die gegen Hass und Menschenfeindlichkeit eintreten, dass sie den Botschaften extremistischer Gruppen nicht unentwegt reaktiv hinterher hecheln müssen, sondern sich vielmehr auf die Attraktivität der eigenen Botschaft besinnen sollten. Nicht das „countern“ und die Gegenrede müssten demnach im Zentrum der Bemühungen gegen Extremismus stehen, sondern die Stärken und Vorzüge offener Gesellschaften, die für die große Masse potentieller Video-Konsument_innen attraktiver bleibt als extremistische Untergangsvisionen.

Die Herausgeber_innen der Studie weisen darauf hin, dass es sinnvoll wäre, besonders junge Menschen zum Nachdenken über solche Videos anzuregen. Sie meinen, dass Propaganda zumeist auf Anhieb eine abschreckende Wirkung habe, und empfehlen eine kontrollierte pädagogische Aufbereitung extremistischer Videos, die durch gemeinsame Gespräche zur Reflexion einlädt, als eine vielversprechende Strategie. Wichtig ist dabei, dass islamistische oder rechtsextreme Propaganda explizit als solche kenntlich gemacht wird – und die Pädagog_innen genug Kenntnisse zum Thema haben, um Argumente auch von Jugendlichen, die diesen Strömungen eher zugeneigt sind, beantworten zu können.  

 

Jakob Guhl ist Praktikant bei der Online Civil Courage Initiative (OCCI), einer Projekt, dass sich zum Ziel gesetzt hat, die zivilgesellschaftliche Reaktion auf Hassrede und Extremismus im Internet zu verbessern und auszuweiten.

 

Links

 „Videos gegen Extremismus? Counter-Narrative auf dem Prüfstand“; Lena Frischlich, Diana Rieger, Anna Morten & Gary Bente (Hrsg.) In Kooperation mit der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus (FTE) des Bundeskriminalamtes:

“Fanning the Flames of Hate: Social Media and Hate Crime”; Karsten Muller and Carlo Schwarz

Belltower-Artikel zur Warwick-Studie:

Online Civil Courage Initiative (OCCI):

 

OCCI-Kontakt: de@occisupport.org.

 

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