08.01.2016 ... Presseschau

Aktueller Ermittlungsstand zu Köln: Wie glaubwürdig sind die "Erlebnisberichte" der Polizei? +++ Sexualisierte Gewalt: Des Rudels Kern +++ Köln: Kampf gegen sexuelle Gewalt und gegen Rassismus gehören zusammen.

Aktueller Ermittlungsstand zu Köln: Wie glaubwürdig sind die "Erlebnisberichte" der Polizei?

Da können wir zur Achtsamkeit mahnen, so viel wir wollen: War schon bisher viel Vorverurteilung ohne Background in der Berichterstattung zu den Gewalt- und Straftaten in der Silvesternacht in Köln, wird es jetzt fast unmöglich, dagegen noch anzukommen: Die "Welt" und die "BILD" haben mutmaßliche Polizisten gesprochen bzw. einen Polizeibericht  ("Einsatznachbereitung") veröffentlicht, angeblich vom 2. Januar 2016. In beiden Quellen werden Migranten und vor allem Flüchtlinge als Täter der Delikte benennen und auch ansonsten alle erregten Diskussionsthemen bestätigen - es wären "frisch eingereiste Asylbewerber" gewesen, die die Polizei festgesetzt und kontrolliert haben will, und "vorrangig ging es den meist arabischen Tätern um die Sexualstraftaten oder, um es aus ihrem Blickwinkel zu sagen, um ihr sexuelles Amüsement", so ein anonymer Polizist in der "Welt". Warum die Öffentlichkeit das nicht erfahren hat? Der Polizeipräsident und die Oberbürgermeisterin hätten sie eben belogen.

Allerdings wirft gerade der "Einsatznachbereitungs"-Bericht etliche Fragen auf, wie Radio Eins mit der Kriminologin und ehemaligen Polizistin Rita Steffes-enn vom Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung diskutiert: (Audiofile anhören!) Etwa, wenn genannt wird, die Menschenmenge habe sich rund um die Straftaten so verdichtet, so dass die Polizisten nicht mehr zu Hilfesuchenden durchkamen - aber andererseits wird betont, durch die Präsenz der Beamten seien "vollendete Vergewaltigungen" verhindert worden, was beides zusammen nicht möglich ist. Wenn aber der Polizist die geschädigte Person nicht gesehen habe, wie könne er sagen, was dort geschehen ist, fragt Frau Steffes-enn,  ob Raub, Vergewaltigung, sexuelle Belästigung oder Nötigung? Und auch wegen versuchter Vergewaltigungen - die ja die Formulierung suggeriert werden - würde polizeilich wegen Vergewaltigung ermittelt, so dass es laut diesem Polizeibericht geradezu erstaunlich scheint, dass nicht mehr Vergewaltigungen angezeigt wurden (aktuell: 2 von 121 angezeigten Delikten). Auch die Aussagen, Menschen hätten bei Personenkontrollen angegeben, sie seien Asylbewerber und hätten vor den Augen der Polizei ihre "Aufenthaltstitel" zerrissen mit der Aussage, sie holten sich halt morgen neue, sowie den Ausspruch "Ich bin Syrer, ihr müsst mich freundlich behandeln. Frau Merkel hat mich eingeladen", findet Kriminologin Steffes-enn aus ihrer zwanzigjährigen Erfahrung im Polizeidienst hinterfragenswürdig: Täter würden in der Regel nicht einfach ihren Ausweis abgeben, sondern vielmehr falsche Spuren leben, um von der eigenen Person abzulenken. Was wurde da zerrissen, ein "Aufenthaltstitel" oder irgend ein Zettel? Sind die Spuren gesichert worden? Und der Satz mit Frau Merkel sei vielleicht so gefallen - doch die Frage ist, ob er wirklich von einem Flüchtling geäußert wurde, die ja meist des Deutschen nicht so mächtig seien. Diese Fragen sähe sie gern vom Autor des Textes beantwortet. Wir auch.

Aktueller Stand in Zahlen:

Sexualisierte Gewalt: Des Rudels Kern

Die rassistische Hysterie nach den Übergriffen in verschiedenen deutschen Städten schadet den Opfern, weil sie eine wirkliche Debatte über sexualisierte Gewalt verhindert. Es ist so ekelhaft. Die Debatte um muslimische Migranten hat ihren bisherigen Hysterie-Höhepunkt erreicht. Die Opfer der Übergriffe in Köln, Hamburg, Stuttgart oder Frankfurt sind in dieser Debatte denen, die sich am meisten aufregen, vollkommen egal. Sie sind gerade gut genug für reißerische Beschreibungen von zerfetzter Unterwäsche und Fingern an Körperöffnungen und gut genug als Grund, sich als besorgter Bürger zum edlen Ritter und Frauenbeschützer aufzuschwingen. Inzwischen wird über die Ausweisung straffällig gewordener Asylsuchender gesprochen, obwohl die Herkunft der Täter bislang nicht klar ist. Dabei ist das noch der vergleichsweise seriöse Teil dieser Debatte. Stumpf vereinfacht gelten die Täter kaum noch als Einzelpersonen, sondern sind nur noch eine diffuse Masse notgeiler Ausländer, die mit Tiervokabeln beschrieben werden: Wie konnte das geschehen, dass sich Männer "zusammenrotten" und "in großen Rudeln über Frauen herfallen", fragt die "Emma". Von einer "wild gewordenen Männer-Meute aus dem arabischen/nordafrikanischen Raum" wird woanders gesprochen. Auf Twitter ist von "Primaten" und "Affen" die Rede. Denen, die nun darauf hinweisen, dass sexualisierte Gewalt nicht erst mit den Flüchtlingen nach Deutschland gekommen ist, wird vorgeworfen, die Vorfälle von Köln zu verharmlosen. Feministinnen, die seit Jahren und Jahrzehnten über Gewalt gegen Frauen schreiben, wird erklärt, sie würden nur ablenken wollen, um die Täter von Köln zu schützen - das ist absurd und zeigt, wie sehr die Debatte aus dem Ruder gelaufen ist. Es ist, als würde jemand rufen: "Es brennt in der Küche!" und jemand antwortet: "Im Wohnzimmer auch!", und dann sagt der Erste: "Ach was, du willst also nicht die Feuerwehr rufen?"

Rechte Hetze: Wie die AfD die Übergriffe von Köln instrumentalisiert

Die AfD versucht, von den Kölner Übergriffen politisch zu profitieren: Mit massiven Angriffen gegen die Kanzlerin und Stimmungsmache gegen Flüchtlinge wollen die Rechtspopulisten punkten. Die deutsche Frau, angeblich bedroht vom fremden Mann - mit diesem Vorurteil lässt sich bei der Anhängerschaft der AfD punkten. "Die Angsträume werden größer in unserem Land", rief Björn Höcke. "Gerade für blonde Frauen werden sie leider immer größer." Im Herbst war das, bei einer von ihm organisierten Kundgebung in Erfurt. Einige Tausend Teilnehmer jubelten dem Landes- und Fraktionschef der Thüringer "Alternative für Deutschland" zu.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/koeln-afd-instrumentalisiert-uebergriffe-politisch-a-1070895.html

Nach den Übergriffen in der Silvesternacht: Das Problem ist und bleibt Sexismus

Die Diskussion nach den Überfällen in Köln kreist ausschließlich um diese konkreten Vorfälle in dieser einen Nacht. Um Frauen vor sexualisierter Gewalt zu schützen, ist dies zu wenig. Denn es klammert aus, dass Frauen nicht erst seit Silvester nicht sicher sind.

Köln: Kampf gegen sexuelle Gewalt und gegen Rassismus gehören zusammen

Die unfassbaren Taten in Köln lösten in den letzten Tagen berechtigte Kritik aus. Medienberichte überschlagen sich und Rechte werden plötzlich zu Verfechtern von Frauenrechten. So wird die berechtigte Empörung auch für die Verbreitung rassistischer Hetze missbraucht. (...) Es sind genau diese Männer und ihre Positionen, die eine ernsthafte Debatte über sexuelle Gewalt seit Jahren verhindern. Es ist ihre Politik die die Situation für Frauen tatsächlich erschwert, indem Einrichtungen, die sich um Betroffene kümmern, nicht ausfinanziert werden, indem Sozialleistungen gekürzt werden, und sexistische Geschlechterrollen reproduziert werden. Genau deshalb ist es einfach nur unglaubwürdig, wenn sich Rechte plötzlich als „Verfechter von Frauenrechten“ darstellen. Sie sind selbst Teil des Problems, und verstellen uns mit ihrer Hetze gegen Flüchtlinge und Migrant_innen tatsächlich den Weg zu einer Lösung.

Shitstorm bei Facebook: "Das gehört auch an die Öffentlichkeit"

Regina Schleheck war Silvester mittendrin am Kölner Hauptbahnhof. Drei Stunden stand die Leverkusenerin in der Menge. Auf Facebook postete die 56-Jährige, dass die Männer sich ruhig, achtsam und schützend verhalten hätten. Darauf folgte ein Shitstorm, der "unter die Gürtellinie" geht, erzählt sie im Interview. 

#besorgteEier bei Twitter: Hashtag führt zu Hassbotschaften

Mit dem Hashtag #besorgteEier werden bei Twitter anonyme Trolle auf die Schippe genommen, die fremdenfeindliche Botschaften verbreiten. Doch der humorvoll gedachten Aktion folgen hässliche Debatten und schließlich die Übernahme durch Rassist_innen.

Mehr legale Waffen in der rechten Szene in Hessen

Die fremdenfeindlichen Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte mit rechtsextremistischem Hintergrund nehmen zu. Dazu verfügt die Szene in Hessen über mehr legale Schusswaffen. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf einen Berichtsantrag der SPD-Landtagsfraktion hervor. Demnach ist die Zahl von 14 im Jahr 2012 auf aktuell 90 legale Schusswaffen im Besitz bekannter Rechtsextremisten angewachsen.

13. Februar in Dresden: Menschenkette über den Theaterplatz

Am 13. Februar wird bewusst der Ort belegt, an dem Pegida gerne ist. Neonazis haben noch keinen Marsch angemeldet.

Leipzig ruft zur Lichterkette gegen Pegida auf

Wenn PEGIDA am Montag ihren Leipziger Ableger besucht, werden sich die „Abendländer“ aus Dresden auf einen heißen Empfang einstellen müssen.

https://mopo24.de/nachrichten/leipzig-ruft-zur-lichterkette-gegen-pegida-auf-38788

Erste Pegida-Demo in Potsdam?

Am kommenden Montag, dem 11. Januar, soll in der Landeshauptstadt nach Angaben der Wählerfraktion Die Andere eine Demonstration nach dem Pegida-Vorbild stattfinden. Wer die Aktion angemeldet hat, ist derzeit unklar.

Ballstädt: „Hass gegen Andersdenkende“

Seit Anfang Dezember 2015 verhandelt das Landgericht Erfurt den brutalen Überfall von Neonazis auf Mitglieder der Kirmesgesellschaft in Ballstädt im Landkreis Gotha im Februar 2014. In dem Prozess müssen sich 14 Männer und eine Frau zwischen 20 und 40 Jahren unter anderem wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verantworten.

NSU: Gemüse im Ausschuss

Im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss sagten fünf Mitarbeiter des Verfassungsschutzes aus. Trotz der Erinnerungslücken kamen neue Details ans Licht.

Der Käpt'n legt sich mit Pegida an

„Eine Armlänge Distanz halten, schützt nicht vor sexuellen Übergriffen, eine Mittelmeerbreite dagegen schon!“ – mit diesem menschenverachtenden Beitrag auf Facebook sorgt Pegida derzeit für einen handfesten Eklat – und spaltet die sozialen Netzwerke. Die Anhänger sind begeistert, die Gegner empört. MOPO-Kolumnist Käpt‘n Schwandt ist nun der Kragen geplatzt. Er ruft zur Facebook-Offensive auf.

Illustratoren gegen Besorgte-Bürger-Ängste

Eine Gruppe bekannter deutscher Zeichner stellt mit Bildern der Panikmache Fakten gegenüber. 

Mann (48) wegen Hass-Kommentar verurteilt

Nachdem ein 48 Jahre alter Mann aus Waldsassen Anfang September unter einen Artikel auf der Kurier-Facebook-Seite mit dem Thema Flüchtlinge in Bayreuth einen Hass-Kommentar geschrieben hatte, wurde er wegen Volksverhetzung vom Amtsgericht Lichtenfels am Donnerstag zu einer Geldstrafe verurteilt. Es ist bereits die zweite Verhandlung, die erfolgreich für den "Nordbayerischen Kurier" endete. In beiden Fällen hatte diese Zeitung die Kommentar-Schreiber angezeigt. "Meiner Meinung nach sind das alles feige Schweine die lieber flüchten als um ihr Land zu kämpfen!!!warum kommen denn überwiegend männer??? und ihr haben sie die grosse fresse und bedrängen unsere Frauen und Kinder!!! Haut diesen feigen Schweinen in die fresse und steckt ihnen ihr eigenes Messer in den Arsch!!! und unsere drecks Stasi Regierung gleich mit!!!" schrieb der bullige 48-Jährige mit Glatze und aus dem Kragen ragenden martialischen Tattoos am 2. September. Anfang November erging dann der Strafbefehl über eine Geldstrafe an den 48-Jährigen: Strafverhalt Volksverhetzung, Aufruf zu Gewalt an Flüchtlingen. Gegen diesen legte der Waldsassener Einspruch ein, so dass es dann am Donnerstag zur Verhandlung kam. Der Handwerker musste sich selbst verteidigen, weil sein Anwalt in Urlaub war und unentschuldigt fehlte. Nach entsprechendem Hinweis durch den Richter Stefan Hoffmann nahm der Angeklagte den Einspruch zurück. Es wäre ihn sonst teurer gekommen. Weil er alles sofort zugab, mussten die beiden geladenen Zeugen nicht aussagen. Der in der Region einschlägig polizeilich Bekannte erhielt  eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 15 Euro.

http://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/mann-48-wegen-hass-kommentar-verurteilt_435267

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